Repetitorium

Biomarker als Allrounder

„Neue Biomarker“ unter diesem Schlagwort scheinen sich derzeit auf verschiedensten Ebenen der Medizin Fortschritte zu vollziehen. Biomarker helfen, zielsicher Diagnosen zu stellen, individuell Prognosen abzuschätzen und Behandlungsmaßnahmen so zu steuern, dass klare Indikationen gestellt werden können. Ebenso können Übertherapie vermieden und die Gefahr für Nebenwirkungen minimiert werden.

Biomarker sind biologische Merkmale, die sich messen lassen und die als Indikatoren für normale oder pathologische Prozesse im Körper fungieren. Es kann sich hierbei um Zellen, um bestimmte Moleküle, um Gene oder Genprodukte, Enzyme oder Hormone handeln, um Organfunktionen oder ganz allgemein charakteristische Veränderungen biologischer Strukturen. Solche Biomarker werden schon sehr lange in der Medizin genutzt. Denn auch die in einem Blutbild erfassten Parameter, wie der Hämoglobinwert oder der Nüchternblutzucker, liefern Informationen über bestehende Erkrankungen. Sie dienen der Diagnosesicherung, und anhand der ermittelten Werte wird die Behandlung gesteuert.

Basis der präventiven und personifizierten Medizin

Neben den lang bekannten Parametern gibt es eine Vielzahl neuer Biomarker, die bereits in vielen medizinischen Fachdisziplinen genutzt werden. Fast fieberhaft aber wird nach weiteren Merkmalen gesucht, denn die Biomarker gelten derzeit als Basis der präventiven und der personifizierten Medizin. Es ist dabei zwischen integralen Biomarkern, also solchen, die Abweichungen von der Norm erfassen, und spezifischen Biomarkern, also bestimmten Indikatoren, die beispielsweise einen konkreten Stoffwechselprozess signalisieren, zu unterscheiden sowie zwischen Biomarkern, die im Zusammenhang mit neuen Medikamenten entwickelt werden, und solchen, die rein diagnostische Funktionen haben.

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Häufig zeigen die Marker Veränderungen von Stoffwechselprozessen an. Diese treten zum Beispiel bei pathologischen Entwicklungen auf. So steigt bei Vorliegen eines Diabetes der HbA1c-Wert an. Er sinkt dagegen, wenn bei einem Diabetiker der Blutzucker gut eingestellt wird. Niedrige und insbesondere normnahe Werte des HbA1c sind Zeichen für eine gute Therapiekontrolle. Der HbA1c-Wert dient damit als Biomarker und gibt Auskunft über die Qualität der Blutzuckereinstellung.

Risikoindikator – Funktion als Warnsignal

In anderen Bereichen fungieren biologische Parameter als Risikoindikator. Ein Beispiel für eine solche Situation ist das Prostata-spezifische Antigen, kurz PsA. Es handelt sich um ein Protein, das nur von Prostatazellen gebildet wird und das in geringen Mengen im Blut zu finden ist. Steigt der PsA-Wert im Blut an, ist das ein Hinweis für Veränderungen in der Vorsteherdrüse.

Vor allem ein Prostatakarzinom kann Ursache für deutlich erhöhte PsA-Spiegel sein, so dass der PsA-Wert auch als Risikoparameter für ein solches Karzinom gilt und zur Früherkennung herangezogen wird. Allerdings ist ein hoher PsA-Wert nichts anderes als ein Indiz. Denn die vermehrte Bildung des Prostata-spezifischen Proteins kann durchaus auch andere Gründe haben, zumal der Wert generell mit zunehmendem Alter des Mannes etwas ansteigt. Der Nutzen eines PsA-Screenings wird deshalb nach wie vor kontrovers diskutiert.

###more### ###title### Prognosefaktor – das biochemische Orakel ###title### ###more###

Prognosefaktor – das biochemische Orakel

Zunehmend wird in der modernen Medizin aber nicht nur nach Risikofaktoren einer Erkrankung gesucht, sondern auch nach Prognosefaktoren, also nach Biomarkern, welche eine möglichst verlässliche Auskunft darüber geben, wie sich eine konkrete Erkrankung im individuellen Fall wahrscheinlich entwickeln wird.

Eine erhöhte Albuminausscheidung bei Diabetikern deutet beispielsweise auf die Entwicklung von Nierenschäden hin und kann wie eine Art biochemisches Orakel hinsichtlich der Ausbildung von Folgeschäden bei diabetischer Stoffwechsellage eingesetzt werden.

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Erst jüngst haben in diesem Zusammenhang Forscher der Ruhr-Universität in Bochum melden können, einen neuen Biomarker identifiziert zu haben, der ohne die bislang notwendigen histologischen Untersuchungen aus Biopsien anzeigt, ob sich bei Patienten mit chronischer Hepatitis eine Leberfibrose bildet und damit der Weg in eine Leberzirrhose und möglicherweise in ein Leberzellkarzinom gebahnt wird. Es handelt sich um das Protein MFAP4. Derzeit wird an der Erarbeitung entsprechender, einfach durchzuführender Bluttests gearbeitet, mit deren Hilfe sich dann rasch kontrollieren lassen soll, ob sich bei Patienten mit chronischer Hepatitis eine Leberfibrose entwickelt.

Besondere Bedeutung haben Biomarker als Prognosefaktoren in der Onkologie, in der aggressive Behandlungsformen, wie die Chemo- und die Strahlentherapie, an der Tagesordnung sind. Bei vielen Tumoren kommen diese invasiven und auch teuren Verfahren bereits routinemäßig zum Einsatz, weil sich nach der Diagnosestellung und möglicherweise nach der operativen Entfernung des Tumors die weitere Prognose oft nur schwer abschätzen lässt.

Damit tut sich ein enormes Problemfeld auf, denn bei einem solchen Vorgehen erfahren vermutlich viele Patienten eine höchst aggressive, belastende Behandlung, obwohl sie nach der Operation eine gute Prognose haben und eine solche Behandlung gar nicht erforderlich wäre.

Die Chemo- oder Strahlentherapie kann jedoch ihrerseits massive Folgeschäden induzieren und die Gefahr eines späteren Zweittumors massiv steigern. Es wäre daher hilfreich, Biomarker zu kennen, mit deren Hilfe sich abschätzen ließe, ob der betreffende Patient von einer Chemo- oder Strahlentherapie profitieren wird oder nicht. In einzelnen Bereichen – beispielsweise bei den Lymphomen – gibt es Hinweise darauf, dass eine solche Entwicklung möglich ist. Es wird bereits an angepassten Studienprotokollen gearbeitet.

###more### ###title### Ziel der Target Therapy ###title### ###more###

Ziel der Target Therapy

Ein regelrechter Hype um die Biomarker hat mit der Einführung der neuen Strategie der „Target Therapy“ eingesetzt. Dieses ist die zielgerichtete Therapie in der Onkologie. Dieses moderne Konzept setzt darauf, Antitumormedikamente zu entwickeln, die sich gezielt gegen spezifische molekulare Merkmale der jeweiligen Krebserkrankung richten. So ist bekannt, dass zahlreiche Tumore über Signalwege gesteuert werden, bei denen bestimmte Wachstumsfaktoren das unkontrollierte Zellwachstum und damit das Fortschreiten der Krebserkrankung triggern. Es liegt nahe zu versuchen, spezifische Wirkstoffe zu entwickeln, die diesen Prozess durchbrechen und die Tumorprogression hemmen. Das bedeutet nicht, dass der Patient geheilt ist. Jedoch verbindet sich damit die Hoffnung, durch die medikamentöse Therapie aus der primär lebensbedrohlichen eine chronische Krankheit zu machen, analog zum Beispiel des Diabetes, wo dies seinerzeit durch die Insulinbehandlung möglich wurde.

Voraussetzung ist, dass entsprechende, das jeweilige Tumorwachstum antreibende Biomarker bekannt sind. Es kann sich hierbei direkt um Wachstumsfaktoren, beispielsweise den EGF (Epidermal Growth Factor) oder den VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), handeln oder um deren Rezeptoren oder andere Strukturen, über die die Signalvermittlung in die Zellen hinein erfolgt. Sind die Trigger des Zellwachstums und der Zellteilung bekannt, können Wirkstoffe gegen diese Strukturen erarbeitet werden, beispielsweise als Hemmstoff des Wachstumsfaktors, des Rezeptors oder auch verschiedenster Botenstoffe, die an der Signalvermittlung beteiligt sind.

Dank entsprechender Marker konnten sich inzwischen bereits verschiedene Therapieformen des Konzeptes der Targeted Therapy in der Onkologie etablieren. Ein Beispiel ist der Antikörper Bevacizumab, der sich gegen VEGF richtet und diesen von Tumorzellen gebildeten Wachstumsfaktor blockiert. VEGF aber stimuliert die Bildung neuer Blutgefäße, über die der Tumor sich mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Unterbleibt die Gefäßbildung, hungert der Tumor regelrecht aus, da er ab einer bestimmten Größe Nährstoffe per Diffusion alleine nicht mehr in ausreichender Menge aufnehmen kann. VEGF ist damit mehr als ein Wachstumsfaktor. Es ist zugleich ein Biomarker, der das Gefäßwachstum und damit das Tumorwachstum anzeigt, und der genutzt werden konnte, um neue, lebenserhaltende Therapieoptionen zu entwickeln.

Steuerungselement bei der Therapie

Dass Biomarker sogar direkt dazu herangezogen werden können, die Behandlung zu steuern, demonstriert eindrucksvoll das Beispiel des Mammakarzinoms. Beim Brustkrebs lassen sich verschiedene Krankheitsformen voneinander differenzieren. Therapeutisch bedeutsam ist vor allem die Frage, ob die Tumorzellen auf ihrer Oberfläche besonders viele Rezeptoren einer bestimmten Sorte, die HER2-Rezeptoren, tragen. Sind diese Rezeptoren, die ihrerseits Wachstumsfaktoren stimulieren, im Übermaß exprimiert, liegt in aller Regel ein besonders rasch und aggressiv wachsender Tumor mit hoher Neigung zur Metastasierung vor. Die Prognose ist dann gegenüber anderen Brustkrebsformen schlecht, die HER2-Rezeptoren können somit direkt als Prognosefaktoren fungieren.

Sie haben sogar längst weiterreichende Bedeutung. Denn es konnte mit dem Wirkstoff Trastuzumab, besser bekannt als Herceptin®, ein Antikörper entwickelt werden, der gezielt die HER2-Rezeptoren blockiert und damit die Weiterleitung von Wachstumssignalen unterbindet. HER2 ist somit auch ein Beispiel für einen Biomarker, der direkt therapeutische Entscheidungen steuert. Bei der Diagnose Brustkrebs ist es längst selbstverständlich geworden, den HER2-Status zu bestimmen. Ist der Tumor HER2-positv, so ist eine Therapie mit Trastuzumab indiziert. Ist er HER2-negativ, kann die Behandlung mit dem Antikörper unterbleiben.

HER2 und VEGF sind Beispiele für Biomarker, die zu entscheidenden therapeutischen Fortschritten geführt haben. Durch das Verstehen der Zusammenhänge konnte zum Beispiel im Falle des HER2 gezielt ein Antikörper entwickelt werden, der den HER2-Rezeptor blockiert. Das hat deutlich bessere Heilungschancen für die betroffenen Frauen zur Folge und liefert deutlich längere Überlebenszeiten. Durch die Erforschung und die konsequente Nutzung des Biomarkers und der daraus resultierenden Möglichkeit einer effektiveren Therapie ist aus der ursprünglich prognostisch besonders ungünstigen Form des Mammakarzinoms eine prognostisch eher günstige Krankheitsform geworden.

###more### ###title### Helfer bei der Medikamentenentwicklung ###title### ###more###

Helfer bei der Medikamentenentwicklung

Davon unabhängig haben Biomarker ganz generell entscheidenden Anteil bei der Medikamentenentwicklung. Sie werden herangezogen, um die Wirkung eines Arzneimittels zu überprüfen. So kann beispielsweise anhand der Intima-Media-Dicke kontrolliert werden, ob ein bestimmtes Medikament eine Atherosklerose zur Regression zu bringen vermag. Denn dies ist ansonsten in vivo nicht invasiv kaum in vergleichsweise kurzen Zeitabständen nachzuvollziehen. Die Intima-Media-Dicke ist per Ultraschall leicht zu bestimmen und gilt als Surrogat-Parameter der Atherosklerose in Herzkranzgefäßen. Mithilfe solcher Verfahren lässt sich unter Umständen auch differenzieren, welche Patientengruppen von einer bestimmten Therapie profitieren und welche nicht.

Funktion als Basis des Pharmacogenomics

Erhebliche Fortschritte hat es im Bereich der Biomarker durch die Genomforschung gegeben. Es wird intensiv daran gearbeitet, genetische Biomarker zu identifizieren, also biologische Parameter, Genkonstellationen oder individuelle Genausprägungen, die für bestimmte Reaktionen des individuellen Menschen verantwortlich zeichnen.

Das Potenzial, das diese Forschung eröffnet, ist enorm: So bietet sich bei Kenntnis solcher genetischer Biomarker die Möglichkeit vorherzusagen, wie ein individueller Patient auf ein konkretes Medikament reagieren wird. Damit besteht die Chance, bereits vor Einleiten einer medikamentösen Behandlung zu klären, ob die geplante Medikation im individuellen Fall wirksam sein wird beziehungsweise, wie die Verträglichkeit verlaufen wird. Es wird sich deutlich zeigen, ob das Arzneimittel gravierende Nebenwirkungen haben wird.

Möglich ist dieses Vorgehen bereits bei der Behandlung mit dem Immunsuppressivum Azathioprin, das beispielsweise bei Patienten mit einem schweren Morbus Crohn oder auch bei der Autoimmunhepatitis eingesetzt wird sowie nach Organtransplantationen. Thiopurine, wie das Azathioprin, werden über das Enzym Thiopurinmethyltransferase (TPMT) abgebaut, wobei eine ausreichende TPMT-Aktivität wichtig ist, damit sich keine zytotoxischen Metabolite bilden. Allerdings weist das Enzym einen ausgeprägten Polymorphismus auf, es gibt erhebliche genetische Unterschiede, die auch die Aktivität von TPMT bestimmen. So führen bestimmte Genvarianten zu einem weniger aktiven oder sogar inaktiven Enzym. Es resultiert ein nur unzureichender Abbau der Thiopurine, was die Akkumulation toxischer Metabolite und gravierende, potenziell tödlich verlaufende Komplikationen provozieren kann. Da die entsprechenden Genvarianten gut bekannt sind, kann vor Einleiten einer Behandlung mit Azathioprin eine solche Gefährdung ausgeschlossen werden.

Diese Zusammenhänge sind nur ein Beispiel für die Bemühungen, Arzneimittelwirkungen und -nebenwirkungen anhand von Biomarkern vorhersagbar zu machen, ein Forschungszweig, der bereits einen eigenen Namen erhalten hat und als Pharmacogenomics oder Pharmakogenetik bezeichnet wird.

###more### ###title### Batterie an Indikatoren – Biomarkerprofile ###title### ###more###

Batterie an Indikatoren – Biomarkerprofile

Dank der Fortschritte der Genomforschung lassen sich über Biomarker Krankheiten und Reaktionen charakterisieren, die nicht nur durch nur einen Parameter gesteuert werden, sondern durch ein Gleichgewicht verschiedener Merkmale. Es können regelrechte Biomarkerprofile erstellt werden, die ihrerseits therapeutische Entscheidungen erleichtern oder frühzeitiger auf eine rationale Basis stellen.

Genutzt wird dieses beispielsweise in der Transplantationsmedizin, in der anhand von RNA-Biomarkerprofilen Abstoßungsreaktionen gegen das neue Organ früh erkannt werden können, was raschere Gegenmaßnahmen möglich macht.

Personifizierte Medizin als mögliche Zukunft

Die weitere Erforschung und Identifizierung von Biomarkern kann damit die Basis für eine zunehmende Personalisierung von Therapieentscheidungen sein. Sie kann dazu beitragen, dass das richtige Medikament dem richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Dosierung verabreicht wird. Biomarker helfen, zielsicher Diagnosen zu stellen, individuell Prognosen abzuschätzen und Behandlungsmaßnahmen so zu steuern, dass klare Indikationen gestellt werden können, eine Übertherapie vermieden und die Gefahr für Therapienebenwirkungen minimiert wird.

Eine personalisierte Medizin, also die Behandlung von Erkrankungen nicht länger nach empirischen Gesichtspunkten und statistischen Studiendaten, sondern direkt orientiert an der individuellen Situation des Patienten und zielgerichtet entsprechend der im Einzelfall konkret vorliegenden Veränderungen und Defekte – das ist in der Medizin ein bereits lange gehegter Traum.

Die Autorin der Rubrik „Repetitorium“ ist gerne bereit, Fragen zu ihren Beiträgen zu beantwortenChristine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln 

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