Grüße von Zeus und Thor
Es sollte eine beeindruckende Show werden, die die Piloten der Firma Classic Wings beim Großflugtag Ende August 2006 ihrem Publikum vorführen wollten. Fast 10 000 Menschen strömten an dem schönen Sommertag auf das Flughafengelände in St. Augustin bei Bonn, um eines der wenigen Großereignisse in der Region mitzuerleben. Die Piloten zeigten gerade ihr fliegerisches Können in historischen Maschinen, als sich schlagartig der Himmel verdunkelte. Eine finstere Wand aus Wolken erreichte innerhalb weniger Minuten das Gelände mit Tausenden überraschten Zuschauern, und laute Blitze trafen die Menge. Mehr als zwei Dutzend Verletzte verursachten die gefährlichen Entladungen, die anwesenden Sanitäter konnten durch schnelle Hilfe das Ausmaß der Katastrophe begrenzen. Drei Zuschauer wurden lebensgefährlich verletzt und in eine Klinik gebracht. Ein 35-jähriger Familienvater verstarb fünf Tage später an den Folgen des Stromschlags. Er war das vierte und letzte Opfer 2006 in Deutschland, das einen Blitzschlag nicht überlebt hat.
Blitze als Werkzeug Gottes
Es mag also niemanden verwundern, dass heutzutage nur noch sehr ängstliche Naturen bei Gewitter um Leib und Leben fürchten. Ganz anders stellte sich das im 19. Jahrhundert dar: Rund 300 Menschen mussten jährlich bei Blitztreffern ihr Leben lassen. Ohne blitzgeschützte Unterkünfte waren viele bei der Arbeit auf dem Feld oder hoch zu Ross der tödlichen Bedrohung hilflos ausgesetzt.
Die Tatsache, dass eine Naturgewalt in Sekundenschnelle über Leben und Tod entscheiden kann, hat unseren Vorfahren gehörigen Respekt eingeflößt. Nur Göttern traute man eine derartige Macht zu, sodass in den meisten Kulturen eine göttliche Ursache hinter Blitz und Donner vermutet wurde. Die Griechen wähnten in Blitzen eine Waffe des Zeus, für die Wikinger war der Donner das Kampfgetöse des Gottes Thor, der mit seinem Hammer gegen Feinde ins Feld zog. In Fernost finden sich alte Buddha-Statuen, die einen Donnerkeil in der Hand halten, nordamerikanische Indianerstämme hielten Blitze für das Leuchten eines mystischen Vogels und im Koran gibt es eine Sure, die das Wetterphänomen als ein Werk Allahs beschreibt.
• Bis ins 18. Jahrhundert hinein erklärten Gelehrte Blitze als eine „Entzündung brennbarer Dünste, deren Verpuffung zu Donnergrollen und Bränden” führte.
Mittelalterlicher Blitzschutz
In der Bibel wird hinter dem Donner die Stimme des Herrn vermutet (Johannes 12,19), doch auch viele Christen hielten die vernichtende Naturgewalt über Jahrhunderte für Teufelswerk. Mit allerlei „Gegenmitteln” versuchten die Menschen des Mittelalters, das Unheil abzuwenden. Fenster wurden geschlossen, auf dass „keine Blitze durch einen Luftzug angezogen werden”, ein geweihter Holzscheit wurde auf den Herd gelegt oder man ließ vorsichtshalber das Herdfeuer ausgehen.
Geweihte Glocken, auch als Wetterglocken bekannt, sollten Gewitterdämonen abwehren. Ihre Inschriften zeugen noch heute von den Ritualen der damaligen Zeit. Die berühmte 1486 gegossene Schillerglocke in Schaffhausen zieren die Worte „fulgura frango”, was so viel bedeutet wie „ich breche die Blitze”. Bis ins 18. Jahrhundert hinein erklärten Gelehrte Blitze als eine „Entzündung brennbarer Dünste, deren Verpuffung zu Donnergrollen und Bränden” führte.
Erst 1752 kam der amerikanische Staatsmann, Naturwissenschaftler und Erfinder Benjamin Franklin dem Geheimnis des gewittrigen Lichtschauspiels auf die Spur und postulierte, dass Blitze nichts weiter als elektrische Entladungen seien.
Als Beweis führte Franklin sein berühmtes Drachenexperiment in Philadelphia durch, bei dem er einen Seidendrachen an einem dünnen Draht direkt unter Gewitterwolken aufsteigen ließ. Verbunden mit dem Draht war ein Schlüssel, über den nach einiger Zeit elektrische Entladungsfunken auf Franklins Finger sprangen. Der wagemutige Forscher hatte bei dieser Aktion eine gehörige Portion Glück: Hätte ein richtiger Blitz den Drachen getroffen, wäre der Versuch für Franklin tödlich ausgegangen. Nur ein Jahr später schrieb er ausführlich über eine Idee, mit der man Blitzschäden vermeiden könnte. Sie machte ihn zum Erfinder des Blitzableiters. Er schlug vor, mit Eisenstangen auf oder neben Gebäuden Blitze abzufangen, und diese in die Erde zu leiten. Die Schutzvorrichtung fand schnell viele Freunde und knapp 20 Jahre später sollten auch in Deutschland bereits mehrere Bauwerke durch Metallleitungen vor Blitzeinschlägen geschützt sein. Doch wirklich neu war Franklins Erfindung nicht, genau genommen muss man sie als Wiederentdeckung bezeichnen. Schon zur Zeit der Pharaonen vor mehr als 3 000 Jahren ließ Ramses III. vergoldete Masten an einigen Tempeln anbringen, die laut Inschriften eine Blitzableiterfunktion erfüllen sollten.
Ladungstrennung in Wolken
Seit Franklin die elektrische Natur von Blitzschlägen bewiesen hatte, sind weit mehr als 250 Jahre vergangen. Doch einen weiteren Quantensprung bei der Erklärung des Phänomens hat es bis heute nicht gegeben. Noch immer bleiben die Ereignisse ein Mysterium, nur vage Theorien existieren, um die Vorgänge in den Wolken zu beschreiben. Unbestritten ist, dass es durch starke Auf- und Abwinde in sogenannten Cumulonimbus-Wolken zu einer massiven Ladungstrennung kommt. Ähnlich wie bei der elektrostatischen Aufladung beim Tragen polyesterhaltiger Kleidung, führt auch die Reibung von Wassertröpfchen, Graupel und feinen Eiskristallen zu Elektronensprüngen und somit zu geladenen Teilchen. In höhere Luftschichten aufsteigende Eispartikel werden dabei positiv geladen, während die schwereren, nach unten fallenden Wassertropfen und Graupelkörner für einen zunehmend negativ geladenen unteren Teil der Wolke sorgen. Die Ladungstrennung kann nach kurzer Zeit bereits einen Potenzialunterschied von bis zu 100 Millionen Volt erreichen. Das starke elektrische Feld sorgt für eine Konzentration positiver Ladungsträger am Erdboden unterhalb der Wolke – bis die Spannung so hoch ist, dass es durch einen Blitz zu einer Entladung kommt. Nur etwa jeder vierte Blitz sucht dabei den Weg zur Erde, 75 Prozent der Blitzaktivität sind Entladungen innerhalb der Wolkenformationen.
Kanal aus leitender Luft
Blitzforscher haben den Ablauf einer Entladung Richtung Erde genau analysiert. Was dem menschlichen Auge verborgen bleibt, können Hochgeschwindigkeitskameras zum Teil dokumentieren. Ein Leitblitz bewegt sich sprungartig auf die Erde zu, wodurch die typische Zackenform der Blitze entsteht. Mit einer Geschwindigkeit von 150 Kilometern pro Sekunde ist er noch relativ langsam. Hat er die Erde bis auf wenige hundert Meter erreicht, bewegt sich ihm eine sogenannte Fangentladung entgegen. So entsteht ein mehrere Millimeter dicker Kanal aus gut leitender ionisierter Luft, durch den nun die Hauptentladung fließen kann. Im Schnitt rauschen hintereinander fünf Hauptentladungen mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit durch einen solchen Kanal, wodurch Beobachter ein zuckendes Leuchten des Blitzes wahrnehmen. Im Blitzkanal treten Temperaturen von rund 30 000 Grad Celsius auf – auf der Oberfläche der Sonne ist es gerade mal 5 000 Grad heiß – sodass sich die Luft explosionsartig ausdehnt und das bekannte Donnergrollen verursacht.
Kosmische Strahlung als Auslöser
Was Wissenschaftlern immer noch Kopfzerbrechen bereitet, ist ein Unterschied zwischen gemessenen elektrischen Werten in Gewitterwolken und den rechnerisch notwendigen Spannungen zur Auslösung eines Blitzes. US-amerikanische Physiker haben daher die Hypothese aufgestellt, dass zusätzlich eine kosmische Teilchenstrahlung bei der Blitzentstehung eine wichtige Rolle spielen muss. Erste Messungen von Röntgenstrahlen in der Nähe des Leitblitzes scheinen diese Theorie zu bestätigen.
Auch wenn Blitze wie eine kuriose Laune der Natur erscheinen: Sie sind weit mehr als ein Nischen-Forschungsobjekt für Grundlagenforscher. Tatsache ist, dass sie das Klima beeinflussen, im Gegenzug sich wandelnde Klimabedingungen aber auch auf die Gewitter- und die Blitzhäufigkeit auswirken. Neben einer Menge heißer Luft entstehen bei jeder Entladung gewaltige Mengen Stickoxide. Mit mehreren Forschungsprogrammen konnte das Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrtforschung zeigen, dass weltweit durch Gewitter etwa fünf Millionen Tonnen Stickoxide pro Jahr erzeugt werden. Der gesamte Flugverkehr bringt es gerade mal auf 700 000 Tonnen. Da Stickoxide eine Zunahme an Ozon, andererseits eine Abnahme an Methan bewirken, ist eine Auswirkung auf das Weltklima nur schwer abzuschätzen. Dass eine Änderung dieser klimabeeinflussenden „Stellschrauben” jedoch Folgen hat, wagt kaum ein Experte zu bezweifeln.
• Im Blitzkanal treten Temperaturen von rund 30 000 Grad Celsius auf – auf der Oberfläche der Sonne ist es gerade mal 5 000 Grad heiß – sodass sich die Luft explosionsartig ausdehnt und das bekannte Donnergrollen verursacht.
Gewitter nehmen zu
Sollte sich der Klimawandel tatsächlich entsprechend der jüngsten Prognosen vollziehen, bekämen wir diese Folgen recht bald zu spüren. Wie die „World Meteorological Organization” (WMO) errechnet hat, bedeutet eine durchschnittliche Erwärmung der Erde um ein Grad Celsius eine Zunahme der Gewitteraktivität um rund sechs Prozent. Die Abteilung GeoRisikoForschung der Münchener Rückversicherung geht sogar von einer Erhöhung der Blitzhäufigkeit um 50 Prozent aus.
Auf einer Pressekonferenz des Deutschen Wetterdienstes im April 2007 in Berlin präsentierte die Bundesbehörde ihre Zahlen zum Thema Klimaveränderung und konstatierte eine um 0,9 Grad höhere mittlere Lufttemperatur in Deutschland seit 1901. Der Präsident der Behörde, Wolfgang Kusch, bestätigte die Annahmen der WMO: „In Verbindung mit häufiger auftretenden hohen Lufttemperaturen und einem erhöhtem Wasserdampfgehalt der Luft werden sich im Sommer zunehmend starke Gewitter entladen.” Leider haben Institutionen, die mit einem flächendeckenden Netz an Blitzortungsgeräten zuverlässige Daten erheben, erst seit kurzer Zeit brauchbare Zahlen vorliegen.
2,5 Millionen Blitze im Jahr
Ein Beobachter der Gewitterereignisse ist auch der Blitzinformationsdienst BLIDS der Firma Siemens. Die unglaubliche Summe von fast 2,5 Millionen Erd-Blitzen registrierten die Messstationen des Konzerns 2006 deutschlandweit. Bis auf 300 Meter genau können die Einschläge lokalisiert werden – eine gute Hilfe für Versicherungen, Geschädigte und Blitzschutzexperten.
Weniger häufig, aber um so tragischer sind Blitzeinschläge, bei denen Menschen zu Schaden kommen. 2007 waren es mindestens sechs Menschen, die durch die direkte Stromwirkung in Deutschland zu Tode kamen. Laut Silvia Schelo, die für das Statistische Bundesamt die Todesursachenstatistik erstellt, keine außergewöhnliche Zahl. Im Schnitt waren es in den vergangenen Jahren etwa fünf Personen, die einen tödlichen Treffer erlitten. Nicht statistisch erfasst werden all die Blitzopfer, die den Stromschlag überleben. Doch Experten gehen davon aus, dass nur etwa jeder Fünfte das Ereignis nicht überlebt. Rund 70 Prozent der Betroffenen bezahlen die Erfahrung mit einem lebenslangen körperlichen Schaden.
Schwerverletzt durch Blitzschlag
Die Liste der auftretenden Verletzungen ist lang und unterscheidet sich in einigen Punkten von einem gewöhnlichen Stromunfall, da Blitze in viel kürzerer Zeit eine enorme Menge Energie auf den Körper übertragen. In der Regel kommt es zu schweren Verbrennungen und Verletzungen im Bereich von Kopf, Schultern und Beinen. Die tödliche Wirkung auf Herz und Atemzentrum bleibt oft aus, da durch den sogenannten Flash-over-Effekt der Stromfluss durch den hohen elektrischen Widerstand der Haut nur über die Körperoberfläche stattfindet. Belege für diesen Schutzeffekt liefern einige Fälle, die in medizinischen Fachzeitschriften intensiv diskutiert werden: Personen, die metallhaltige Objekte während eines Blitztreffers dicht am Körper trugen, erlitten vor allem in der Nähe der Metallteile schwerste Verletzungen. So fanden Ärzte 1999 bei zwei im Londoner Hydepark verstorbenen Thailänderinnen im Bereich der Brüste schlimme Verbrennungen – die beiden waren mit metallverstärkten Büstenhaltern unterwegs.
Kopfhörer unter Starkstrom
Auch die aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenkenden mobilen Musikanlagen können für den im Regen laufenden Musikfan fatale Folgen haben. Einen kanadischen Zahnarzt erwischte ein Blitz, der zuvor einen Baum getroffen hatte, beim Joggen. Der Strom bahnte sich seinen Weg entlang der Ohrhörerkabel des iPods und fügte dem 37-Jährigen Verbrennungen zweiten Grades an Kopf und Hals zu. Die Trommelfelle des Getroffenen rissen, die Gehörknöchel wurden ausgekugelt und die starke Stimulation der Kiefermuskulatur ließ den Unterkiefer mehrfach brechen. Noch heute hat der Zahnarzt trotz mehrerer Operationen nicht sein vollständiges Hörvermögen zurückerlangt.
Ähnlich gelagerte Unfälle sind auch bei Mobiltelefon-Nutzern beschrieben worden: In der Nähe der elektronischen Geräte kam es meist zu massiven Verbrennungen und zum Stromeintritt in den Körper. Dass Musikplayer und Mobiltelefone allerdings Blitze wie einen Magneten anziehen, ist nach Expertenmeinung nichts weiter als ein urbanes Märchen.
Blitzwarnung per Handy
In naher Zukunft könnten Besitzer eines modernen Handys rechtzeitig vor den Gefahren eines Unwetters gewarnt werden: Das Mobilfunkunternehmen Nokia plant für künftige Modelle integrierte Funkmodule zu nutzen, die die elektromagnetischen Wellen von Blitzen erkennen. Eine Software errechnet dann, wie weit der letzte Blitzeinschlag entfernt war und ob sich das Gewitter auf den Nutzer zubewegt. Das Patent für die neue Technologie wurde jedoch erst vor Kurzem in den USA angemeldet, bis zur Marktreife könnte es also noch einige Zeit dauern.
Ein bei Weitem genaueres Vorhersagesystem namens SAFE (Sensor-Aktor-gestütztes Frühwarnsystem bei Extremwetter) unterstützt derzeit auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Geplant hat das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik in Berlin ein Netzwerk von neuartigen kostengünstigen Wettersensoren. Eines Tages könnten diese Sensoren flächendeckend eingesetzt und detaillierte Wetterdaten errechnet werden. Über ausgeklügelte Verteilersysteme könnten dann Interessierte die Unwetterprognosen auf ihr Handy, Navigationsgerät oder einen Hausempfänger geschickt bekommen. Doch auch hier werden laut Projektleiter Ulrich Meissen wohl noch ein paar Jahre bis zum ausgereiften Serviceangebot vergehen.
Risiko beim Outdoor-Sport
Bis zu diesem Zeitpunkt muss sich der vom Gewitter Überraschte an bekannte Vorsichtsregeln halten und das Wettergeschehen genau beobachten.
Besonders gefährdet sind Freizeitsportler, an der frischen Luft. Wilfried Schilli, emeritierter Professor der Klinik für Mund-, Kiefer-, und Gesichtschirurgie in Freiburg, ist noch heute erschüttert über den plötzlichen Tod seines Bruders. Dr. Gerhard Schilli, seinerzeit ein renommierter Zahnarzt in Freiburg, war begeisterter Golfspieler und bei gutem, aber schwülem Wetter mit einem Freund auf den Golfplatz gefahren. Beide wurden von einer Gewitterfront überrascht, und noch bevor der erste Regen fiel, traf ein Blitz beide Männer tödlich.
In den Vereinigten Staaten hat jeder 20. Blitztote auf einem Golfplatz sein Leben verloren. Golfclubs und -verbände werden daher nicht müde, ihren Mitgliedern die so genannte 30-30-Regel mit auf den Fairway zu geben: Vergehen weniger als 30 Sekunden zwischen Blitz und Donner, sollte sofort das blitzableitergeschützte Clubhaus aufgesucht werden und erst 30 Minuten nach dem letzten Blitz kann man sich draußen wieder gefahrlos bewegen.
Buchen niemals suchen
Wer seinen Abstand zum Unwetterzentrum abschätzen möchte, kann dies ganz leicht berechnen. Da das Blitzlicht nahezu sofort unsere Augen erreicht, der Donner jedoch nur gut 0,34 km in der Sekunde zurücklegt, ist die Zeitspanne zwischen Blitz und Donner ein gutes Maß für die Entfernung. Die gemessene Sekundenzahl geteilt durch drei gibt also ungefähr die Distanz in Kilometer wieder.
Um sich vor einem nahenden Gewitter in Sicherheit zu bringen, sollte man aber eine Weisheit ganz schnell vergessen. Der Spruch „Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen” ist ein lebensgefährlicher Ratschlag, über dessen Herkunft sich schon mancher Wissenschaftler Gedanken gemacht hat. Sprachforscher glauben, dass nicht der Laubbaum Buche gemeint sei, sondern „Buchen”, die früher die Bedeutung „Hecken” gehabt hätten. Insofern wäre die Regel durchaus sinnvoll. Andere Experten gehen eher von einem Irrglauben aus, der sich aufgrund der verschiedenen Rindenstrukturen der Bäume entwickelt habe: Die glatte Oberfläche eines Buchenstammes lässt weniger Blitzschäden erkennen als die zerfurchte Rinde einer Eiche.
•In den Vereinigten Staaten hat jeder 20. Blitztote auf einem Golfplatz sein Leben verloren. Golfclubs und -verbände werden daher nicht müde, ihren Mitgliedern die sogenannte 30-30-Regel mit auf den Fairway zu geben.
Laufen ist gefährlich
Sicher ist aber: Blitze suchen sich ihren Weg nicht nach Baumarten aus. Das Risiko, unter einem Baum stehend von einem überspringenden Blitz getroffen zu werden, ist hoch. Vielmehr sollte man sich eine Mulde suchen, die Füße eng zusammenstellen und in die Hocke gehen. Metallene Gegenstände wie Schirme, Golfschläger oder Fahrräder sollten mehrere Meter entfernt deponiert werden, die Nähe zu Telefon-, Fahnen- oder Laternenmasten ist zu meiden. Wer sich nicht rechtzeitig in eine blitzsichere Zuflucht retten konnte, sollte keinesfalls leichtsinnig davonlaufen oder -fahren.
Zahlreiche Opfer auf Fahrrädern liefern den traurigen Beweis, dass die Gummireifen des Rades keine ausreichende Isolation bieten – genauso wenig wie dicke Gummisohlen von Schuhen der Energie eines Blitzes Widerstand leisten können. Besonders das Laufen und Gehen bei einem Wolkenbruch birgt eine unerkannte Gefahr. Schlägt ein Blitz in der Nähe einer Person ein, kann der Strom den Weg von einem Fuß durch den Körper zum anderen Fuß nehmen. Verursacht wird der Stromfluss durch die sogenannte Schrittspannung, denn kreisförmig um den Einschlagspunkt kommt es kurzfristig zu beachtlichen Potenzialunterschieden. Die Hochspannung im Boden kostet regelmäßig ganzen Viehherden das Leben, die in den Alpenregionen so manchem Unwetter ungeschützt trotzen müssen.
Sicher im Faraday-Käfig
Welche Gefahrenquellen bei einem Gewitter bestehen und welche Verhaltensmaßnahmen besser getroffen werden, ist leider immer noch vielen Menschen nicht bewusst. Einen guten Schutz bieten nur Gebäude mit Blitzableiter oder Fahrzeuge, die wie die meisten Autos oder Flugzeuge eine komplette Metallhülle besitzen. Offene Cabrios ohne Überrollbügel, Kunststofffahrzeuge wie der Trabant oder Wohnwagen können nicht wie ein Faradayscher Käfig wirken und sind daher für die Insassen ein Risiko. Fehlerhafte, veraltete und defekte Erdungen an Telefonleitungen und Wasserohren können für Hausbewohner bei einem Blitztreffer zur tödlichen Falle werden. Bei Gewittern sollte sich also jeder vor dem Duschen, Baden oder dem Telefonieren mit einem verkabelten Telefon über den Zustand der Schutzinstallationen im Klaren sein.
In den USA starb im Laufe einer Untersuchungszeit von 35 Jahren bis 1994 jedes 40. Blitzopfer am häuslichen Telefon; zahlreiche medizinische Fachveröffentlichungen dokumentieren die schweren Kopfverletzungen durch „Starkstrom” aus dem Telefonhörer.
Opfern schnell helfen
Wer unbeteiligter Zeuge eines Blitzunfalls wird, sollte schnell und beherzt handeln. Oftmals sind es Sekunden, die über das Schicksal eines Opfers entscheiden. Zu befürchten hat ein Helfer nichts, da ein Einschlagsort so gut wie nie ein zweites Mal getroffen wird und ein vom Blitz Verletzter nicht unter Strom steht. Ist die getroffene Person bewusstlos, sollte sie in die stabile Seitenlage gebracht und sofort der Notarzt gerufen werden. Stellt man einen Atem- und Herzstillstand fest, muss der Verletzte auf den Rücken gedreht und mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen werden. Eine Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung dürfen erst abgebrochen werden, wenn der Brustkorb des Blitzopfers sich wieder eigenständig bewegt oder Sanitäter die Versorgung übernehmen. Die Mühen der Ersthelfer können Verunfallte vor lebenslangen Behinderungen oder gar vor dem Tod retten. Denn ein mehrminütiger Sauerstoffmangel im Gehirn geht einher mit dem Absterben lebenswichtiger Nervenzellen.
USA haben die Nase vorn
Systematisch untersucht werden die Auswirkungen von Blitzunfällen an der Universität von Illinois in Chicago. Unter der Leitung von Prof. Mary Ann Cooper wurde schon vor Jahren das „Lightning Injury Research Program“ gestartet. Obwohl in den USA die Todesrate durch Blitztreffer nur unwesentlich über der in Deutschland liegt, steht das Thema weit mehr im Fokus der Öffentlichkeit. So liefern beispielsweise Internetseiten der US-Regierung umfangreiche Informationen über die Gefahren von Gewittern. Zudem wird jedes Jahr im Sommer eine ganze Woche zur Blitzsicherheitswoche ausgerufen, in der unter anderem auch prominente Sportler auf Risiken hinweisen. Darüber hinaus setzt sich eine ambitionierte und mitgliederstarke Organisation von Überlebenden eines Blitzunfalls intensiv für die Aufklärung der Bevölkerung ein.
Doch müssen sich Warner und Aufklärer nicht vorwerfen lassen, ein äußerst seltenes Ereignis zum schwerwiegenden Problem aufzubauschen? Zwar bestätigen immerhin Freizeitstatistiker – im Gegensatz zu professionellen Mathematikern, die sich nur ungern zu einem Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen hinreißen lassen – eine höhere Wahrscheinlichkeit vom Blitz erschlagen zu werden als im Lotto den Jackpot zu knacken. Doch rechtfertigt das aufwendige und teure Informationskampagnen? Amerikanische Experten zweifeln daran nicht und sehen in der himmlischen Gefahr ein alltägliches Risiko. Sie errechneten eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 500, im Laufe eines Lebens mit einem Blitzunfall konfrontiert zu werden, sei es als Betroffener oder naher Verwandter eines Opfers. Angesichts zahlreicher nicht statistisch erfasster oder ungeklärter Todesfälle und einer fehlenden Dokumentation von Verletzten scheint diese Zahl durchaus auch für Deutschland eine realistische Größe zu sein.
Kostenfaktor Blitzschäden
Wer ebenfalls keine Zweifel an der Bedrohung durch Schlechtwetterfronten hegt, sind die Risikoanalysten von Schaden- und Unfallversicherern. Sie sorgen sich allerdings weniger um die Gesundheit ihrer Kunden als vielmehr um die enormen Kosten durch zerstörtes Eigentum. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland jedes Jahr Blitzschäden in Milliardenhöhe entstehen. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mussten Versicherer 2006 allein für blitzbedingte Überspannungsschäden 240 Millionen Euro an ihre Kunden zahlen. Rund ein Viertel des Schadensaufwandes im Bereich Hausratversicherungen geht auf das Konto von Blitzschlägen, die teure Fernseher, Computer oder elektronische Anlagen in Elektroschrott verwandelt haben. Eine Auftragsstudie des GDV hat ergeben, dass Überspannungsschäden bis maximal drei Kilometer vom Einschlagsort des Blitzes auftreten können. Denn häufig reichen bereits geringe Spannungsschwankungen im Stromnetz aus, um empfindliche Elektronikchips in modernen Geräten zu überlasten. Versicherte sollten genau überprüfen, ob ihre Hausratversicherung für derartige Schadensfälle aufkommt, in der Regel ist der Abschluss einer zusätzlichen Police notwendig.
Gefahr in der Zahnarztpraxis
Eine geradezu existenzielle Bedrohung können Gewitter für den selbstständigen Zahnarzt in der eigenen Praxis werden. Dipl. Ing. Petra Raab vom Blitzschutzunternehmen Dehn & Söhne bringt das Risiko auf den Punkt: „Dass ein Blitz einen lebensgefährlichen Strom in den Bohrer eines Zahnarztes jagt, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Viel heikler sieht es da bei den sensiblen Patientendaten und den gesamten computergestützten Arbeits- und Verwaltungssystemen in einer Praxis aus!“ Denn selbst, wenn zerstörtes Arbeitsmaterial durch die Versicherungspolice abgedeckt ist, kommt im Normalfall für den Arbeitsausfall und den Verlust wertvoller Daten niemand auf. Gerade Zahnärzte sollten also genau überlegen, inwieweit in haus- oder praxisinterne Überspannungsschutzgeräte investiert werden sollte. Wer viele empfindliche Geräte in der Praxis hat, ist gut beraten, eine Risikoabschätzung und ein Überspannungsschutzkonzept vom Fachmann erstellen zu lassen. Daneben gibt es im Fachhandel vom kleinen Überlastschutz für Laptops bis hin zur unterbrechungsfreien Stromversorgung für Computeranlagen in allen Preiskategorien ein umfangreiches Angebot. Gut etabliert haben sich auf dem Markt Geräte der Marke Surgemaster, die beim Kauf automatisch eine Materialversicherung beinhalten. Für alle, die nicht vorgesorgt haben, raten auch Experten: Bei Gewitter schnell den Netzstecker ziehen. Ebenso riskant, und daher zu entfernen, sind DSL-Kabel am Rechner und Hausantennenkabel am Fernsehgerät.
Blitze als Energiequelle
Bei aller Zerstörungskraft, die ein Blitz mit sich bringt, stellen sich nicht nur Visionäre die Frage, ob die Energie der gewaltigen Entladungen nicht vielleicht auch genutzt werden könnte. Schlummert in dem sommerlichen Naturschauspiel eventuell eine weitere umweltschonende Energiequelle? Mehrere Arbeitsgruppen haben schon mit großen Hoffnungen und finanziell gut ausgestattet versucht, die Naturgewalt zu bändigen. Doch viele Projekte mussten erfolglos aufgegeben werden und hinterließen nur enttäuschte Investoren. Zu wenig lassen sich Blitzeinschläge vorhersagen, und zu aussichtslos scheint es, die Energie zu speichern. Obendrein ist ein Blitz gar nicht so ein Kraftpaket, für das ihn die meisten halten. Auch wenn er mit 100 Millionen Volt und 20 000 Ampere aufwarten kann, hat er nur eine Lebensdauer von einem Bruchteil einer Sekunde. Ein typischer Wolke-Erde-Blitz hat daher gerade genug Energie, um eine 60-Watt-Glühbirne etwa drei Monate mit Strom zu versorgen. Somit bleibt das imposante Himmelsspektakel zumindest in der näheren Zukunft ein rein sinnlicher Genuss, dem jeder mit dem nötigen Respekt begegnen sollte.
Dr. Mario B. LipsDudenstr. 3410965 Berlinmariolips@web.de