Gewusst, wo es Steuergelder gibt
Dr. Rudi Mews
Parlamentskorrespondent in Berlin
Am 27. August machte das ZDF in seinem „Report aus Mainz“ auf einen Sachverhalt aufmerksam, der nachdenklich macht. Die Sendung beschäftigte sich mit mehreren Wirtschaftsunternehmen, die gewinnträchtig die Hartz-IV-Regelung zu ihren Gunsten auszunutzen wussten. Um es gleich zu sagen: Sie taten damit nichts Unrechtes, sondern nahmen nur eine durch den hochmögenden Gesetzgeber zugelassene Möglichkeit wahr. Honi soit qui mal y pense. In diesem Zusammenhang soll nur einer der Betriebe wegen seiner gesundheitspolitischen Relevanz erwähnt werden. Er hat per se eine besondere Nähe zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG).
Es handelt sich um die Sanicare, die mittlerweile größte deutsche Versandapotheke in Bad Laer, einer niedersächsischen Kleinstadt. Die ZDF-Sendung forderte schon am folgenden Tag die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zu einer Pressemitteilung heraus. In dieser Verlautbarung beklagte der Interessenverband der Apotheker, dass Sanicare seit November des vorigen Jahres etwa 125 so genannte „Null-Praktikanten“ beschäftigt hätte, die seither von der Arbeitsagentur bezahlt worden wären und anschließend nur zur Hälfte einen Ein-Jahres-Vertrag erhalten hätten, nachdem sie – für das Unternehmen kostenlos – monatelang das Praktikum absolvierten. Nach Auskunft des ABDA-Pressesprechers Thomas Bellartz basierten diese Arbeitsverträge nicht einmal auf dem Berliner Tarifniveau sondern auf dem geringer ausgestatteten niedersächsischen. Die von solchen regionalen Vergleichen vermutlich weniger informierten Steuer- und Sozialbeitragszahler konnten sich indessen sicher sein, dass dies – ob niedersächsisch oder berlinerisch - auf ihre Kosten ging, und nicht zuletzt legitim.
Der ABDA-Vorsitzende Heinz-Günter Wolf bemerkte dazu, und dieses Zitat sei wörtlich im Kommentar erlaubt: „Wenn das die Auswüchse einer Liberalisierung im Gesundheitswesen sind, dann sollte die Politik die Notbremse ziehen.“ Wolf fügte hinzu, das kritisierte Verfahren wäre beispielhaft für die Hire-and-Fire-Mentalität großer Unternehmen, die dem Verbraucher vorgaukelten, er könnte durch den Versand sparen, an anderer Stelle würde er dagegen als Steuerzahler geschröpft – ohne dies im Allgemeinen wahrzunehmen, ist auch hier anzufügen. Das wäre nämlich im Detail die Aufgabe für einen nationalökonomischen Adam Riese. Hinter der verständlichen Kritik Wolfs steckt eingeräumter Maßen die Interessenvertretung der pharmazeutischen Mittelständler (als Inhaber von höchstens drei Apotheken) im Gegensatz zu Arzneimittel-Versandketten. Übrigens sind auch die legitim.
Es geht aber nicht nur um eine Plus-Minus-Rechnung, wonach der Steuer- und Sozialbeitragszahler verliert oder im Zweifel auch mal gewinnt. Es geht um die gesellschaftspolitische Einstellung. Wenn das Gesetz erlaubt, dass der Bundesbürger die erwähnten Praktiken subventioniert, kann man sich kaum wundern, dass sie auch wahrgenommen werden. Johannes Mönter, den vigilanten Geschäftsführer der Sanicare – er ist zugleich auch Vorsitzender des Verbandes der Versandapotheker – kann der aufgeklärte Globalwirtschaftsbürger schwerlich schmähen, solange der Geschäftsmann clever die Vorgaben nutzt, die ihm der Gesetzgeber frei Haus liefert. Frei nach dem Prinzip: Gewusst wo.
Nicht ganz unbesorgt fragt man sich freilich: Wer macht eigentlich solche Gesetze? Überdies drängt sich die ironische Frage geradezu auf, ob dies nicht auch eine naheliegende Geschäftsidee für Großanbieter zahnärztlicher Leistungen wäre.
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