Leitartikel

Chancen wahrnehmen

der Streit um die Gesundheitsreform der Bundesregierung ist offensichtlich. Er geht quer durch Koalition, Parteien und Parlament, auf Bundes- wie auf Länderebene. Gestritten wird, so bewerten es die Medien, um politische Macht, es gehe um den Fortbestand der großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Frau Merkel sei aus übergeordneten politischen Beweggründen gezwungen, den Schulterschluss zur SPD-Spitze, in personam auch zu Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zu üben. Das ist wohl ein Teil der Wahrheit.

Die betroffene Fachwelt hat sich wiederholt zu den bisherigen Projektstufen der Reform geäußert, sowohl zum Eckpunktepapier wie auch zu den inzwischen vorliegenden zwei Arbeitsentwürfen aus den Amtsstuben des Bundesgesundheitsministeriums. Die Meinung der Experten ist nahezu einhellig negativ. Aber der fachlich sehr differenziert und detailliert gestaltete Verriss verhallt angesichts vermeintlich großer Fragen, vorrangig zur Gestaltung der Versicherungslandschaft, weitestgehend lautlos.

Dabei war die Zahl der fach- und interessengebundenen Alternativvorschläge noch nie so groß wie heute, die Halbwertzeit der einzelnen Vorschläge zum Ausweg aus der Krise im Gesundheitswesen noch nie so gering wie zurzeit. Die Politik nimmt in ihrem Drang zur Machterhaltung Außenreaktionen nur noch schwer wahr. Aber wir sind dabei.

Die Tendenz dessen, was die große Koalition ihren Bürgern als Gesundheitsreform auferlegen will, ist – auch wenn es im tagespolitischen Machtkampf anders rüberkommt, – die konsequente Fortsetzung der Strategien aus dem Eckpunktepapier: Zentralisierung, Bürokratisierung, Reglementierung, Verstaatlichung des Systems und eine fortschreitende Entmündigung von Patienten und Ärzten in unserer Gesellschaft. Das können – und werden – beide Gruppen nicht akzeptieren.

Dennoch sind wir unserem Sachverstand verpflichtet und gehalten, auch diesen mehrere hundert Seiten starken x-ten Renovierungsversuch der GKVen nach Wohl und Wehe für die zahnärztliche Versorgung zu prüfen und dann dezidiert zu handeln. Der in vielen „Big-Points“ fatale Entwurf birgt auch eine Reihe von Vorschlägen – darunter die immer noch aufrecht erhaltene Kostenerstattung –, die für die Zahnärzteschaft gerade in einer Systematik wachsender staatlicher Kontrolle immens wichtig werden.

Grundlegend bleibt: Der zahnärztliche Beruf ist ein freier Beruf. Eine ambulante Tätigkeit außerhalb der Freiberuflichkeit ist der Sündenfall, der die Grundlagen unseres beruflichen Handelns erschüttern kann. Schon deshalb ist es berufspolitische Pflicht, die aus der politischen Verhandlungsmasse erkennbaren Nischen zu schützen, sie durch beharrliche Beratung und – wo geboten – aktiven Widerstand in den Gesetzesalltag zu überführen. Hier wird sich die Kostenerstattung als wichtiges Verfahren, als eine Art Lakmus-Test der Freiberuflichkeit, erweisen. Im Zuge der aktuell weitgehend hoch emotional geführten Verhandlungen um die Zukunft des Gesundheitswesens ist es wichtiger denn je, unsere Chancen wahrzunehmen und ganz bewusst „Gutes“ und „Schlechtes“ voneinander zu trennen.

Wichtig ist dabei auch die Erkenntnis, dass sogar in einem rigide geführten staatlichen Gesundheitswesen wie dem britischen National Health Service freiberufliche private Nischen nicht nur bestehen, sondern seit Jahren sogar rapide wachsen.

Das alles funktioniert, wie wir wissen, nur auf der Ebene von Freiberuflichkeit – jenseits staatlicher Bevormundung, freiwillig und getragen allein vom Zahnarzt und seinem Patienten. Das aber kommt nicht von selbst. Es erfordert, diese Strukturen in unseren Organisationen und Praxen aktiv zu leben und unsere Ziele gerade auch in widrigen Zeiten konsequent zu verfolgen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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