Leitartikel

Der Stoff, aus dem die Träume sind

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Wir können alles – außer hochdeutsch!“ Ob dieses baden-württembergische Motto auch auf die Macher des ersten ohne KVen abgeschlossenen Vertrages über die gesamte Leistungsbreite der hausärztlichen Versorgung zutrifft, bleibt abzuwarten. Noch feiern sich AOK, MEDI Verbund und Deutscher Hausärzteverband ob des Coups im Ländle als Pioniere eines neuen GKVZeitalters. Strategisch motivierte BMG-Vorschusslorbeeren gibt es – selbstredend – inklusive. Weite Teile der Presse klinken sich mit Momentaufnahmen ein und jubeln im Chor vom Ende der KVen. Wir kennen das, haben das schon oft gehört: Der Letzte mache das Licht aus!

Nur wenige – eine der Ausnahmen finden sie als Gastkommentatorin in diesem Heft – unterziehen sich der Mühe, auch die möglichen Folgen einer solchen gesetzgeberischen Vorgabe und ihrer Umsetzung für das Gesundheitswesen zu hinterfragen. Denn so glatt und einfach ist nur die Oberfläche, darunter brodelt es gewaltig.

Was Baden-Württembergs Vertragsnovum tatsächlich bringt, bleibt abzuwarten. Versprochen wird viel: weniger Bürokratie, mehr Qualität, vereinfachte Abrechnungsverfahren und vor allem mehr Geld für die Ärzteschaft sowie Extra-Service für die Patienten mit ihrer ach so starken Krankenversicherung im Rücken.

Dabei kommt, wer nachdenkt, angesichts erkennbarer Widersprüche schnell ins Grübeln. Dieser selektive Kollektivvertrag, dessen Abrechnungsverfahren laut „Ländle“-AOK-Chef Hermann auf den sprichwörtlichen Bierdeckel passt, kann nur funktionieren, wenn und weil er zu Lasten Dritter geht.

Das für die teilnehmenden Ärzte gewährte Honorar-Plus ist an dieser Stelle aus anderen Quellen – wesentlich aus Einsparungen im Arzneimittelbereich – erkauft. Zu offensichtlich wäre es, an dieser Stelle schon die Katze aus dem Sack zu lassen und mit wettbewerblich- unternehmerischem Stolz bereits heute das Budget der nicht teilnehmenden Praxen einzukürzen. Dann würde den Machern das Konzept kurzfristig um die Ohren fliegen. (Schließlich gibt es für die Ärzte auch unter dem Gesundheitsfonds keine Rückkehr zu alten total budgetfreien Zeiten. Und zwischen Haus- und Fachärzten wird es dadurch auch nicht friedfertiger.) Wie weit und wie lange sich auf diese Weise die versprochenen Vorteile für die Patienten – mehr Service und Qualität – aufrechterhalten lassen, ist daher arg in Frage zu stellen.

Was die zahnärztliche Versorgung betrifft, so ist dieser Weg – das Abschöpfen von Geldersparnissen aus dem Arzneimittelbereich – nicht gangbar: Bei uns gibt es aus dieser Sicht keine „Dritten“. So wird das Plus für Wenige gleich zu Anfang zum Minus für Viele. Ist das die Grundlage für Fortschritt in Sachen Service und Qualität?

Was die Patienten betrifft, so ist der Versuch des Gesetzgebers, diesen Weg zu beschreiten – eigentlich, um das System der Versorgung zu verbessern – der direkte Weg in ein intransparentes Mehrklassensystem. Denn eine freie Arztwahl bietet das System, das die AOK-Baden-Württemberg hier als Experiment angeht, sicherlich nicht mehr. Und weniger Bürokratie? Das mittelfristig denkbare Durcheinander, das die Praxis erwartet, die sich zwecks Erhaltung ihrer existenziellen Grundlage an unterschiedlichen Vertragssystemen beteiligt, wird sicherlich nicht geringer. Mein Fazit: Das ist noch nicht der Weisheit letzter Schluß. Und bei uns Zahnärzten müssen intelligentere Lösungen her.

Dabei ist – bitte schön – einiges nicht zu vergessen: Jeglicher Grundgedanke von Wettbewerb ist immer ökonomischer Natur. Ein Wettbewerb der Krankenkassen untereinander ist in erster Linie ein (Überlebens-) Wettbewerb um den Versicherten. Da wird – erst recht angesichts so unsicherer Auswirkungen von Gesundheitsfonds, Morbi-RSA und Konvergenzklausel – manche Gönnermiene eines Kassenbosses schmalllippig. Von gleich langen Verhandlungsspießen schnell wieder keine Spur. Und solange unser Praxisalltag von Budgets prägend behindert wird, sind mangels eines zu melkenden Dritten wir Zahnärzte es schnell selbst, die das angestrebte Add-On finanzieren.

Die bisherige Bilanz ist eindeutig: Alle sogenannten „Reformgesetze“ – von den Ehrenbergschen Kostendämpfungsgesetzen über Seehofers Budgeterfindung bis hin zu Ulla Schmidts „GMG“ hatten zumindest immer einen Verlierer ... . Ulla Schmidts „WSG“ – jetzt ein Geniestreich?

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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