Zöliakie / Sprue
Noch deutlich unterschätzt wird offenbar das Krankheitsbild der Zöliakie. Ging man früher aufgrund von Biopsien von einer Häufigkeit von 1:2000 Kindern aus, so deuten neuere Erhebungen bei Blutspendern an, dass die Prävalenz bei 1:200 oder sogar noch höher liegen dürfte.
Ursache der so unterschiedlichen Angaben ist die Tatsache, dass die Zöliakie – respektive die Sprue des Erwachsenen – nicht selten klinisch stumm verläuft. Damit ist zwangsläufig von einer hohen Dunkelziffer auszugehen und davon, dass viele Betroffene infolge fehlender oder nur gering ausgeprägter Symptome nicht als Patienten erkannt werden. Denn nur zehn bis 20 Prozent der Betroffenen zeigen das Vollbild der Zöliakie, 80 bis 90 Prozent weisen untypische, nur milde oder gar keine Symptome auf und wissen meist nichts von der Erkrankung.
Zöliakie – eine Autoimmunerkrankung
Bei der Zöliakie handelt es sich um eine genetisch bedingte Autoimmunerkrankung. Sie beruht auf einer Unverträglichkeit von Gluten. Wird das Klebereiweiß, das in verschiedenen Getreidesorten vorkommt (Roggen, Weizen, Gerste, Hafer und Dinkel) verzehrt, so entwickeln die Patienten eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut mit charakteristischer Atrophie der Dünndarmzotten. Dies hat eine Verkleinerung der Darmoberfläche im Dünndarm zufolge, was Resorptionsstörungen und entsprechende Mangelerscheinungen nach sich zieht. Denn Fett, Eiweiße, Kohlenhydrate und auch Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente können oft nicht mehr in ausreichender Menge aufgenommen werden.
Die Zöliakie manifestiert sich üblicherweise bereits im Kindesalter und das meist schon wenige Monate, nachdem die Kinder glutenhaltige Nahrung wie zum Beispiel Grießbrei erhalten. Sie kann aber auch erstmals im Erwachsenenalter in Erscheinung treten und wird dann als „einheimische Sprue“ bezeichnet. Allerdings setzt sich inzwischen der Begriff Zöliakie zunehmend auch für die Störung bei Erwachsenen durch.
Zöliakie-Patienten haben eine normale Lebenserwartung, wenn sie sich glutenfrei ernähren. Halten sie die Diät nicht ein, so besteht ein erhöhtes Risiko für eine Osteoporose und auch ein erhöhtes Krebsrisiko. Vor allem das Risiko, an einem Lymphom zu erkranken, ist gegenüber der Normalbevölkerung gesteigert. Dies gilt auch für Menschen mit stummer Erkrankung, was einer der wesentlichen Gründe dafür ist, dass eine möglichst umfassende Diagnostik auch bei symptomlosem Verlauf angestrebt wird.
Genetische Grundlagen
Infolge der genetischen Grundlage der Erkrankung sind überdurchschnittlich häufig Verwandte ersten Grades von Sprue-Patienten ebenfalls betroffen. Ihr Erkrankungsrisiko ist ungefähr zehn Mal höher als in der Normalbevölkerung. Deshalb wird üblicherweise auch bei nahen Angehörigen nach der Krankheit gefahndet, um möglichst frühzeitig diejenigen mit „stiller“ Erkrankung zu identifizieren.
Ob eine Krankheitsdisposition besteht, lässt sich durch die Untersuchung der Gewebeverträglichkeitsantigene (Histokompatibilitätsgene, HLA-Gene) abschätzen. Die HLAAntigene weisen einen sehr hohen Polymorphismus auf, wobei überproportional häufig das Allel HLA-DQ2 zu finden ist. 90 Prozent der Zöliakie-Patienten weisen diese Genkonstellation auf gegenüber nur 15 bis 30 Prozent der Normalbevölkerung.
Besonders häufig findet sich mit rund zwei bis vier Prozent das Krankheitsbild außerdem bei Typ 1-Diabetikern, weshalb Experten bei allen neu diagnostizierten Diabetikern auch einen Test auf eine Sprue fordern. Speziell bei schlecht einzustellenden Diabetiker raten sie zu einer entsprechenden Untersuchung. Liegen beide Störungen gemeinsam vor, so sind die Patienten besonders hart betroffen, da sie sich um eine im Hinblick auf den Diabetes adäquate Kost und zugleich um eine glutenfreie Ernährung bemühen müssen.
Auch Menschen mit Down-Syndrom sowie Patienten mit rheumatischer Erkrankung leiden überproportional oft unter einer anhaltenden Gluten-Unverträglichkeit.
Klinische Symptomatik
Die charakteristischen Symptome der Zöliakie/ Sprue sind eine Diarrhoe sowie Mangelzustände, ein Minderwuchs und ferner eine gewisse Weinerlichkeit und Übellaunigkeit der betroffenen Kinder. Diese sind meist blass, nicht besonders lebhaft und verlieren die Lust am Spielen. Vor allem bei Kleinkindern fällt oft auch ein aufgeblähter Bauch auf – häufig in Verbindung mit einem eher mageren Körper. Auch eine Muskelschwäche, häufiges Erbrechen und Gedeihstörungen müssen unter anderem an eine Zöliakie denken lassen. Häufig klagen die Erkrankten zudem über unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit oder gelegentliche Bauchschmerzen.
Solche Symptome sind zwar charakteristisch für die Zöliakie, müssen aber keinesfalls immer auftreten. Beschrieben sind auch Fälle, bei denen lediglich ein Minderwuchs auffallend ist oder Mangelzustände wie zum Beispiel ein Eisen- oder Zinkmangel. Wie unterschiedlich die Symptomatik sein kann, belegt die Tatsache, dass zwar einerseits die Diarrhoe quasi als Leitsymptom der Zöliakie anzusehen ist, andererseits aber jeder zehnte Patient über eine Obstipation klagt.
Uncharakteristische Symptome und milde Krankheitsverläufe betreffen in erster Linie die Patienten, bei denen die Zöliakie erst im Erwachsenalter erkannt wird, was zugleich die Verzögerung der Diagnosestellung erklärt. Einziges Symptom sind nicht selten eine unklare Eisenmangelanämie oder Knochenschmerzen mit Osteomalazie oder auch eine Arthritis.
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose Zöliakie kann serologisch wie auch bioptisch gesichert werden. Serologisch wird auf Transglutaminase- Antikörper untersucht, auf Endomysium- Antikörper und auf Gliadin- Antikörper. Die Antikörper-Bestimmung dient dem Nachweis der Störung und wird zudem auch als Screening-Untersuchung in Familien von betroffenen Patienten genutzt.
Eine Aufstellung glutenfreier Arzneimittel finden Interessierte auf der Internet-Seite der Deutschen Zöliakie Gesellschaft (www.dzg-online.de).
Per Endoskopie und Biopsie wird außerdem nach der charakteristischen Dünndarm-Schleimhaut- Atrophie gefahndet. Die Veränderungen der Schleimhaut reichen dabei von der Vermehrung intraepithelialer Lymphozyten bei (noch) regelrechtem Schleimhautaufbau bis hin zur kompletten Abflachung des Schleimhautreliefs. Die Veränderungen sind auch bei klinisch stummem Verlauf nachzuweisen. Sowohl die serologischen Auffälligkeiten als auch die Atrophie der Dünndarmschleimhaut sind unter einer glutenfreien Diät reversibel.
Lebenslange glutenfreie Kost
Entscheidend bei der Behandlung ist deshalb eine streng glutenfreie Ernährung. Bei strikter Ernährungsumstellung tritt nach Angaben der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft meist innerhalb weniger Tage eine Symptombesserung auf und die Patienten leben bei Einhalten der glutenfreien Kost innerhalb kurzer Zeit völlig beschwerdefrei. Beim Verzehr nur kleiner Glutenmengen kommt es jedoch erneut zu den charakteristischen Veränderungen, möglicherweise allerdings mit verzögertem Auftreten der Symptomatik.
Da sich das Klebereiweiß leicht in Rillen und Ecken von Haushaltsgeräten und Backformen und mehr festsetzt, empfiehlt es sich, die für die Zubereitung der glutenfreien Kost notwendigen Arbeitsgeräte jeweils separat bereit zu halten und stets nur für die glutenfreie Zubereitung zu nutzen.
Glutenfreie Kost – das bedeutet, dass Getreide und Getreideprodukte nicht verzehrt werden dürfen. Konkret dürfen laut Angaben der Gesellschaft folgende Lebensmittel nicht gegessen werden: Weizen, Dinkel, Roggen, Hafer, Gerste, Grünkern sowie verwandte Getreide- und Urkornarten wie Kamut und Einkorn und selbstverständlich auch alle Nahrungsmittel, die aus diesen Produkten hergestellt wurden. Dazu gehören zum Beispiel Brot- und Brotprodukte, Kuchen und Torten, Kekse, Müsli und Müsliriegel, Knabbergebäck, Zwieback, Grieß, Nudeln, panierte Lebensmittel sowie Bier und Malzbier.
Die Experten warnen in diesem Zusammenhang auch vor verstecktem Klebereiweiß zum Beispiel in Fertiggerichten. Verstecktes Gluten kann enthalten sein in gebundenen Soßen und Suppen, Pudding, Pommes Frites, Kroketten, Kartoffelpuffer, Wurst und Wurstwaren, Frischkäsezubereitungen mit Kräutern, Eis, Nuss-Nougat-Cremes, Schokolade, Ketchup, Senf und vielen anderen Produkten mehr. Sogar Medikamente können Gluten enthalten. Eine Aufstellung glutenfreier Arzneimittel finden Interessierte auf der Internet-Seite der Deutschen Zöliakie Gesellschaft (www.dzg-online.de).
Im unverarbeiteten Zustand können, so heißt es bei der Gesellschaft, folgende Produkte unbedenklich verzehrt werden: Reis, Hirse, Mais, Buchweizen, Kartoffeln, Sojabohnen, Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Milch, Naturjoghurt, Quark, Buttermilch, Butter, Frischkäse, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Zucker, Honige und ebenso Gebäck aus Maismehl. Eine Konservierung der Produkte durch Pasteurisieren oder Tiefkühlen beeinflusst den Glutengehalt nicht. Getrunken werden können reine Fruchtsäfte, Wasser, Wein und Sekt.
Das allerdings bedeutet nicht, dass Menschen mit Zöliakie auf Brot und Brotwaren ganz verzichten müssten. Denn es gibt im Handel eine Vielzahl glutenfreier Mehlmischungen, mit dem man sein eigenes Brot je nach Geschmack backen kann. Sollen keine Mehlmischungen verwendet werden sondern ganze Körner von Reis, Hirse und Mais, so empfiehlt es sich, diese mit einer Getreidemühle zu Hause selbst zu mahlen und nicht im Reformhaus. Dort besteht die Gefahr der Glutenkontamination, wenn zuvor in der gleichen Getreidemühle ganz normale Körner gemahlen wurden.
Auf Kontaminationen mit Gluten muss man aber auch bei der Nahrungszubereitung zu Hause achten. Arbeitsflächen und –geräte müssen immer sorgfältig gereinigt werden und das gilt ganz besonders für das Backblech und für Backformen. Da sich das Klebereiweiß leicht in Rillen und Ecken festsetzt, empfiehlt es sich, die für die Zubereitung der glutenfreien Kost notwendigen Arbeitsgeräte jeweils separat bereit zu halten und stets nur für die glutenfreie Zubereitung zu nutzen.
Glutenfreie Lebensmittel wie zum Beispiel Mehlmischungen oder Backpulver sollten außerdem immer gut verpackt und separat von den normalen Lebensmitteln aufbewahrt werden. Auch beim Kochen ist auf mögliche Kontaminationen zu achten, etwa indem man beim Kochen von Nudeln zwei getrennte Töpfe verwendet und auch zwei getrennte Löffel beim Umrühren.
Doch auch fertiges Brot, Nudeln, Kuchen etc. sind inzwischen glutenfrei zu beziehen, was die Ernährung weit leichter macht als früher. Erhältlich sind die Produkte am be-sten direkt beim Händler oder über das Reformhaus und zunehmend auch bereits in größeren Supermärkten.
Besondere Situation bei Kindern
Ist die glutenfreie Ernährung bei Säuglingen noch relativ einfach zu realisieren, so nehmen die Schwierigkeiten mit dem Heranwachsen des Kindes meist zu. Denn das Kind muss lernen, dass es sich nicht wie seine Freunde ernähren kann, sondern dass es besondere „Spielregeln“ bei der Ernährung einhalten muss und das möglichst ohne dadurch in eine Außenseiterrolle zu geraten.
Wichtig sind ein gute Aufklärung des Kindes und ein möglichst normaler, rationaler Umgang mit der Erkrankung. Dazu gehört beispielsweise auch, dass man dem betroffenen Kind glutenfreies Gebäck mitgibt, wenn mit anderen Kindern Geburtstag gefeiert wird oder ein Ausflug in Schule oder Kindergarten ansteht
Zusätzlich häufig auch Laktoseunverträglichkeit
Eine Folge der Schädigung der Darmschleimhaut ist nicht selten ein Mangel an Laktase, also an Mangel an dem Enzym, das Laktose im Darm aufspaltet. Der Laktasemangel kann eine Laktose-Intoleranz zur Folge haben. Eine solche Milchzuckerunverträglichkeit kann vorübergehend auch während der Ernährungsumstellung auf glutenfreie Kost auftreten. Sie macht sich mit Bauchschmerzen und Darmkrämpfen bis hin zu Koliken bemerkbar. Außerdem können Völlegefühle, Übelkeit, fetthaltige Stühle, Blähungen und Diarrhoen auftreten. Denn durch die unzureichende Aufspaltung des Milchzuckers im Dünndarm gelangen größere Milchzuckermengen in den unteren Darm. Dort werden sie von der Darmflora abgebaut, was mit einem vermehrten Einstrom von Flüssigkeit und auch einer vermehrten Gasbildung verbunden ist. Die Milchunverträglichkeit bildet sich in aller Regel zurück, wenn sich die Dünndarmschleimhaut regeneriert hat. Bis dahin können die Beschwerden durch eine laktosearme oder laktosefreie Ernährung deutlich minimiert werden.
Begleitende Hauterscheinungen
Die Symptome der Zöliakie manifestieren sich nicht immer im Magen-Darm-Bereich. Auch die Haut kann betroffen sein und es kann sich eine Dermatitis herpetiformis Duhring, kurz DHD, ausbilden. Männer sind von der Störung weit häufiger betroffen als Frauen, die Erscheinungen treten meist um das 30. Lebensjahr herum auf, bei Kindern ist die DHD selten.
Es handelt sich um eine chronische, stark juckende und blasenbildende Hauterkrankung, die auf der Basis einer Zöliakie entsteht. Initial fallen kleine rot gefärbte Papeln auf, die schubweise auftreten und stark jucken und gelegentlich auch brennen. Betroffen sind meist zunächst die Ellbogen, die Knie und der Fußspann, die Papeln könne sich schließlich auch im Gesäßbereich bilden, im Bereich der Kopfhaare, am Rücken und im Gesicht. Es kann zu reiskorngroßen Knötchen kommen, zu Bläschen, Erosionen und Krusten.
Auch beim Kochen ist auf mögliche Kontaminationen zu achten, etwa indem man beim Kochen von Nudeln zwei getrennte Töpfe verwendet und auch zwei getrennte Löffel beim Umrühren.
Die Diagnose der DHD erfolgt auf dem Boden von Hautbiopsien mit dem Nachweis von IgA-Ablagerungen. Indiziert ist außerdem eine Gastroskopie, die bei positivem Befund die charakteristische Zottenatrophie im Dünndarm nachweist. Meist findet sich dabei aber nur eine partielle Atrophie der Darmschleimhaut.
Die Hauterscheinungen können symptomatisch behandelt werden, der Erfolg solcher Maßnahmen ist aber limitiert. Anders bei glutenfreier Ernährung, die in aller Regel auch die Hauterscheinungen zum Verschwinden bringt.