Evolution - Wege des Lebens
Denn auch wir sind ein Produkt der Evolution und tragen diese Geschichte in uns. Wir haben fünf Finger, weil ein Fisch es vor Urzeiten geschafft hat, an Land zu laufen. Die schmerzhafte Geburt unserer Babys ist der Preis dafür, dass unsere Ururur-Großeltern anfingen, aufrecht zu gehen. Die Evolution erzählt uns etwas über die Entstehung des Lebens auf unserer Erde und die zahlreichen Abenteuer, die unsere „Vorfahren“ – Bakterien, Pflanzen, Tiere – in den letzten 3,8 Milliarden Jahren erlebt haben. Im Jahr 1859 veröffentlichte Charles Darwin ein bis heute bahnbrechendes Werk: „Die Entstehung der Arten“. Detailliert schildert Darwin darin, was er bei Tauben- und Hundezüchtern gelernt hatte: Dass es nämlich den Prototypen einer Art gar nicht gibt. Dass jedes Individuum einzigartig ist. All diese Varianten, argumentiert Darwin, stehen im Wettstreit miteinander um begrenzte Ressourcen wie Futter, Nistplätze und Sexualpartner. Die schlecht angepassten werden untergehen, während sich die vorteilhaften Varianten fortpflanzen und ihre Eigenschaften an die Nachkommen weitergeben können.
Seit Darwin prescht die Evolutionsforschung vorwärts. Vor drei Jahren gelang es Forschern, das menschliche Genom vollständig zu kartieren. Damit haben wir das Werkzeug in der Hand, in Zukunft besser zu verstehen, wie Krankheiten entstehen. Manche Wissenschaftler wollen jedoch mehr. Den Menschen verbessern, ihn quasi neu erschaffen. Designerbabys kreieren, mithilfe der Gentechnik in einem sehr frühen embryonalen Stadium, mit der gewünschten Augenfarbe, kräftigen Muskeln oder musikalischem Talent. All das liegt noch jenseits des technisch Möglichen. Und doch zeichnet sich bereits der Beginn einer Ära ab, in der der Mensch die Prinzipien der Selektion auf sich selbst anzuwenden beginnt.
Damals Wildschwein, heute Frühstücksspeck
Allein mit der Züchtung macht sich der Mensch das Prinzip der natürlichen Selektion zunutze, indem er Pflanzen und Tiere nach seinen Vorstellungen formt. Darwin nannte den Vorgang „künstliche Selektion“. Weil der Mensch sich über die Jahrtausende die Selektionsmechanismen der Evolution zu eigen machte und perfektionierte, wurde aus dem Wolf der Hund und aus dem Wildschwein der Frühstücksspeck. Ein Zuchtziel aber gibt es in der Natur nicht. Die Evolution ist eben nicht an einem bestimmten Ergebnis, einem Züchtungsprodukt interessiert. Im Gegenteil: Sie gebärdet sich erschreckend opportunistisch. Ohne wirkliches Ziel lebt die natürliche Selektion gleichsam in den Tag hinein. Der Verlauf der Evolution gleicht daher einem wirren Zickzackkurs voller Um- und Seitenwege, Zufälligkeiten und Planlosigkeit. Denn die Selektion orientiert sich nur am Überlebensvorteil der Nachkommen. Wohin dies in ferner Zukunft führt, ist ihr egal.
Doch warum gibt es überhaupt solche Quälgeister wie etwa die Stechmücke? Wozu brauchen wir diese lästigen Blutsauger? Darwins Antwort auf diese Frage war ebenso simpel wie genial. Er ging bei seiner Theorie von folgender Überlegung aus: Stets werden mehr Nachkommen produziert als am Ende überleben und sich fortpflanzen können. Jedes Individuum zeichnet sich dabei durch kleinste Abweichungen aus. Die natürliche Selektion wählt nun in jeder Generation jene Varianten aus, die sich im Überlebensspiel als etwas tauglicher erweisen als der Rest.
Winzige Variationen, die Verbesserungen mit sich bringen, liefern mithin das Rohmaterial für die Evolution. Jedes Tier, jeder Mensch, jedes Lebewesen ist durch die ihm eigene Kombination genetischer Eigenschaften einmalig. Sind Söhne und Töchter ihren Eltern noch so ähnlich – nie sind es identische Kopien. Dank der Verschmelzung männlicher und weiblicher Erbinformation sind sie vielmehr Träger einer zuvor nie dagewesenen Neukombination elterlicher Gene. In jeder Runde dieses Lebensspiels werden die Karten neu gemischt.
Harte Spielregeln
Die Spielregeln sind hart, und sie sind schlicht: Es gibt nur Gewinner und Verlierer. Gewonnen hat, wer eine große Zahl von Nachkommen hinterlässt, die Teile seiner genetischen Druckplatte in die nächste Generation tragen. Wer das nicht schafft, ist draußen. Mit jeder Generation startet eine neue Runde. Die Umwelt spielt dabei den Schiedsrichter. Sie bewertet den evolutionären Erfolg danach, wie gut Lebewesen auf die jeweiligen Erfordernisse der Umgebung eingestellt sind. Das kleinste Versehen, jede Schwäche wird mit dem Platzverweis, das heißt, dem Ausscheiden aus dem evolutionären Prozess geahndet – ohne Aussicht auf Bewährung. Auf diese Weise sucht die Natur allerorten nach besseren Wegen.
Zurück zur Stechmücke. Leicht vorstellbar ist, dass ihre Vorfahren einst entdeckten, wie nahrhaft das Blut von Wirbeltieren ist, etwa indem sie an einer blutigen Wunde gesaugt oder geleckt haben. Diejenigen hatten dabei einen Vorteil, die ihre Mundwerkzeuge derart anpassten, dass sie immer effektiver die Haut von Warmblütlern durchdringen konnten und keine Wunde mehr brauchten, um an das Blut zu gelangen. Wer unter den Mücken nachfolgender Generationen auch noch verhinderte, dass das Blut geronn, etwa durch Zugabe eines Stoffes, der die Blutgerinnung hemmt, hatte gewonnen, pflanzte sich also besser fort.
Stechmücken gehören damit genauso zu den bizarren Zufallsprodukten der Natur wie wir Menschen selbst. Denn weder hatte die natürliche Selektion den Menschen zum Ziel. Noch gab es für sie einen Grund, uns den lästigen und mitunter sogar gefährlichen Minivampir zu ersparen.