Erosionen: Befund, Diagnose, Risikofaktoren, Prävention
Die Zahnerosion wird definiert als oberflächlicher Zahnhartsubstanzverlust, verursacht durch einen chemischen Prozess ohne Bakterienbeteiligung [Zipkin & Mc Clure, 1949]. Sowohl exogene als auch endogene Faktoren können Erosionen verursachen. Zu den exogenen Ursachen gehören der häufige Konsum säurehaltiger Lebensmittel sowie die berufsbedingte Säureexposition [Holloway et al., 1958; Ten Bruggen Cate, 1968; Levine, 1973; Linkosalo & Markkanen, 1985]. Anorexia und Bulimia nervosa mit häufigem Erbrechen sowie chronische Magen-Darmstörungen sind die wichtigsten endogenen Faktoren [Järvinen et al., 1988; Milosevic & Slade, 1989; Meurman et al., 1994; Scheutzel, 1996].
In der initialen Phase dieses Prozesses wird der Schmelz flächenhaft demineralisiert, wobei klinisch keine Erweichung der Oberfläche feststellbar ist. Fortgeschrittene Erosionen können bis ins Dentin reichen. Dieser Substanzverlust wird beschleunigt, wenn zusätzlich abrasive Prozesse auf die Zahnoberfläche einwirken. Es ist oft möglich, aufgrund der Lokalisation und Morphologie eines erosiven Defektes der Zahnhartsubstanz Aufschluss über dessen Ursache zu erhalten. So treten palatinale Erosionen oft bei endogener, labiale Erosionen eher bei exogener Ätiologie auf [Lussi et al., 1991; Järvinen et al., 1992].
Klinisches Erscheinungsbild
Vestibuläre Erosionen zeigen im Anfangsstadium eine seidenglänzende, manchmal matte, später eine eingedellte und gestufte Oberfläche (Abbildung 1). Am marginalen Kronenrand persistiert eine Schmelzleiste. Die Erhaltung dieser Schmelzleiste kann einerseits erklärt werden durch Plaquerückstände, welche eine Diffusionsbarriere gegen den Säureangriff bilden, andererseits durch den Sulkus-Fluid, der zur Neutralisation der Säuren im Gingivabereich führt [Lussi et al., 2004a]. Erosionen im Okklusalbereich führen zu abgerundeten, eingedellten Höckern mit zum Teil Defekten bis ins Dentin. Typisch sind Füllungsränder die über die benachbarte Zahnhartsubstanz hinausragen. Eine flächenhafte Entkalkung der Zahnhartsubstanz ist charakteristisch für palatinale Erosionen (Abbildungen 2 bis 5). Um die Progression der Erosion zu erfassen, sollten periodisch Fotos oder Modelle angefertigt werden.
Prävalenz und Progression
Über die Häufigkeit und das Fortschreiten von Erosionen bei Erwachsenen gibt es nur wenige Studien. In einer Studie wurden 391 zufällig ausgewählte Personen bezüglich Erosionen untersucht [Lussi et al., 1991]. Acht Prozent der untersuchten 26- bis 30-jährigen und 14 Prozent der 46- bis 50-jährigen Personen zeigten mindestens eine vestibuläre Erosion bis ins Dentin. Diese Patienten hatten durchschnittlich vier befallene Zähne. Okklusale Erosionen waren häufiger. 30 Prozent der jüngeren und 43 Prozent der älteren Gruppe zeigten hier Erosionen mit Entblößung des Dentins. Palatinale Erosionen mit Dentinbeteiligung waren in dieser zufällig ausgewählten Stichprobe mit nur knapp zwei Prozent befallener Zähne selten. Ebenfalls häufig waren keilförmige Defekte. Es zeigte sich, dass in der Schweiz 19 Prozent der 26- bis 30-jährigen und 47 Prozent der 46- bis 50-jährigen Probanden tiefe keilförmige Defekte (> 1 mm) aufwiesen [Lussi et al., 1993a].
Erosionen schreiten fort, wenn keine Prävention erfolgt. Bei der Nachuntersuchung von 55 Personen mit erosiven Läsionen fanden Lussi & Schaffner [2000] eine signifikante Progression dieser Defekte nach sechs Jahren. Das Fortschreiten der Erosionen korrelierte primär mit dem Konsum saurer Nahrungsmittel und Getränke, sowie mit dem Alter. Zudem zeigte diese Studie, dass die Progression der erosiven Defekte bei Patienten signifikant erhöht war, die vier oder mehr saure Speisen oder Getränke pro Tag einnahmen, eine geringe Pufferkapazität des Speichels aufwiesen und Zahnbürsten mit harten Borsten benutzten.
Risikofaktoren
Faktoren auf der ErnährungsseiteSchon sehr lange ist bekannt, dass saure Nahrungsmittel und Getränke die Zahnhartsubstanz erweichen können. Der Anteil von Softdrinks und Fruchtsäften am totalen Getränkekonsum nimmt in Europa stetig zu und liegt bei über 50 Prozent des Konsums von nicht alkoholischen Getränken. Das macht für die Schweiz pro Person und Jahr mehr als 40 Liter aus [Unesda/Cisda, 2001]. Eine Untersuchung bei 14-jährigen Kindern (209 Knaben/209 Mädchen) zeigte, dass 80 Prozent der Kinder regelmäßig Softdrinks konsumierten. Mehr als zehn Prozent dieser Kinder tranken mehr als drei Mal täglich Softdrinks. Die Erosivität eines Getränkes oder Nahrungsmittels wird aber nicht nur durch die Konsumhäufigkeit und den pH-Wert bestimmt, sondern auch durch die Pufferkapazität, die Chelatoreigenschaften und andere Faktoren wie Kalzium- oder Phosphatgehalt. Getränke und Nahrungsmittel können trotz ähnlicher pH-Werte ein unterschiedliches erosives Potential aufweisen. Je größer die Pufferkapazität eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist, desto länger wird es dauern, bis der pH-Wert durch den Speichel erhöht werden kann. Der Kalzium- und Phosphatgehalt eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist sehr wichtig. Immersion von Schmelzproben in einem kalziumangereicherten, im Handel erhältlichen Orangensaft zeigte keine Erweichung der Schmelzoberfläche. Dieser Orangensaft (pH 4) kann als „functional food“ auch erosionsgefährdeten Patienten empfohlen werden. Joghurt ist ein anderes Beispiel für ein Nahrungsmittel, das trotz des tiefen pH-Wertes (pH ~ 4) zu keinen Erosionen führt. Dieser Sachverhalt ist auf die hohe Konzentration von Kalzium und Phosphat zurückzuführen, die eine Übersättigung von Joghurt bezüglich der Zahnhartsubstanz bewirkt. Der Fluoridgehalt des Getränkes oder Nahrungsmittels scheint je nach Konzentration auch bei Erosionen einen gewissen protektiven Effekt zu haben [Lussi et al., 1993b, 1995; Mahoney et al., 2003].
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die chemischen Eigenschaften von verschiedenen Getränken und Nahrungsmitteln und ihr erosives Potential. Das Ausgangs-pH, die titrierbare Basenmenge bis pH 7,0 („Pufferkapazität“), die Phosphat-, Kalzium- und Fluoridkonzentration, sowie die Veränderung der Oberflächenhärte von Schmelzproben nach 20-minütiger Immersion in den verschiedenen Testlösungen sind aufgeführt [Lussi et al., 2004a]. In Orangen- Joghurt eingelegte Schmelzproben zeigten eine Erhärtung der Schmelzoberfläche. Im Unterschied dazu zeigte Orangensaft eine starke Erweichung der Schmelzhärte (-209 Knoop Härtegrade). Die Unbedenklichkeit von Mineralwasser bezüglich Erosionen wurde auch in anderen Untersuchungen festgestellt [Parry et al., 2001].
Neben den bereits besprochenen Eigenschaften von erosiven Nahrungsmitteln und Getränken gibt es noch andere Faktoren, die in vivo einen Einfluss auf die Entstehung von dentalen Erosionen haben. So können zum Beispiel die Chelatoreigenschaften von Säuren den Erosionsprozess beeinflussen; einerseits durch Interaktion mit dem Speichel, andererseits direkt durch Zahnhartsubstanzauflösung. Bis zu 32 Prozent des Speichelkalziums können in einem Kalzium-Chelator-Komplex der Zitronensäure gebunden werden [Meurman & Ten Cate, 1996].
Faktoren auf der PatientenseiteDie Art der Aufnahme der erosiven Nahrungsmittel oder Getränke (schluckweise, saugend, mit/ohne Trinkhalm) bestimmen die Dauer sowie die Lokalisation des Säureangriffes und damit das Erscheinungsbild der Erosionen [Millward et al., 1997; Edwards et al., 1998: Johansson et al., 2004]. Die Häufigkeit und Dauer von Säureangriffen sind von entscheidender Bedeutung für die Zahnhartsubstanzzerstörung und damit auch für das Ergreifen von Prophylaxemaßnahmen. Der Kontakt der Zähne mit Säuren während der Nacht kann infolge der verminderten Speichelproduktion ebenfalls zu Erosionen führen. So kommt es zum Beispiel durch die Aufnahme von säurehaltigen, süßen Getränken, welche manche Kleinkinder dauernd während der Nacht trinken, neben der Kariesbildung zu massiven erosiven Zahnhartsubstanz-Destruktionen. Ebenso ist eine nachts getragene Schiene bei Refluxpatienten kontraindiziert, da die Kontaktzeit der Magensäure wegen der nicht überall dichten Schiene verlängert wird.
Andere Risikofaktoren auf der Patientenseite sind Anorexia und Bulimia nervosa mit häufigem Erbrechen sowie chronische Magen- Darmstörungen mit Reflux. Die Prävalenz von Bulimia nervosa bei 18- bis 35- jährigen Frauen in den westlichen Industriestaaten ist relativ hoch (fünf Prozent) und immer noch ansteigend [Cooper et al., 1987]. Die meisten Patienten, welche unter Anorexia nervosa leiden sind 12 bis 20 Jahre alt. Die Prävalenz der Anorexia beträgt in dieser Altersgruppe zwei Prozent [Diagnostic and statistical manual of Mental Disorders, DSM-III-R]. Die Diagnosestellung ist bei stark untergewichtigen Anorexiepatienten oft nicht schwierig. Die Bulimiepatienten behalten in der Regel ihr Normgewicht, so dass bis zur Erkennung ihrer Krankheit häufig mehrere Jahre vergehen können. Das chronische Erbrechen führt in der Regel zu Erosionen im Bereich der okklusalen und oralen Zahnoberflächen der Oberkieferzähne, insbesondere im Bereich der Inzisiven [Hellström, 1977; Scheutzel, 1992; Jones & Cleaton-Jones, 1989; Milosevic & Slade, 1989; Robb et al., 1995]. Orale und okklusale Erosionen im Bereich der Oberkieferzähne, eine zum Teil schmerzhafte, metabolisch bedingte Vergrößerung der Parotis und manchmal der submandibulären Speicheldrüsen, Xerostomie, Erytheme im Bereich der Rachen- und Gaumenschleimhaut sowie schmerzhafte Rötung und Schwellung der Lippen mit Schuppung und Rhagadenbildung sind häufige Symptome bei Bulimiepatienten [Abrams & Ruff, 1986]. Das Auftreten dieser Krankheitszeichen und eine entsprechende Gesundheitsund Ernährungsanamnese sollten beim Zahnarzt den Verdacht auf eine Bulimieerkrankung wecken. Oft ist der Zahnarzt die erste ärztliche Person, die die Bulimie erkennt. Aber auch gastroösophagealer Reflux mit Regurgitation während des Schlafes kann zu gravierenden erosiven Läsionen führen. Diese Patienten bemerken oft ihr Leiden erst, wenn thermosensible Zähne aufgrund fortgeschrittener Erosionen vorhanden sind. Andere Symptome sind Magenschmerzen, Brennen im Oesophagus/ Rachen-Bereich und Säuregefühl in der Mundhöhle. Da die Patienten ihr Aufstoßen oft als relativ normal ansehen, müssen sie bei Verdacht direkt gefragt werden. Dies muss mit viel Gefühl geschehen, da es sich wie erwähnt auch um magersüchtige Patienten handeln könnte. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass saures Aufstoßen häufig schon bei Kindern zu beobachten ist.
Ein weiterer sehr wichtiger Faktor ist der Speichel. Einige schützende Eigenschaften des Speichels bei einem Säureangriff sind: Säureverdünnung, Säureabbau, Säureneutralisation, Verminderung der Schmelzauflösung durch das Vorhandensein von Kalzium- und Phosphationen im Speichel, Remineralisation und Pellikelbildung [Zero & Lussi, 2000]. Mehrere Studien haben die Wichtigkeit von Speichel für den Abbau und die Neutralisation von Säuren sowie Remineralisation auf der Zahnoberfläche bestätigt [Järvinen et al., 1991; Meurman et al., 1994; Lussi & Schaffner, 2000; Eisenburger et al., 2001; Feagin et al., 1969; Gedalia et al., 1991; Zero et al., 1994].
In diesem Zusammenhang ist die Verfügbarkeit von Fluoriden von Wichtigkeit. Ganss et al. [2001] wiesen nach, dass durch regelmäßige Fluoridierungen die Progression von Erosionen auf humanem Schmelz und Dentin in vitro reduziert werden konnte. Schmelz- und Dentinproben wurden über fünf Tage multiplen De- und Remineralisationszyklen unterworfen. Säureangriffe, Fluoridapplikationen und Remineralisationsperioden wechselten einander ab. Diejenigen Schmelzproben, die periodisch fluoridiert wurden, zeigten eine signifikante Reduktion der Erosionsprogression. Bei den Dentinproben mit Fluoridierung war dieser Effekt noch ausgeprägter. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass eine noch bessere Wirkung der Fluoride erreicht wird, wenn diese vor der Erosion auf die Zahnhartsubstanz appliziert werden. Durch die Bildung der protektiven Kalziumfluorid-Deckschicht kommt es zu geringeren erosiven Läsionen und dadurch auch zu kleineren Abrasionsdefekten. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Schutz mit der Präzipitation von kalzium-fluoridartigem Material auf der Schmelzoberfläche in Zusammenhang steht. Die Bildung eines Kalziumfluoridpräzipitates auf der Zahnoberfläche wirkt als Schutz gegen Säureangriffe. Bei einem pH-Abfall kommt es zuerst zu einer Auflösung dieser Deckschicht, bevor der darunterliegende Schmelz angegriffen wird [Ganss et al., 2001]. Man weiß bis heute noch nicht sicher, wie schnell dieses Kalziumfluoridpräzipitat in vivo auf einer gesunden Zahnoberfläche gebildet wird. Es wurde hingegen gezeigt, dass in vitro dieses kalziumfluoridartige Mineral sehr schnell gebildet werden kann, dass ein leicht saures pH des Fluoridgels diese Bildung fördert und dass auch der Kalziumgehalt des Speichels an der Bildung der Präzipitate beteiligt ist [Petzold, 2001].Der Fluorideinsatz vor dem Säureangriff ist oft nicht praktikabel, denn es wird sich kaum jemand dazu bereit finden, bewusst vor der Aufnahme potentiell erosiver Getränke und Nahrungsmittel oder vor dem Erbrechen Fluoride zu applizieren. Hingegen ist ein Schutz vor dem nächtlichen Aufstoßen durch entsprechende vorhergehende Fluoridprophylaxe einfach durchführbar.
Eine unterschiedlich ausgeprägte Pellikelbildung im Bereich des Zahnbogens könnte verantwortlich sein für die unterschiedliche Verteilung der Erosionen [Amaechi et al., 1999]. Zähne mit dicker Pellikelbildung (UK-Zähne lingual) wiesen im Versuch (Lagerung der Zähne während zwei Stunden in Orangensaft) eine geringere Erosionsbildung, Zähne mit dünner Pellikelbildung (OK-Frontzähne palatinal) eine hohe Erosionsbildung auf.
Neben Radiotherapie im Nacken-Schädelbereich können Medikamente zu einer Reduktion der Speichelsekretion führen. Dazu gehören Tranquilizer, Anticholinergika, Antihistaminika, Antiemetika und Antiparkinsonpräparate. Erosionspatienten sollen deshalb immer auch bezüglich regelmäßig eingenommener Medikamente befragt und deren Nebenwirkung abgeklärt werden. Da die Beeinflussung der Speichelsekretion durch Medikamente großen individuellen Schwankungen unterworfen ist, lohnt es sich unter Umständen, nach Absprache mit dem behandelnden Arzt, das Medikament zu wechseln. Es ist zu beachten, dass längere und häufige Zahnkontakte von Medikamenten mit niedrigem pHWert Erosionen selber direkt verursachen oder zumindest beschleunigen können. Die früher oft vorgekommenen berufsbedingten Erosionen sind heute selten. Trotzdem sollte auch dieser Punkt abgeklärt werden. Insbesondere wurden Fälle von Spitzensportlern beschrieben, die durch mehrstündiges Training in chloriertem Wasser mit unter Umständen schlecht eingestelltem pH-Wert, oder durch Auflegen von Zitronenschnitzen in der Umschlagfalte ausgeprägte Erosionen entwickelten. Isotonische Sportgetränke sind oft sauer und untersättigt bezüglich HAP oder FAP und können zu Erosionen bei Sportlern führen (siehe Tabelle 1).
Die Dynamik des erosiven Prozesses
Der Erosionsprozess kann in zwei Stadien eingeteilt werden: In der Anfangsphase findet man als Folge einer partiellen Demineralisation eine Erweichung der Zahnoberfläche. In diesem Stadium ist eine Remineralisation möglich, da die noch vorhandenen Schmelzanteile als Gerüst dienen, in welches wieder Mineralien eingelagert werden können. In einem zweiten, fortgeschrittenen Stadium sind die Strukturen der oberflächlichen Schmelzschichten vollständig zerstört und daher eine Remineralisation dieser Schmelzanteile nicht mehr möglich. Es kann hingegen zu einer Remineralisation der tieferen noch nicht zerstörten aber erweichten Zahnhartsubstanzanteile kommen. In der Regel besteht in der Mundhöhle ein Gleichgewicht zwischen De- und Remineralisationsvorgängen. Falls die Säureeinwirkung gegenüber den Reparationsvorgängen überwiegt, kommt es zur klinischen Manifestation von dentalen Erosionen. Der Zahnhartsubstanzverlust wird beschleunigt, wenn zusätzlich abrasive Prozesse vorhanden sind. Erosiv veränderte Zahnhartsubstanz wird stärker durch Abrasions- und Attritionsprozesse in Mitleidenschaft gezogen als gesunder Schmelz [Davis & Winter, 1980, Kelly & Smith, 1988; Jaeggi & Lussi, 1999; Attin et al., 2000, 2001; Lussi et al., 2004b,c]. In einer Untersuchung, bei der im Labor Schmelzproben während drei Minuten (Min.) standardisiert mittels 0,1 molarer Zitronensäure (pH = 3,5) erodiert wurden, konnte nach dem Zähneputzen mit einer weichen Zahnbürste und einer normal abrasiven Zahnpaste nach 30 Sekunden in situ 0,26 Mikrometer (μm) Schmelzverlust gemessen werden. Nach einer 60-minütigen Wartezeit zwischen Erosions- und Abrasionsprozess und zwischenzeitlicher intraoraler Exposition (Speichel) betrug der Schmelzverlust 0,20 μm. Für die nicht mit Säure behandelte Kontrollgruppe betrug der Zahnhartsubstanzverlust nur 0,025 μm. Der Schmelzverlust durch Zahnbürstabrasion war beim erosiv veränderten Schmelz um einen Faktor zehn höher als beim gesunden Schmelz [Jaeggi & Lussi, 1999; Lussi et al., 2004c]. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass funktionelle und parafunktionelle Kontakte zwischen Zahnhartsubstanz und Weichgeweben, sowie übermäßiges Zähneputzen zu einem erhöhten Substanzverlust bei erosiv verändertem Schmelz und Dentin führen kann.
Fluoridapplikation bietet einen gewissen Abrasionsschutz der Zahnhartsubstanz. Attin et al. [1998] fanden in einer Studie, bei der Rinderschmelzproben de- und remineralisiert und mit einem sauren Fluoridgel- Speichel-Gemisch standardisiert abradiert wurden, dass Proben, die mit dem leicht sauren Elmex Fluoridgel behandelt wurden, eine signifikant größere Abrasionsresistenz aufwiesen als Proben, die ohne Fluorid oder mit einem neutralen Fluoridgel behandelt wurden [Attin et al., 1999]. In eigenen in situ Versuchen (Abbildung 6) untersuchten wir den Einfluss verschiedener Fluoridapplikationen auf die Prävention der Zahnbürstabrasion. Schmelzproben wurden mit unterschiedlichen Fluoriden vorbehandelt und anschließend für drei Minuten in 0,1 molare Zitronensäure (pH 3,5) gelegt. Nach der oberflächlichen Demineralisation wurden die Schmelzproben an eine intraorale Apparatur befestigt und für 60 Minuten dem Speichel ausgesetzt. Anschließend wurden die Zähne für 15 Sekunden in situ mit einer mittel-abrasiven Zahnpaste gebürstet. Dann wurde der Verlust der Zahnhartsubstanz gemessen. Es zeigte sich auch hier, dass das leicht saure und konzentrierte Aminfluoridgel nach kurzer Applikationsdauer, dank der guten Fähigkeit, CaF2-artige Partikel zu bilden, am besten schützt. Die schützende Wirkung der leicht sauren Aminfluoride wurde in zwei weiteren in diesem Jahr erschienen Studien bestätigt [Lagerweij et al., 2006; Lennon et al., 2006].
Risikoabklärung und Prävention
Sobald Erosionen klinisch festgestellt werden oder Anzeichen für ein erhöhtes Erosionsrisiko vorhanden sind, sollte beim Patienten eine genaue Risikoabklärung durchgeführt werden. Die besprochenen Faktoren (siehe Tabelle 1,2) sollten dabei untersucht und gewertet werden. Ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten kann über die Ätiologie der Erosionen Aufschluss geben. Häufig genügt eine Befragung nicht, da der Patient sich seines Säureinputs oft nicht bewusst ist. Es kann angebracht sein, verschiedene Parameter genau zu untersuchen. So ist es wichtig, die Ernährung während einiger Tage vom Patienten detailliert aufschreiben zu lassen. Es interessiert, wann, was und wie viel an potentiell erosiven Nahrungsmitteln und Getränken eingenommen wurde (Hauptund Zwischenmahlzeiten). Eine Speichelanalyse (Fließrate, Pufferkapazität) wird bei uns bei Erosionspatienten immer gemacht. Aufgrund dieser Angaben lassen sich schließlich konkrete Prophylaxe-Ratschläge ableiten (Tabelle 3).
Das Ziel der Ernährungsabklärung ist eine Reduktion des Säureinputs. Einerseits wird dies durch eine Verminderung des Konsums von säurehaltigen Nahrungsmitteln und Getränken, andererseits durch raschen Verzehr der erosiven Lebensmittel (Reduktion der Verweildauer in der Mundhöhle) erreicht. Bei endogener Säurebelastung, wie sie bei Anorexia/Bulimia nervosa oder gastroösophagealem Reflux vorkommt, muss eine kausale systemische Therapie eingeleitet werden. Anorexia- und Bulimia-Patienten benötigen eine psychologische oder psychiatrische Betreuung. Bei Refluxpatienten steht eine genaue Abklärung der Ursache mit anschließender Behandlung (medikamentös, operativ) im Vordergrund. Es ist sinnvoll, bei Patienten mit aktiven erosiven Läsionen eine adäquate Zahnhygiene zu instruieren: Der Erosionspatient muss informiert werden, dass er die Zähne nicht unmittelbar nach der Säureexposition reinigt. Man darf dabei nicht vergessen, dass Karies immer noch das Hauptproblem darstellt. Für die Prophylaxe der Karies muss sofort nach dem Essen gereinigt werden. Es ist wichtig, dass eine Fachperson individuell optimale Prophylaxeratschläge gibt. Nur so kann gewährleistet werden, dass die adäquaten Prophylaxeschritte eingeleitet und weitergeführt werden. In jedem Fall sollen eine schwach abrasive Zahnpaste, eine weiche Zahnbürste und eine schonende Bürsttechnik angewendet werden. Als zusätzliche Prophylaxemaßnahme empfehlen wir den Einsatz von leicht sauren Fluoridgelen, die jeweils während einiger Minuten appliziert werden (siehe auch Abbildung 6).
Erosion, Attrition und Abrasion manifestieren sich oft gleichzeitig, wobei meist ein Faktor überwiegt. Beim Abgeben von Prophylaxeempfehlungen sollten alle Prozesse, die die Zahnhartsubstanz zerstören, einbezogen werden. Abbildung 7 gibt eine Übersicht der Interaktion der verschiedenen Faktoren [Lussi et al., 2005].
Zusammenfassung
Diese Übersichtsarbeit geht auf die multifaktorielle Ätiologie der Erosionen ein. Im Detail werden das klinische Erscheinungsbild, Risikofaktoren für die Entstehung, sowie präventive Maßnahmen beschrieben. Wichtig ist es zu unterscheiden, ob es sich bei einer Läsion primär um einen erosiven oder einen abrasiven Prozess handelt. Anamnese, Befund und richtige Diagnostik sind auch hier unabdingbare Voraussetzungen für eine adäquate Prävention und Therapie. Die Auswertung der Diätanamnese und daraus folgende Empfehlungen benötigen genaue Kenntnisse des erosiven Potentials der verschiedenen Getränke oder Nahrungsmittel. Weitere Abklärungen wie die Bestimmung der Fließrate, des pH’s und der Pufferkapazität des Speichels sind für die Erfassung des Erosionsrisikos der Patienten von Bedeutung. Neben den beschriebenen Empfehlungen wird die regelmäßige Applikation von hoch konzentrierten (leicht sauren) Fluoridgelen empfohlen. Für eine ausführliche Diskussion der Erosionsproblematik sei auf ein im Jahre 2006 erschienenes Buch verwiesen [Lussi, 2006].
Prof. Dr. A. LussiKlinik für ZahnerhaltungFreiburgstraße 7, 3010 Bernadrian.lussi@zmk.unibe.ch
Teile dieses Artikels wurden in der Schweizerischen Monatsschrift für Zahnmedizin, Vol 115:3-32; 2005, veröffentlicht.
\n
pH
mmol OH-/l bis pH 7.0
Phosphat mmol/l (mM)
Kalzium mmol/l (mM)
Fluorid ppm
Δ Härte nach Knoop
\n
Getränke (nicht alkoholisch)
\n
Citro light
\n
Coca Cola
\n
Fanta orange
\n
Ice Tea
\n
Isostar
\n
Isostar orange Mineralwasser (mit Kohlensäure)
\n
Orangina
\n
Pepsi light
\n
Perform
\n
Red Bull
\n
Sinalco
\n
Schweppes
\n
Sprite light
3.0 2.6 2.9 3.0 3.8 3.6 5.3 3.2 3.1 3.9 3.4 2.9 2.5 2.9
75.0
\n
34.0
\n
83.6
\n
26.4
\n
34.0
\n
31.4
\n
14.0
\n
70.0
\n
34.6
\n
34.0
\n
91.6
\n
56.6
\n
88.6
\n
62.0
0.00
\n
5.43
\n
0.12
\n
0.08
\n
1.61
\n
3.39
\n
0.00
\n
0.38
\n
3.94
\n
5.93
\n
<0.01
\n
0.13
\n
0.00
\n
0.00
3.23
\n
0.84
\n
0.75
\n
0.56
\n
1.79
\n
5.77
\n
10.8
\n
0.36
\n
0.90
\n
1.07
\n
1.70
\n
0.28
\n
0.25
\n
0.26
0.08
\n
0.13
\n
0.05
\n
0.83
\n
0.14
\n
0.18
\n
0.11
\n
0.07
\n
0.04
\n
0.16
\n
0.36
\n
0.03
\n
0.03
\n
0.06
-103.3
\n
-76.6
\n
-77.9
\n
-224.0
\n
-85.8
\n
-28.9
\n
+5.85
\n
-133.6
\n
-64.8
\n
-6.0
\n
-232.0
\n
-109.8
\n
-136.3
\n
-162.2
\n
Getränke (alkoholisch)
\n
Carlsberg Bier
\n
Corona Bier
\n
Hooch lemon
\n
Rotwein
\n
Weißwein
4.4 4.2 2.8 3.4 3.7
40.0
\n
8.2
\n
67.2 76.6 70.0
7.33
\n
3.29
\n
0.45
\n
3.25
\n
3.16
2.23
\n
2.10
\n
1.19
\n
1.90
\n
0.91
0.28
\n
0.11
\n
0.18
\n
0.16
\n
0.35
+8.0
\n
+2.5
\n
-257.0
\n
-71.3
\n
-30.1
\n
Fruchtsäfte
\n
Apfelsaft
\n
Apfelmus
\n
Randensaft
\n
Karottensaft
\n
Grapefruitsaft
\n
frischgepresster Grapefruitsaft frischgepresster Kiwisaft Multivitaminsaft
\n
Orangensaft
3.4 3.4 4.2 4.2 3.2 3.1 3.6 3.6 3.7
82.0
\n
88.8
\n
49.2
\n
42.0 218.0 70.6 147.2 131.4 109.4
1.74
\n
3.12
\n
10.04
\n
8.35
\n
2.58
\n
0.23
\n
5.30
\n
6.53
\n
5.54
4.03
\n
1.46
\n
2.10
\n
5.00
\n
3.14
\n
3.50
\n
4.15
\n
4.80
\n
2.20
0.11
\n
0.03
\n
0.08
\n
0.09
\n
0.16
\n
0.08
\n
0.06
\n
0.12
\n
0.03
-154.4 -186.0
\n
-81.2
\n
-57.5
\n
-119.9
\n
-108.7
\n
-164.0
\n
-137.0
\n
-209.0
\n
Milchprodukte
\n
Trinkmolke
\n
Milch
\n
Sauermilch
\n
Kiwi Joghurt
\n
Zitronen Joghurt
\n
Orangen Joghurt
4.7 7.0 4.2 4.1 4.1 4.2
32.0
\n
4.0
\n
112.0
\n
99.6 110.4 91.0
9.67
\n
18.90
\n
39.20
\n
34.00
\n
39.90
\n
43.00
6.01
\n
29.50
\n
69.00
\n
42.50
\n
32.00
\n
31.60
0.05
\n
0.01
\n
0.03
\n
0.06
\n
0.04
\n
0.05
+0.6
\n
+10.9
\n
+9.0
\n
+15.0
\n
+17.8
\n
+8.5
\n
Verschiedenes
\n
Salatsauce
\n
Essig
3.6 3.2
210.0 740.8
1.64
\n
2.18
0.28
\n
3.40
0.14
\n
1.20
-109.0 -303.0
\n
\n
Anamnese (medizinische – dentale – Ernährung – Verhalten):
\n
■ Aufzeichnung der Ernährung während mindestens 4 Tagen (auch nach Risikofaktoren fragen, die der Patient nicht aufgeschrieben hat)
\n
■ Zitrusfrüchte, andere Früchte, Fruchtsäfte, Essiggurken, Salatsauce, Sportgetränke, Süßgetränke, Beeren, saure Bonbons, Früchtetee, Alkohol, Alcopops, rohes Gemüse etc.
\n
■ Magenprobleme: Erbrechen, saurer Geschmack in der Mundhöhle, Druck retrosternal, Zeichen von Magersucht
\n
■ Medikamente: Beruhigungstabletten, Vitamin C-Tabletten, Antihistaminika, Brausetabletten
\n
■ Berufsbedingte Säureeinwirkung (Industrie, Sport)
\n
■ Zahnreinigungsgewohnheiten: Härte der Zahnbürste, Zahnputztechnik, wann?, wie oft?, wie lange? (Abrasionspotential)
\n
\n
Aufnahme der nicht Karies-bedingten Zahnhartsubstanzläsionen:
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■ Erosionsindex, keilförmige Defekte, andere Abrasionen/Attritionen
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■ Studienmodelle, Photoaufnahmen, BW (um eine zukünftige Progression feststellen zu können)
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Speichelanalyse
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■ Fließrate, Pufferkapazität, pH, Röntgentherapie in der Kopfgegend, Speicheldrüsenerkrankungen
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Steuerung des Säurekonsums:Lokal
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■ Konsum von säurehaltigen Lebensmitteln wenn möglich reduzieren und auf möglichst wenige (Haupt-)Mahlzeiten beschränken
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Steuerung der Säureeinwirkungsdauer:
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■ Getränke rasch trinken
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■ Nach Säurekonsum mit Wasser oder niedrigkonzentrierter Fluoridlösung spülen
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■ Nach Säureattacke zahnschonende Kaugummis verwenden zur Stimulierung der Speichelfließrate
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Steuerung der Zahnhygiene:
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■ Zahnreinigung nicht unmittelbar nach Säureexposition
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■ Weiche Zahnbürsten
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■ Schwach abrasive Zahnpasten
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■ Fluoridhaltige Zahnpasten
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■ Zahnschonende Bürsttechnik
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■ Regelmäßig, während einiger Minuten, höher konzentrierte (leicht saure) Fluoride applizieren
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Einleitung einer kausalen Therapie bei endogener Säurebelastung:
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■ Verdacht auf Reflux: Überweisung an Gastroenterologen ch
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■ Anorexie-Bulimie-Patienten: Psychologische oder psychiatrische BetreuungSystemis veranlassen
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