Lymphangiom des Zungenrückens
Bei einer fünfjährigen Patientin war im Zusammenhang mit persistierenden Hustenanfällen eine Raumforderung des dorsalen Zungenrückens als mögliche Reizursache gefunden worden. Bei den üblichen Vorsorgemaßnahmen (U1 bis U8) war dieser Befund im Rahmen der orientierenden Untersuchungen zuvor nicht aufgefallen. Bis auf die jetzt hinzugetretene Reizsymptomatik waren (fremd-)anamnestisch keine Störungen des Schluckens, der Sprache und insbesondere keine Atemwegsobstruktion beobachtet worden. Der Entwicklungszustand des Kindes war altersentsprechend.
median am dorsalen Zungenrücken eine etwa 2,5 x 1,5 Zentimeter große, exophytisch Bei der klinischen Inspektion zeigte sich wachsende, bläschenartige Raumforderung, wobei neben blassen Anteilen auch vereinzelt blutgefüllte Bläschen erkennbar waren (Abbildung 1). Klinisch handelte es sich hier um den typischen Aspekt eines Lymphangioms. Bei endoskopischer Betrachtung erstreckte sich der Befund weit in den Zungengrund (Abbildung 2). Weitere Veränderungen an den enoralen Schleimhäuten waren nicht feststellbar, zudem lagen lokoregionär keine Lymphknotenschwellungen vor.
Der Befund wurde in Allgemeinnarkose lokal exzidiert, wobei sich intraoperativ nach klinischem Ermessen nur eine geringe Tiefenausdehnung zeigte. Das Resektat (Abbildung 3) zeigt noch einmal die bläschenförmigen ektatischen Lymphgefäßerweiterungen mit vereinzelten blutgefüllten Bereichen, die einer begleitenden hämangiomatösen Komponente der Läsion entsprechen.
Die histologische Aufarbeitung des Resektates zeigte vor allem intraepithelial und im subepithelialen Stroma sowie zum Teil auch gerade bis in die Zungenmuskulatur hineinreichend zahlreiche ektatische, dünnwandige Gefäße, teilweise mit einzelnen Lymphozyten im Lumen. (Abbildung 4). Die immunhistologische Markierung von Endothelzellen der Blutgefäße mit einem CD-34 Antikörper zeigt zwar eine deutliche Expression in kleinen umliegenden Kapillaren, in den eigentlichen Gefäßektasien der Läsion war die endotheliale Auskleidung aber durchgehend CD-34 negativ. Insgesamt ergab sich somit die Diagnose eines intraepithelialen, teilweise intramuskulären Lymphangioms der Zunge.
Diskussion
Lymphangiome sind nach überwiegender Auffassung gutartige hamartomatöse Raumforderungen aus versprengtem lymphatischem Gewebe. Sie werden den anlagebedingten, langsam durchflossenen Malformationen zugeordnet und sind somit gegen die nicht anlagebedingten, proliferierenden echten Neubildungen abzugrenzen, zu denen die Hämangiome gehören [Brennan et al., 1997]. Lymphangiome sind typische Läsionen des Kindesalters; 90 Prozent aller Fälle treten bis zum Alter von zwei Jahren auf. Selten sind Manifestationen während der Dentition oder gar nach der Pubertät beschrieben. Die bevorzugte Lokalisation dieser Entität ist die Kopf-Hals-Region (50 Prozent bis 75 Prozent aller Fälle). Die häufigste extraorale Manifestation ist hierbei das posteriore Halsdreieck. Enorale Lymphangiome finden sich vor allem im Bereich der Zunge und können im klinischen Bild einer Makroglossie resultieren. Hierbei ist die Tumorlokalisation häufig superfizial auf die (sub-)epitheliale Region beschränkt, allerdings kommt auch eine diffuse Infiltration des gesamten Zungenkörpers vor [Neville, 2002]. Exophytisch wachsende Läsionen imponieren durch den makroskopischen Aspekt einer aus vielen kleinen klaren Blasen bestehenden Raumforderung; sekundäre Einblutungen in einige dieser Blasen können diese jedoch dunkelrot verfärben (siehe Abbildung 2).
Infektionen der oberen Atemwege können bei dieser Entität, analog einer Lymphknotenschwellung, zu einer raschen erheblichen Größenzunahme führen. Diese Phasen infektbedingter Schwellung führen nicht selten zur Erstdiagnose [Neville, 2002], was auch bei dem hier vorgestellten Fall zu vermuten steht.
Ausgedehnte Lymphangiominfiltrationen können neben Sprech- und Schluckbeschwerden zu erheblichen Deformierungen der Weichgewebe führen und schwerwiegende sekundäre skelettale Deformierungen verursachen. Bei großen Lymphangiomen können infektbedingte Schwellungen zu lebensbedrohlichen Atemwegsverlegungen führen.
Im Gegensatz zu kindlichen Hämangiomen sind spontane Involutionen dieser Befunde selten. Aufgrund des oft schlechten Ansprechens auf sklerosierende Agenzien, wie Ethanol-Installationen, bleibt die chirurgische Exzision oder Reduktion des Befundes bislang häufig die einzige Therapie. Eine lokale Applikation lyophilisierter Streptokokken- Pyogene (OK-432) mit konsekutiver Erhöhung der Endothel-Permeabilität [Ogita et al., 1996] ist in der Literatur beschrieben worden, hat sich bei der Routine- Behandlung jedoch nicht durchsetzen können, ebenso wenig wie die intraläsionale Applikation von Glukokortikoiden [Farmand und Kuttenberger, 1996].
Die chirurgische Therapie ist gerade bei infiltrierend wachsenden Lymphangiomen sehr schwierig, da die Gewebsausläufer sehr schlecht abgrenzbar sind und häufig auch wichtige anatomische Strukturen unmittelbar betroffen sind. Oft können ausgedehnte Lymphangiome nur schrittweise reduziert und modelliert werden.
Für die Praxis soll dieser Fall an die zahlreichen anlagebedingten Gefäßanomalien des Gesichtes und der intraoralen Regionen erinnern, die nicht selten erst aufgrund eines akuten Geschehens (Infektbedingte Schwellung, Blutung) wahrgenommen werden.
Dr. Marc Oliver KleinProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainzkunkel@mkg.klinik.uni-mainz.de