Die Wurzelquerfraktur
Einleitung
Verglichen mit anderen Zahnunfällen ist die Wurzelquerfraktur bei bleibenden Frontzähnen ein seltenes Ereignis. Ihre Häufigkeit liegt bei 0,5 bis 7 Prozent für bleibende Zähne [Andreasen und Andreasen, 1994]. Im Milchgebiss werden aufgrund des elastischeren Alveolarknochens eher Dislokationsverletzungen als Zahnfrakturen beobachtet [Schatz und Joho, 1994]. Da eine Wurzelquerfraktur immer mit einer Dislokationsverletzung des koronalen Fragments einhergeht [Andreasen et al., 1989], ist zusätzlich zu einer Schädigung der Zahnhartsubstanz und der Pulpa von einer Verletzung des Parodonts und in schwerwiegenden Fällen auch des umgebenden Alveolarknochens sowie der Weichgewebe auszugehen. Unter Berücksichtigung der Konsequenzen, die sich daraus für die Therapie ergeben, werden Wurzelquerfrakturen heutzutage eher zu den Dislokationsverletzungen als zu den Frakturen gezählt [von Arx et al., 2007].
Sachgerechte Therapie vorausgesetzt, belegen viele Studien die gute Prognose dieser Zahnverletzung.
Diagnostik
Im Rahmen der klinischen Diagnostik nach einem Zahnunfall fallen wurzelquerfrakturierte Zähne in der Mehrheit der Fälle aufgrund einer Lockerung und einer veränderten Position der Zahnkrone auf. Mit unter 15 Prozent werden ausgeprägte Dislokationen vergleichsweise selten angetroffen [Andreasen et al., 2004a]. Bei fehlender oder geringer Dislokation kann die röntgenologische Darstellung der Frakturlinie Probleme bereiten. Bei dem häufigen Frakturverlauf von palatinal-zervikal nach labialapikal bei Oberkieferfrontzähnen [Cvek et al., 2002] kann der Bruchspalt bei kranial exzentrischer Tubuseinstellung besser dargestellt werden [Bender und Freedland, 1983]. Ideale diagnostische Voraussetzungen bieten digitale Volumentomographien (insbesondere 3 DX Volumentomograph Accuitomo, Morita), die eine genaue Einschätzung des Bruchlinienverlaufs ermöglichen [Lemkamp et al., 2006; von Arx et al., 2007].
In Einzelfällen werden Wurzelquerfrakturen erst dann röntgenologisch sichtbar, wenn (einer Heilung vorausgehende) Resorptionen im Bereich der Frakturflächen zur Erweiterung des Frakturspalts geführt haben [Andreasen, 1995]. Eine initial ausbleibende Reaktion auf den Sensibilitätstest hat für die primäre Therapieplanung keine Bedeutung [Andreasen and Andreasen, 1994].
Heilungsmuster
Zur Beschreibung der Heilungsvorgänge nach einer Wurzelquerfraktur wurden vier mögliche Verlaufsmuster definiert [Andreasen und Hjorting-Hansen, 1967]: 1. Verbindung der Fragmente über eine Hartgewebsbrücke, 2. Interposition von Bindegewebe, 3. Interposition von Knochen und Bindegewebe sowie 4. Interposition von Granulationsgewebe. Während die ersten drei Heilungsmuster als günstig einzuschätzen sind, ist das Einwachsen von Granulationsgewebe in den Bruchspalt als Folge einer infizierten Pulpanekrose des koronalen Fragments zu interpretieren [Andreasen und Hjorting-Hansen, 1967]. Radiologisch zeigt sich in diesem Fall eine laterale Läsion auf Höhe der Frakturlinie.
Therapie
Üblicherweise werden Wurzelquerfrakturen nach ihrer Lokalisation im koronalen, mittleren oder apikalen Drittel klassifiziert. Die Relevanz dieser Einteilung für die Therapie ist allerdings beschränkt. Diese hängt vielmehr von der Lage des Frakturspaltes in Relation zum gingivalen Sulkus und vom Dislokationsgrad des koronalen Fragments ab (Abbildung 1).
Günstige Voraussetzungen für den Erhalt beider Fragmente bestehen bei intraalveolären Frakturen aufgrund der fehlenden Verbindung zwischen Frakturspalt und Mundhöhle. Die Reposition des (oftmals dislozierten) koronalen Fragments und die anschließende Schienung zielen auf pulpale Regeneration und im Idealfall auf Einlagerung von osteoidem Hartgewebe in den Frakturspalt ab (Abbildungen 2 bis 4). Während bei nicht dislozierten Frakturen die Schienung weder das Heilungsmuster noch das Überleben der Pulpa beeinflusst, scheint bei reponierten Fragmenten eine halbstarre Immobilisation von Vorteil zu sein [Andreasen et al., 2004b]. Entgegen den früher empfohlenen zwei bis dreimonatigen Schienungsszeiten [Andreasen and Andreasen, 1994] werden wurzelquerfrakturierte Zähne heute – in Abhängigkeit vom Dislokationsbeziehungsweise Lockerungsgrad des kronentragenden Fragments – in den meisten Fällen rund vier Wochen geschient [Andreasen et al., 2004b; Berman et al., 2007]. In unserem Zentrum hat sich dabei das auch bei sonstigen Dislokationsverletzungen übliche Titanium Trauma Splint System (TTS, Medartis, Basel, Schweiz) bewährt.
Zwar steigt mit zunehmendem Dislokationsgrad auch das Ausmaß der Pulpaschädigung [Andreasen et al., 2004a], jedoch ist auch bei initial fehlender Reaktion auf den Sensibiliätstest in der Regel keine primäre endodontische Intervention erforderlich [Bender und Freedland, 1983; Andreasen und Andreasen, 1994; Andreasen et al., 2004a; Andreasen et al., 2004b].
Bestehen trotz Dislokation realistische Chancen auf eine Regeneration der Pulpa (bei großem Wurzelkanaldurchmesser an der Frakturstelle und / oder kurzer Revaskularisationsstrecke) im koronalen Fragment, ist ein längeres Abwarten gerechtfertigt unter der Voraussetzung, dass sich klinisch und röntgenologisch keine Hinweise auf endodontisch bedingte entzündliche Veränderungen ergeben haben.
Eine auf das koronale Fragment beschränkte Wurzelkanalbehandlung [Cvek et al., 2004] wird in diesem Fall frühestens nach drei Monaten eingeleitet, wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine positive Reaktion auf den Sensibilitätstest eingestellt hat (Abbildungen 5 und 6). Weitlumige Kanäle machen eine Apexifikation mit Kalziumhydroxid oder die Verwendung von MTA als apikalen Verschluss vor Wurzelkanalfüllung erforderlich [Berman et al., 2007].
Kam es durch das Trauma zur Avulsion des koronalen Fragments (Abbildung 7), ist dieses nach den aktuellen Therapieempfehlungen für avulsierte Zähne zu behandeln. Dies kann entweder die Replantation des koronalen Fragments mit anschließender konventioneller Wurzelkanalbehandlung [Andreasen und Andreasen, 1994], oder die retrograde Stiftinsertion nach Entfernung des apikalen Fragments sein [Kirschner et al., 2005] (Abbildung 8).
Lässt sich bereits zum Zeitpunkt der Erstversorgung eine Kommunikation zwischen Frakturspalt und Mundhöhle ausmachen, ist das koronale Fragment nicht zu erhalten. Bei günstigem Frakturverlauf und ausreichend langer Restwurzel kann der Erhalt des apikalen Fragments in Erwägung gezogen werden. Dieses kann nach kieferorthopädischer oder chirurgischer Extrusion und endodontischer Therapie einer restaurativen Versorgung zugänglich gemacht werden [Krastl, 2004] (Abbildungen 9 bis 11).
Prognose
Bei sachgerechtem therapeutischem Vorgehen stellt sich bei fast 80 Prozent der Fälle ein Behandlungserfolg ein [Andreasen et al., 2004a]. Dieser schließt ein, dass das koronale Fragment funktionstüchtig ist, die Pulpa Zeichen der Vitalität zeigt und sich röntgenologisch keine pathologischen Befunde ergeben. Neben der posttraumatischen Mobilität und der Dislokation des koronalen Fragments wird die Prognose insbesondere vom Stand des Wurzelwachstums beeinflusst [Jacobsen und Zachrisson, 1975; Andreasen et al., 1989; Cvek et al., 2001; Andreasen et al., 2004a]. Ein weites Pulpalumen begünstigt dabei die Revaskularisationsvorgänge [Andreasen und Pedersen, 1985; Andreasen et al., 1986]. Im Zuge der Heilung entsteht in rund 30 Prozent der Fälle eine Vereinigung der Fragmente durch osteoides Hartgewebe im Frakturspalt. Es ist jedoch häufiger davon auszugehen, dass Bindegewebe in den Frakturspalt einwächst (43 Prozent) [Andreasen et al., 2004a]. In der Regel wird eine Abrundung von „Kanten“ im Frakturbereich beobachtet [Andreasen and Hjorting-Hansen, 1967]. Gelegentlich führen transiente Resorptionen zur Erweiterung des Frakturspalts, der schließlich von Alveolarknochen ausgefüllt wird (5 Prozent) [Andreasen et al., 2004a]. Als Folge lassen sich röntgenologisch zwei getrennte Fragmente mit jeweils eigenem Parodontalspalt feststellen.
Die Belastungsfähigkeit des Zahnes setzt unter anderem die Heilung des geschädigten Zahnhalteapparats voraus. Als Indiz hierfür kann der Lockerungsgrad des Zahnes unmittelbar nach Schienenentfernung postoperativ gewertet werden. Nahezu ohne Ausnahme sind Zähne mit Wurzelquerfrakturen im mittleren oder apikalen Drittel (ohne begleitende entzündliche Parodontalerkrankungen beziehungsweise vorausgegangenen Attachmentverlust) klinisch fest oder nur geringgradig gelockert [Weiger, 2001]. Aktuelle Untersuchungen aus der Parodontologie zeigen einen linearen Zusammenhang zwischen Attachmentlevel und verbliebener Attachmentfläche [Yamamoto et al., 2006]. Demzufolge teilt eine Wurzelquerfraktur auf halber Höhe die Wurzel in zwei Fragmente mit vergleichbarer Attachmentfläche auf. Legt man die hohe Erfolgsquote von therapierten parodontal geschädigten Zähnen mit geringem Restattachment zugrunde [McGuire und Nunn, 1996; Lang und Tonetti, 1996], kann davon ausgegangen werden, dass eine frakturbedingt reduzierte Wurzellänge den üblicherweise in der Mundhöhle auftretenden Kräften standhält. Darüber hinaus sind die Hebelverhältnisse aufgrund des weiter koronal lokalisierten Attachments als günstiger einzustufen als bei parodontal geschädigten Zähnen.
Ist die Wurzellänge bei koronal lokalisierten Wurzelfrakturen stark reduziert, ist mit einer schlechteren Prognose zu rechnen [Welbury et al., 2002]. Dies könnte bei den häufig anzutreffenden schräg verlaufenden Frakturen auch in einer (im herkömmlichen Röntgenbild nicht sichtbaren) Kommunikation der Wurzelfraktur mit dem marginalen Parodontium [von Arx et al., 2007] begründet sein.
Nachsorge und Komplikationen
Der Erhalt und die Prognose wurzelquerfrakturierter Zähne hängen entscheidend von der rechtzeitigen Erkennung und Therapie eventuell posttraumatisch auftretender pathologischer Veränderungen ab. Daher besteht die Notwendigkeit engmaschiger, klinischer und röntgenologischer Kontrollen im ersten Jahr nach Primärtherapie (in der Regel nach drei, sechs, zwölf Wochen sowie sechs und zwölf Monaten). Die Sensibilität kann als direkte Folge des Traumas (zum Beispiel durch Kompression oder Zerrung des Pulpagewebes) vorübergehend beeinträchtigt sein. Literaturangaben zufolge stellt sich eine positive Reaktion auf den Sensibilitätstest in einzelnen Fällen erst nach Monaten ein. Vor diesem Hintergrund ist bei kontinuierlich negativem Testergebnis, aber realistischer Chance auf eine Regeneration der Pulpa, eine Wurzelkanalbehandlung frühestens nach drei Monaten anzuraten. Diese bleibt auf das koronale Fragment beschränkt! Unzweifelhaft ist die endodontische Behandlung dann einzuleiten, wenn sichere klinische oder radiologische Hinweise auf eine infizierte Pulpanekrose vorliegen. Als solche sind in Höhe des Frakturspalts erkennbare laterale Läsionen sowie progressive entzündliche externe oder interne Resorptionen, die auf das koronale Fragment beschränkt sind, einzustufen. Lediglich in sehr seltenen Fällen entwickelt sich eine apikale Parodontitis als Folge der mikrobiellen Besiedelung des apikalen Wurzelkanalabschnitts [Yates, 1992; Welbury et al., 2002], die ein chirurgisches Vorgehen erfordert. In weit über der Hälfte aller Fälle zeichnen sich im Röntgenbild Obliterationen des endodontischen Systems im koronalen und/oder apikalen Fragment ab [Jacobsen und Zachrisson, 1975; Zachrisson und Jacobsen, 1975; Andreasen et al., 1989; Caliskan und Pehlivan, 1996]. Diese sind – trotz oftmals fehlender Reaktion auf den Sensibiliätstest – als indirekter Hinweis auf eine Leistung vitaler Pulpazellen zu interpretieren und stellen keine Indikation für eine endodontische Intervention dar [Andreasen and Andreasen, 1994].
OA Dr. Gabriel KrastlZahnunfall-Zentrum und Klinik fürParodontologie, Endodontologie undKariologiegabriel.krastl@unibas.chs
Prof. Dr. Roland WeigerKlinik für Parodontologie, Endodontologieund Kariologieroland.weiger@unibas.ch
Prof. Dr. Andreas FilippiZahnunfall-Zentrum und Klinik fürZahnärztliche Chirurgie, – Radiologie,Mund- und Kieferheilkundeandreas.filippi@unibas.ch
Universitätskliniken für ZahnmedizinHebelstr. 3CH-4056 Basel