Starke Perspektive
„Wir müssen aufpassen, dass die zahnmedizinische Versorgung nicht erneut in den gesundheitspolitischen Eintopf gerät“, betonte der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz gleich zu Beginn. „Die Priorisierungsdiskussion mag bei den Ärzten nützlich sein – wir brauchen sie nicht. Wir haben eigene Konzepte, wir haben eigene Rezepte, und wir wollen einen eigenen Weg. Was wir nicht wollen ist, dass uns das neue ärztliche Vergütungssystem einfach übergestülpt wird.“ Die ärztlichen Steuerungsinstrumente passten vielleicht in einen Bereich, der fast alle Leistungen im EBM abbildet.
Im Unterschied dazu könnten die Zahnärzte jedoch Versorgungsalternativen benennen und damit ordnungspolitisch saubere Wege gehen. Die KZBV forderte den Gesetzgeber deshalb auf, die Besonderheiten der vertragszahnärztlichen Versorgung in eigene Regelungen zu fassen. Oberstes Ziel: die Abschaffung der Budgets.
Schluss mit den Budgets
Fedderwitz: „Wie wollen nicht länger eine Budgetierung, die von der Kollegenschaft alljährlich mit 150 Millionen Euro alimentiert wird!“ Weil die Budgets nur eine Anpassung der Gesamtvergütungen anhand der Mitgliederzahl und der Grundlohnsummenveränderung je Mitglied vorsehen, würden Wanderungsbewegungen der Versicherten bei den Kassen überhaupt nicht berücksichtigt. Ebenso wenig könne man die wandelnde Leistungsinanspruchnahme der Versicherten mit den starren Budgets abbilden.
Die wachsenden Alternativen in Therapie und Therapieaufwand, die dadurch mögliche Differenzierung in Grund- und Zusatzleistungen, keine angebotsindizierte Nachfrage, die kaum vorhandenen sektorübergreifenden Leistungen, die marginale Bedeutung von veranlassten Leistungen, wie Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, und nicht zuletzt die vorab genehmigungspflichtigen Leistungen bei Prothetik, PAR, KFO und KB – all diese Besonderheiten in der Zahnmedizin sprechen laut Fedderwitz für die zahnärztlichen Konzepte zur Budgetabschaffung und Aufhebung der budgetbedingten Strukturverwerfungen.
Sachleistung geknackt
Ziel sei eine transparente, abschließend berechnete und für jedermann nachvollziehbare Regelung. Fedderwitz: „Dazu macht es keinen Sinn, einen Regelklops mit unüberschaubarem Inhalt aufzutischen, sondern die Gänge einzeln mit klaren Inhalten aufzulegen. Mit an vorderster Stelle steht dabei auch der Ost-West-Angleich.“ Die GKV werde auch künftig keine umfassende Vollversorgung leisten können. Festzuschüsse seien deshalb konzeptionell immer dort der richtige Weg, wo man zwischen Grund- und Wahlleistungen differenzieren kann. „Das Festzuschussmodell beim ZE hat die Sachleistung geknackt“, konkretisierte der KZBVChef. Angesichts der Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Arbeitslosigkeit erlebe das Solidarprinzip in der GKV eine erneute Bestätigung. Fedderwitz: „In diesen Zeiten wird jeder Euro mehrmals umgedreht, bevor er für einen Selektivvertrag ausgegeben wird.“ Vieles deute daher darauf hin, dass es eher ein dauerhaftes Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivverträgen geben werde. Die Vorstellung, dass das eine System durch das andere ersetzt wird, hält Fedderwitz für unrealistisch. Unter Wettbewerb verstehe die KZBV allerdings weder die unheilvolle Ökonomisierung des Gesundheitswesens noch den ruinösen Preiswettbewerb, der via Preisverfall zur Zerschlagung jeglicher freiberuflicher Strukturen führe. Fedderwitz: „Wir wollen einen Wettbewerb, der eine Stärkung freiberuflicher Versorgungsstrukturen ohne staatliche Fremdbestimmung und Gängelung ermöglicht.“ So wie die Selbstverwaltung vom Freien Beruf fundamental getragen werde, seien die KVen und KZVen ebenfalls unverzichtbare Organisationselemente. Solange Leistungsbereiche der zahnärztlichen Versorgung noch in der GKV verankert sind, bräuchte man die KZVen im System. Fedderwitz: „Das ist Gestaltungsauftrag und Gestaltungschance zugleich!“
Dass die Zahnmedizin in ihrer Eigenständigkeit bislang nicht ernst genommen werde, bestätigte auch der stellvertretende KZBVVorsitzende Dr. Wolfgang Eßer. „Frei nach dem Motto: Was für die Ärzte gut ist, ist für die Zahnärzte bestimmt schon lange gut!“
Ruf nach Eigenständigkeit
Laut Eßer steht das GKV-System vor einer heterogenen bis paradoxen Entwicklung: Einerseits habe man qua Gesundheitsfonds oder Basistarif zentralistische Elemente eingeführt, andererseits werde der Vertragsbereich mittels Hausarzt- und Selektivverträgen extrem dereguliert. Eßer: „Hier verstetigt sich eine ganz unheilvolle Entwicklung hin zu einer Kommerzialisierung des Gesundheitswesens mit extrem problematischen Wettbewerbstendenzen.“
Thema Wettbewerb: Wie Eßer ausführte, schließen sich die KZVen zusammen, um ansonsten unvermeidliche Nachteile für die Zahnärzte aus kassenartenübergreifenden Fusionen und Budgetaufsplittungen zu verhindern. Es gilt: „Keine neuen Verträge, bevor nicht die Auswirkungen auf die anderen KZV-Bereiche absehbar sind und die Ersatzkassen die für die Planung notwendigen Strukturdaten geliefert haben.“ Fusionen dürften weder zum Nachteil der vertragszahnärztlichen Versorgung noch auf dem Rücken der Leistungserbringer erfolgen. „Wir sind als Zahnärzte nicht dazu da, die Wettbewerbsvorteile der Kassen zu finanzieren“, stellte Eßer klar.
Da sich das BMG nach eigener Aussage mit Problemen bei der zahnärztlichen Versorgung pflegebedürftiger Menschen bei Heimbesuchen konfrontiert sah, wurde die KZBV gebeten, den Anpassungsbedarf bei den gesetzlichen Regelungen zu analysieren. Eßer zufolge wird die KZBV ein mit BZÄK und DGZMK abgestimmtes wissenschaftliches Konzept erarbeiten. Infolge der ärztlichen Honorarreform war laut Eßer zudem zu befürchten, dass die medizinisch notwendige Behandlung von Kindern und Behinderten aufgrund der geringen Bewertung dieser Leistungen nicht mehr sichergestellt werden konnte. Verschärft worden sei das Problem durch die Einführung der bundesweiten fallabhängigen Regelleistungsvolumina (RLV). „Ein Anästhesist, der im zahnärztlichen Bereich überwiegend Leistungen nach dem EBM erbringt, hatte danach sein persönliches RLV schon nach einem Drittel des bisher üblichen Patientenaufkommens verbraucht und bekam die übrigen Leistungen nur abgestaffelt vergütet“, erklärte Eßer. „Das führte dazu, dass insbesondere Kinderärzte vor dem Problem standen, Anästhesisten zu finden, die für nicht kostendeckende Honorare Patienten unter Narkose behandelten.“ Eine nicht zuletzt auch ethische Frage. Jetzt erzielte die KZBV zumindest einen Teilerfolg zur erforderlichen Besserstellung der Vergütung der maßgeblichen Positionen im EBM: „Die Gebührenpositionen werden ab dem 1. Juli nicht mehr den arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina unterliegen“, betonte Eßer. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die zahnärztliche Versorgung von Kindern und Menschen mit Behinderungen dauerhaft gesichert wird. Da bleiben wir am Ball.“
Einer der weiteren Schwerpunkte im vergangenen Halbjahr: die Qualitätssicherung. Der G-BA sollte Parameter entwickeln, mit denen man die Qualität der Behandlung über die Grenzen von Krankenhaus, Arztpraxis und Zahnarztpraxis hinaus messen und gegebenenfalls verbessern kann, erläuterte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Günther E. Buchholz. „Wir haben erreicht, dass die zahnärztliche Versorgung neben dem ambulanten und stationären Bereich im G-BA als eigenständiger Sektor im Sinne des SGB V anerkannt wird.“
In der Telematik macht die elektronische Gesundheitskarte weiter Schlagzeilen. „Die eGK wird in der Öffentlichkeit mehr und mehr wahrgenommen – allerdings nicht so positiv wie uns die Umfragen mancher Krankenkassen glauben machen wollen“, stellte Buchholz klar. „Berichte über Datenmissbrauch und Datenklau führen dazu, dass das Misstrauen bei Zahnärzten wie auch bei Patienten wächst. Die unsachgemäßen Vorgaben des Gesetzgebers und die chaotischen Planungen der gematik, die die Forderungen der Leistungserbringer konsequent ignoriert, tun ihr Übriges, dass die kritische, aber konstruktive Haltung der Ärzte- und Zahnärzteschaft zum offenen Boykott führt.“ Was den Basis-Rollout in Nordrhein betrifft: Seit Oktober habe sich dort weit weniger getan als vom BMG und der gematik immer wieder angekündigt. „Das liegt“, hob Buchholz hervor, „allerdings nicht an den, wie dort gern behauptet, Verzögerungen durch die Selbstverwaltung.“ Die KZBV sei natürlich – ungeachtet der Ablehnung des entsprechenden Beschlusses der Gesellschafterversammlung – ihrer gesetzlichen Pflicht nachgekommen, den PVS-Herstellern die Möglichkeit zur Umrüstung der Praxissysteme und zum Erhalt der entsprechenden Eignungsfeststellungen zu geben. Buchholz: „Wir sahen uns auch in der Pflicht, die notwendigen Pauschalen mit dem GKV-Spitzenverband festzulegen, damit zumindest die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass die nordrheinischen Zahnärzte eine Erstattung für die Umrüstung ihrer Praxen erhalten.“ Danach sehen die Verträge vor, dass die dortigen Praxen bis Ende Oktober ausgestattet sein sollen. Ziel sei, zu gegebener Zeit einen Stichtag zu bestimmen, ab dem die eGK in den Praxen als Versicherungsnachweis akzeptiert wird. „Diese Planung wird jedoch vom BMG schon wieder unterlaufen, da man sich überlegt hat, die eGK bereits Anfang Oktober auszugeben, um Fakten zu schaffen“, berichtete Buchholz. Darüber hinaus habe das BMG verfügt, dass in den drei 100 000er-Testregionen Bochum-Essen, Ingolstadt und Heilbronn unverzüglich alle am Test teilnehmenden Versicherten mit der eGK und alle Leistungserbringer mit Lesegeräten ausgestattet werden. „Abgesehen davon, dass hier Rollout und Testverfahren nun endgültig durcheinander geraten, erzeugt das Ministerium durch die Kartenausgabe Druck – Praxen ohne Lesegeräte werden massive Probleme erhalten“, kritisierte der KZBV-Vize. Außerdem würden die Verhandlungen zum Rollout stark eingeschränkt, weil das BMG die Verpflichtungen per Rechtsverordnung bereits weitgehend vorgebe. Bekanntermaßen sehe die KZBV die Notwendigkeit der Einführung der eGK im zahnärztlichen Bereich nicht gegeben und fordere aufgrund der unzureichenden Lösungen eine Neukonzeption.
Parallel zu dieser Arbeit habe sie aber die gesetzliche Pflicht zur Umsetzung der Gesellschafterbeschlüsse. „Wir müssen erkennen, dass der Rollout weder durch die Ablehnung der Ärzte in Nordrhein, noch durch die Ablehnung der Zahnärzteschaft zu verhindern ist“, bilanzierte Buchholz. „Deshalb sind wir in der Pflicht, parallel dafür zu sorgen, dass – wenn die argumentative Ebene scheitert – der Rollout für die Praxen nicht im Chaos endet.“ Die wirklich kritische Stufe sei ohnehin der Online-Rollout. Während die Leistungserbringer die Entscheidung der einzelnen Praxis überlassen wollen, ob sie online geht, verlange der GKV-Spitzenverband die flächendeckende Anbindung aller Arzt- und Zahnarztpraxen und eine automatische Online-Prüfung bei jedem Stecken der Karte. Vorgesehen sei, die schützenswerten Versichertendaten nur noch zugriffsgeschützt zu speichern. Nach Vorstellung der Kostenträger soll die Software zum Einlesen der Daten aber nur bezahlt werden, wenn der Zahnarzt online geht. Das hieße laut Buchholz: Nur Online-Praxen gelangen noch an alle abrechnungsrelevanten Daten.
Online durch die Hintertür
„Auf diese Weise versuchen Kostenträger und gematik, durch die Hintertür des Datenschutzes die Online-Anbindung aller Praxen zu erreichen“, bestätigte Buchholz. Die Delegierten sprachen sich daher erneut gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der bisher vorgestellten Form aus (siehe Kasten). Sie votierten dafür, den Basis-Rollout so lange zu stoppen, bis die geplanten Anwendungen im Konsens mit den Beteiligten überarbeitet oder neu konzipiert werden. Buchholz: „Es muss ein Überdenken des gesamten Konzepts erfolgen, ohne dass die Karte zwingend eingestampft werden muss.“