Krankenkassenstudie zu Festzuschüssen

Mutmaßungen über das System

Gut sechs Monate nach der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung haben auch die gesetzlichen Krankenkassen ihre „Untersuchung der Auswirkungen befundbezogener Festzuschüsse“ vorgestellt. Wie erwartet ziehen die Kassen aus ihren Ergebnissen – sie werden zur Zeit von zahnärztlicher Seite „auf Herz und Nieren“ geprüft – ganz andere gesundheitspolitische Forderungen. In der Konsequenz ebnet die GKV-Kritik am neuen System den Weg zum SPD-Modell einer Bürgerversicherung.

Eigentlich wollte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) – wie von der KZBV initiiert und von den Kassen anfangs zugesagt – eine gemeinsame Untersuchung. Die Erfahrungen mit dem neuen System der Festzuschüsse im Zahnersatz sollten die Beteiligten im Gemeinsamen Bundesausschuss koordiniert prüfen. Aber trotz anfänglicher Zusage scherten die Krankenkassen später „aus politischen Gründen“ wieder aus. Was die gesetzlichen Versicherer damit meinten, wird jetzt – gut ein halbes Jahr nach Ablauf der vom BMG gesetzten Berichtfrist – aus den Forderungen des GKV-Berichts deutlich: „Die Zahnersatzversorgung wird für Patienten teurer“ und „die Patienten verzichten“, schlussfolgern die GKV-Spitzen in der Studie, die die Arbeitsgemeinschaft der Verbände bei der Hamburger Planungsgruppe M+M AG in Auftrag gegeben hat.

Der Privatanteil, so klagen die Kassen, habe im Jahr 2005 einen Anteil von 62 Prozent der zahnärztlichen Honorare erreicht. Nur 38 Prozent der zahnärztlichen Honorare seien nach dem für die vertragszahnärztliche Versorgung konzipierten Bema abgerechnet worden, heißt es seitens der Kassen, obwohl M+M selbst den Vergleich zwischen der Datenbasis von 2004 (Mehrkostenabrechnungen, deren Daten den Kassen nicht vorliegen) und der neuen Systematik in 2005 als „problematisch“ bezeichnet. Dennoch: Aus Sicht der Kassen habe der Systemwechsel bewirkt, dass das Versorgungsniveau im Jahr 2005 gesunken ist.

Zwar wird aus der Kassenstudie deutlich, dass auch die gesetzlichen Krankenversicherer das Festzuschusssystem, das sich nach Auffassung der KZBV inzwischen erfolgreich etabliert hat, nicht mehr grundsätzlich in Frage stellen. Schließlich sichere die neue Regelung dem Versicherten die Wahlfreiheit über die Art der Versorgung: „Erstmals erhält der Versicherte ohne Berücksichtigung der Indikationseinschränkungen nach den Zahnersatz-Richtlinien Festzuschüsse für Suprakonstruktionen,“ heißt es in dem Anfang März veröffentlichten Kassenbericht.

Steilvorlage für das BMG

Die Kassen bezweifeln auch nicht, dass die GKV mit dem Festzuschusssystem „eine größere Transparenz über die tatsächlich geplante und abgerechnete Versorgung“ erhält. Andererseits verliere diese Information ihre Relevanz für die Höhe des Kassenzuschusses sowie für die Überprüfung und gegebenenfalls Richtigstellung der den Versicherten in Rechnung gestellten Leistungen, heißt es in der Hamburger Studie. Der für die vertragszahnärztliche Versorgung der Versicherten konzipierte Bema werde dadurch „außer Kraft gesetzt und durch die private Gebührenordnung ersetzt“, monieren die gesetzlichen Versicherer.

„Pure Legendenbildung“, meint KZBV-Vorstandsmitglied Dr. Wolfgang Eßer mit Blick auf die unter hervorragender Beteiligung der Zahnärzte erhobenen Vergleichsdaten der KZBV zwischen der Mehrkostenregelung 2004 und den gleich- und andersartigen Leistungen des Jahres 2005: „Hier verbreiten die Kassen weiterhin Panik unter den Patienten.“ Dabei hatte die Vereinigung der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) bereits vorher bestätigt, dass die von den Vertragsparteien ermittelten Festzuschüsse „korrekt ermittelt“ wurden.

Doch das stört AOK und Co. nicht: „Im Interesse der Zahngesundheit ist es notwendig, dass der Gesetzgeber den Kassen die Möglichkeit gibt, die jetzt nur zu den Sätzen der privatzahnärztlichen Gebührenordung erhältlichen Leistungen für die Patienten günstiger einzukaufen,“ fordern die Versicherer quasi als Steilvorlage für die derzeitigen politischen Vorstöße des BMG.

Falls das noch nicht reicht, gibt es ein weiteres Angebot: Solle das Festzuschusssystem für alle Versicherten, unabhängig von der jeweiligen Finanzkraft zu mehr Wahlfreiheit führen und so zur Beibehaltung einer guten Zahngesundheit der gesamten Bevölkerung beitragen, müsse der GOZ-Steigerungsfaktor für prothetische Leistungen begrenzt werden, heißt es von Kassenseite aus. Außerdem fordern die gesetzlichen Versicherer, endlich die kompletten Abrechnungen der Zahnärzte für die Versicherten prüfen zu dürfen.

Niveau von 2004 avisiert

Eine Auffassung, die die KZBV auch nicht in Ansätzen teilen kann. Das sind, so der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz, „Mutmaßungen, die sich aus den Zahlen gar nicht ablesen lassen“. Bereits ein Jahr nach der Einführung des Festzuschusssystems sei mittlerweile jede dreißigste Zahnersatzneubehandlung eine mit Implantatkonstruktion, stellt Fedderwitz den Erfolg des Systems anhand der von KZVen und der KZBV erhobenen Daten heraus. Schon allein das zeige, „wie fortschrittsfreundlich das System ist, und wie positiv die Patienten das aufnehmen“.

Bis heute lägen, so bestätigt KZBV-Vorstandsmitglied Dr. Günther E. Buchholz, „keine Patientenbeschwerden über das Festzuschusssystem vor“ – weder bei den zahnärztlichen Institutionen noch bei den Anlaufstellen des BMG. Besonders erfreulich sei, dass die Systemumstellung für Krankenkassen, aber auch Patienten absolut kostenverträglich ist. Buchholz: „Wir haben den zahnmedizinischen Fortschritt in die GKV geholt, trotzdem müssen die Krankenkassen nicht mehr Geld für Zahnersatz ausgeben.“

Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr hätten die Kassen gegenüber dem Vorjahr sogar massiv Mittel eingespart. Grund war die von den Versicherern im Gemeinsamen Bundesausschuss abgelehnte Übergangsregelung. „Damit werden jetzt wohl die Löcher gestopft, die die enormen Mehrausgaben im Medikamentenbereich gerissen haben,“ meint der KZBV-Vorsitzende Fedderwitz.

Keine Höherbelastung

Für das Jahr 2006 erwartet die KZBV ein Ausgabenvolumen für Zahnersatz, das mit etwa 3,5 Milliarden Euro tendenziell wieder auf dem Ausgangsniveau von 2004 liegen wird. Eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen lasse sich weder aus den vorliegenden Daten ableiten (im zwischenzeitlich schon wieder aktualisierten Bericht der KZBV wird die Entwicklung bis Dezember abgebildet), noch gebe es einen Anlass für entsprechende Vorstöße. Insofern sei, so Eßer, „alles andere sinnvoll als eine vorschnelle Veränderung des Systems“. Gefordert sei jetzt die Selbstverwaltung im Gemeinsamen Bundesausschuss.

Veränderungsbedarf sieht die KZBV möglicherweise im Bereich der Reparaturen. Hier sei, bedingt durch die extrem hohen Material- und Laborkosten, eine Unterdeckung zu verzeichnen. Allerdings dürfte sich gerade in diesem Bereich – die Reparaturen machen über 50 Prozent der Behandlungsfälle aus – eine Erhöhung der Festzuschüsse bei den Ausgaben der Krankenkassen spürbar niederschlagen.

Aber auch in diesem Bereich besteht ein zusätzliches Manko: In Deutschland haben – ganz anders als in den meisten europäischen Nachbarstaaten – bei den Neuversorgungen im Zahnersatz die Laborkosten einen hohen Anteil: Sie liegen in der Höhe von 60 bis 70 Prozent der Gesamtkosten. Insgesamt kommt die KZBV in ihrem aktualisierten Bericht jedenfalls zu ganz anderen Einschätzungen als die Versicherer:

• Die Daten hätten erneut bestätigt, dass die Festzuschüsse korrekt berechnet sind, angemessen festgesetzt wurden und die Umstellung auf das neue System – bis auf den Reparaturbereich – kostenneutral erfolgte.

• Auswirkungen auf das Versorgungsniveau sieht die KZBV – anders als die Kassen – anhand ihrer Daten nicht. In rund 95 Prozent der Fälle sei die Versorgungsstruktur gleich geblieben oder sogar verbessert worden.

• Wie erwartet habe sich der aufgrund fehlender Übergangsregelung bedingte Ausgabenrückgang zu Beginn 2005 im Jahresverlauf deutlich verringert und dem Niveau des Vorjahres angenähert. Die Fallwerte bei Neuversorgungen liegen bereits seit Mitte 2005 auf Vorjahresniveau. Der Ausgabenrückgang ist kein Strukturproblem, sondern auf die rückläufige Zahl der Behandlungsfälle zurück zu führen. Auch bei den Fallzahlen sei ein Aufwärtstrend zu beobachten.

• Eine strengere Indikationsstellung bei Teleskopkronen zur Öffnung des Systems und Finanzierung des medizinischen Fortschritts habe zu einem moderaten Rückgang bei den Teleskopkronen von 11,4 auf 8,2 auf 100 Fälle im Jahr 2005 geführt. Wichtig dabei: Die strengere Indikationsstellung bei Teleskopkronen war bei Erarbeiterung der Festzuschüsse ausdrücklich gewollt.

• Aber was für die Diskussion zwischen Krankenkassen und Zahnärzteschaft entscheidend ist: Die Zahnärzte rechnen bei den gleich- und andersartigen Versorgungen – so die Datenlage der KZBV – nach wie vor ausgesprochen moderat ab. Der GOZ-Steigerungsfaktor habe sich bei diesen Versorgungen in vergangenen Jahr gegenüber den Mehrkostenvereinbarungen in 2004 nicht verändert. Der Faktor liege nach wie vor auf gleicher Höhe.

Alles in Allem ein beachtliches, erfolgversprechendes Ergebnis, weiß der KZBV-Vorsitzende Fedderwitz: „Insgesamt ist festzustellen, dass die Zielsetzungen und Vorgaben bei Einführung der Festzuschüsse erreicht wurden und dass sich weder eine nennenswerte Verschiebung in der Versorgungsstruktur noch eine höhere Belastung der Versicherten ergeben hat.“

Vor diesem Hintergrund warnt die KZBV eindringlich vor „vorschnellen Veränderungen“ der Festzuschüsse: „Werden ohne Würdigung der vorliegenden Daten die Festzuschüsse um durchschnittlich möglicherweise 20 oder gar 30 Prozent angehoben, weil ohne vertiefende Analyse lediglich auf die Ausgabenrückgänge der Krankenkassen im ersten Halbjahr 2005 geschaut wird, so wird sich bei den Krankenassen eine Kostenlawine einstellen. Es wären Zuwachsraten beim Zahnersatz im Jahreswert 2006 von plus 45 bis 55 Prozent zu verzeichnen, wenn sich die Fallzahl erwartungsgemäß noch weiter normalisiert.“

Der Vorschlag der KZBV für den Gemeinsamen Bundesausschuss umfasst allenfalls vorsichtige Änderungen: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollten die Festzuschüsse überprüft und gegebenenfalls im Bereich der Reparaturen erhöht werden. Weitere Erhöhungen in anderen Versorgungskomplexen (zum Beispiel Teleskopkronen) würden die gesetzliche Krankenversicherung erneut belasten.“

Die KZBV regt an, die Entwicklung abzuwarten und neben einer möglicherweise moderaten Anpassung bei den Reparaturpositionen eine neue Diskussion nach Vorlage weiterer Abrechnungsergebnisse in 2006 zu führen.

Eine irritierende Diskussion

In dieser Hinsicht scheint der Bericht der Krankenkassen die Warnungen der KZBV also zu berücksichtigen. Verärgert zeigt sich der KZBV-Vorsitzende Fedderwitz aber über die politische Stoßrichtung der Krankenkassen: „Wer falsche Voraussetzungen nutzt und aus nicht vergleichbaren Faktoren Daten aus 2004 und 2005 zu dem Vorwurf verdichtet, die Zahnärzte übervorteilten ihre Patienten, daraus dann auch noch den Auftrag eines höheren Schutzbedarfs für die eigenen Versicherten ableiten will, setzt für diese Gesellschaft eindeutig die falschen Signale.“

Die Behauptung, als Folge der Ausgabenrückgänge sei eine Mehrbelastung der Versicherten, möglicherweise eine Verschlechterung der Versorgungsstruktur oder gar eine Verschlechterung der Versorgungsqualität eingetreten, sei durch die Erhebungen der KZBV eindeutig widerlegt. Irritierend sei diese „typisch deutsche“ Diskussion allemal, meint KZBV-Vorstandsmitglied Buchholz: „Im internationalen Vergleich ist das Versorgungsniveau im deutschen Festzuschusssystem beachtlich hoch.“ In EU-Staaten wie Dänemark oder Italien ist Zahnersatz überhaupt nicht versichert. In der Schweiz oder im derzeit mit großer Aufmerksamkeit beobachteten System der Niederlande ist der Leistungskatalog viel eingeschränkter als hierzulande.

Erfolge „trotz“ des GKV-Systems

Die Politik scheint das – trotz extremer Finanzmisere – wenig zu interessieren. Abzuwarten bleibt, so Vorstandsmitglied Eßer, ob das Bundesgesundheitsministerium, das derzeit nach wie vor die Prämissen für die SPD-Lösung einer Bürgerversicherung offen hält und Übergriffe auf eine das GKV-System eigentlich stützende PKV diskutiert, dem Festzuschusssystem weiterhin Flankenschutz gewährt.

Wünschenswert sei allerdings, dass sich die Verantwortlichen angesichts der Ausgabensteigerungen, der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts endlich vor Augen führten, dass die zahnmedizinische Versorgung in den vergangenen Jahren „trotz des Systems“ eine deutlich spürbare Verbesserung der Mundgesundheit in der deutschen Bevölkerung erreicht habe.

Nachweislich gab es früher als in anderen Versorgungsbereichen in der deutschen zahnmedizinischen Versorgung eine umfangreiche Selbstbeteiligung der Patienten, konditionierte Leistungen, eine konsequente Präventionsorientierung und Förderung von Eigenverantwortung, zum Beispiel über das Bonusheft, aber auch eine Abgrenzung von solidarisch und privat finanzierten Leistungen. Hier liege für das angeschlagene Sytem eine Chance, meint Fedderwitz: „Erst ein ordnungspolitischer Mix aus solidarisch ausgerichteten und eher subsidiär angelegten Bereichen, in denen PKV-Elemente integriert sind, führt zur Stabilisierung der Ausgaben und des solidarischen Versicherungsbereichs.“

Die gegenwärtige Diskussion der Gesundheitsreform seitens der Kassen und des BMG sieht allerdings anders aus: Parallel zur Diskussion um die Evaluierung eines Festzuschusssystems drifte die Gesundheitspolitik Richtung GOZ-Faktorbegrenzung und Behandlungspflicht. Von der damit vorbereiteten Nivellierung der Gebührenordnungen bis zur Etablierung der Bürgerversicherung sei es dann kein allzu großer Schritt mehr, warnte der KZBV-Vorsitzende jüngst auf einer Koordinierungskonferenz zahnärztlicher Öffentlichkeitsarbeiter.

Zufriedene Patienten

Auch das Bemühen der Spitzenverbände der Krankenkassen, durch Umfragen bei Versicherten ein Mandat für eine bisher nicht dem GKV-Bereich unterliegenden Einflussbereich zu erstreiten, kann auf sachlicher Ebene nicht weiter helfen. Denn die große Mehrheit der Patienten – auch derjenigen, die sich für eine gleich- oder andersartige Versorgung entscheiden – fühlt sich vom Zahnarzt hinsichtlich der Versorgungsmöglichkeiten „gut“ informiert. 82 Prozent der 1744 Befragten sind mit den Informationen ihres Zahnarztes zufrieden. Eigentlich eine Bestätigung für die Einschätzung der KZBV, dass das System von den Patienten positiv angenommen wird.

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