Jungfernfahrt der MS Africa Mercy

Schwimmendes Krankenhaus

Als „Dronning Ingrid“ hatte sie tonnenschwere Eisenbahnen zwischen Warnemünde und dem dänischen Gedser transportiert, unter dem Namen „MS Africa Mercy“ geht die ehemalige Fähre als größtes privates Krankenhausschiff der Welt auf neuen Kurs: Hilfseinsatz im vom Krieg zerrütteten Liberia. Nachdem das Schiff für mehr als 44 Millionen Euro in ein hochmodernes schwimmendes Krankenhaus umgebaut wurde, hat es nun die technischen Tests auf offenem Meer bestanden und befindet sich ab Mitte Mai auf Jungfernfahrt. Mit an Bord: sechs Operationssäle, eine Apotheke, eine Schule und eine mobile Zahnarztklinik.

„Dies ist ein bedeutender Tag für alle, die bei Mercy Ships involviert sind“, sagt Wolfgang Groß, Vorstandsvorsitzender von Mercy Ships Deutschland. „Hunderte haben während der letzten Jahre unermüdlich an diesem Projekt gearbeitet.“ Die Tests fanden unter Aufsicht der internationalen Zertifizierungsgesellschaft, Bureau Veritas, auf der Nordsee statt. Alle an Bord befindlichen technischen Systeme wurden unter der Leitung des Kapitäns und seiner Technikern 24 Stunden lang erprobt.

Einsatz für Millionen

Von einer Gruppe junger Leute im Jahr 1978 gegründet, hat das weltweit operierende Hilfswerk Mercy Ships in 54 Entwicklungsländern mehr als 1,7 Millionen Menschen mit mehr als 1,5 Millionen Hilfsdiensten im Wert von mehr als 460 Millionen Euro geholfen. Mit den Schiffen MS Anastasis und MS Caribbean haben Mitarbeiter aus 40 Ländern insgesamt 555 Häfen in 70 Ländern besucht. Mehr als 195 000 Patienten wurden in Feldkliniken behandelt sowie über 26 000 Operationen und 162 000 zahnmedizinische Behandlungen durchgeführt. Dabei verteilte die Hilfsorganisation Krankenhausbedarf und Medikamente im Wert von über 27 Millionen Euro. Mehr als 800 Projekte in den Bereichen Bau, Landwirtschaft und Wasserversorgung konnten bislang verwirklicht werden.

„Jedes Schiff hat Rettungsboote, aber dieses Schiff selbst ist ein Rettungsschiff für Tausende, die in Afrika auf seine Ankunft warten“, sagt Don Stephens, Gründer von Mercy Ships. „Das riesige weiße Krankenhausschiff symbolisiert Hoffnung, wenn es in einem afrikanischen Hafen liegt.“ Eingesetzt wird das schwimmende Krankenhaus vor allem an der Westküste Afrikas. „Die Menschen in Afrika sind am ärmsten“, betont Doris Rypke, Interessentenbetreuerin bei Mercy Ships Deutschland. Nach 14 Jahren Bürgerkrieg sei in Liberia die Not besonders groß. „Ende Juli werden die Operationen wieder beginnen.“

Hilfe zu Wasser und Lande

Die medizinische Hilfe an Bord wird vorwiegend aus speziellen chirurgischen Eingriffen bestehen. Vor allem sollen gutartige, aber dennoch lebensbedrohliche äußerliche Tumoren entfernt werden, da sie in Liberia häufig auftreten. Die Ärzte haben auch vor, entstellende Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zu schließen und bei Frauen Vesico-Vaginal- Fisteln zu entfernen. Hinzu kommen orthopädische Operationen bei Knochenfehlstellungen sowie bei schlecht verheilten Verbrennungswunden. Augenchirurgisch sind Eingriffe bei Patienten geplant, die an Grauem Star erkrankt sind. Mit Glasaugen soll zudem Menschen geholfen werden, die etwa durch eine Verletzung oder einen Tumor ein Auge verloren haben.

Neben Einrichtungen auf dem Schiff, wie Operationssälen, einem Röntgenraum oder Computertomographen, gibt es eine mobile Zahnklinik, die in Liberia an Land gehen wird. „Das zahnmedizinische Team mietet einen Raum in der Nähe des Schiffes“, erklärt Rypke, „und fährt täglich dort hin, um die Menschen von ihren oft jahrelangen Zahnschmerzen zu erlösen.“ Um Patienten aus dem westafrikanischen Land zahnmedizinisch und medizinisch zu versorgen, seien zeitgleich maximal vier Zahnärzte, zehn Ärzte und fünf bis sechs Anästhesisten an Bord des Krankenhausschiffes eingeplant.

Wie bei früheren Einsätzen ergänzen Teams und Projekte im Landesinneren die Hilfe: Während an Bord operiert wird, werden an Land Brunnen, Latrinen, Schulen und Kliniken gebaut. Deshalb gibt es auch auf der Africa Mercy ein Entwicklungshilfeteam, das verschiedene Ausbildungs- und Bauprojekte betreut. Ziel dabei ist es laut Rypke, langfristige und nachhaltige Hilfe zu leisten. Deshalb würden beispielsweise Brunnen so angelegt, dass die Einheimischen sie selbst instand halten könnten.

Neue Helfer und Hilfsgüter

Doch bevor der eigentliche Hilfseinsatz zu Wasser und zu Lande losgehen kann, ist noch eine Menge zu tun. „Wir konzentrieren uns jetzt auf das Laden der Hilfsgüter und Vorräte sowie den Einzug der ehrenamtlichen Besatzung“, erklärt Groß. Ein Operationsmikroskop für Augenoperationen, pathologische Geräte für das Labor, Monitore für den Aufwachraum und die Intensivstation – wichtige medizinische Ausrüstung wurde zuletzt in Blyth, England verladen und auch beim Zwischenstopp in Rotterdam kamen weitere Hilfsgüter auf die umgebaute Fähre, die eine Spenderin dem Hilfswerk geschenkt hatte

Kurs auf Liberia nimmt das schwimmende Krankenhaus schließlich ab Mitte Mai, wo ein Großteil der Besatzung an Bord gehen wird. Der erste Einsatz auf dem neuen Schiff bedeutet für viele Crewmitglieder auch Abschied nehmen. Denn die MS Africa Mercy löst im Hafen der liberianischen Hauptstadt Monrovia das bisherige Flaggschiff der Mercy-Ships-Flotte ab, das in den Ruhestand geht. Der Umzug von Menschen und Material wird am 1. Juni beginnen. Auf der in die Jahre gekommenen MS Anastasis gibt es derzeit sieben deutsche Mitarbeiter, darunter eine Laborantin, eine Krankenschwester, einen Entwicklungshelfer, einen Matrosen und eine Reinigungskraft. Einige werden auch auf die Africa Mercy umziehen, darunter eine Familie mit vier Kindern. Mit sechs Operationssälen und einer Krankenstation für 78 Patienten hat die ehemalige Eisenbahnfähre die Kapazität, doppelt so vielen Menschen wie ihre Vorgängerin zu helfen. Und auch für mehr Mitarbeiter ist Platz: 474 Betten stehen bereit, auf der Anastasis waren es über 120 weniger. Denn: Nicht nur Ärzte, Zahnärzte und Krankenschwestern, sondern auch Lehrer, Entwicklungshelfer, Bauarbeiter, Köche, Ingenieure und natürlich Seeleute werden auf dem neuesten Schiff in der Flotte der Hilfsorganisation für einen reibungslosen Ablauf des Projekts in Liberia sorgen. Auch für die Bedürfnisse der internationalen Crew ist gesorgt: Auf dem Schiff gibt es eine Zahnarztpraxis für die Mannschaft. „Viele Mitarbeiter sind mehrere Monate oder Jahre mit dabei und da ist es wichtig, dass diese bei Zahnproblemen auch medizinische Hilfe bekommen können“, sagt Rypke. Eine Schule wartet ebenfalls auf bis zu 60 Kinder der Crew.

Ehrenamtlich an Bord

„Alle Mitarbeiter an Bord sind ehrenamtlich tätig und zahlen für ihre Unterkunft und Verpflegung einen monatlichen Beitrag“, erklärt Rypke. Das gelte auch für Dr. Gary Parker, den Chefchirurgen, der seit mehr als 18 Jahren bei Mercy Ships arbeite. Die meisten Mitarbeiter verpflichteten sich jedoch kürzer. „Viele Ärzte kommen auch für drei bis vier Wochen“, sagt die Interessentenbetreuerin. Ihr Einsatz müsse gut geplant werden. „Die Personalabteilung muss nicht nur einen Job, sondern auch einen Kabinenplatz vergeben.“ Langzeitmitarbeiter finanzierten ihre Mitarbeit in der Regel, indem sie sich einen eigenen Unterstützerkreis wie Kirchen oder Freunde aufbauten.

Hinter der Arbeit des Hilfswerks steht die erklärte Vision, nach Jesu Vorbild „Liebe praktisch sichtbar zu machen und den Bedürftigen dieser Welt Hoffnung und Hilfe zu bringen“. Unter diesem Zeichen wird die MS Africa Mercy nach Ende ihres Liberiaeinsatzes im November diesen Jahres und einer kurzen Pause nach Sierra Leone aufbrechen.

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