Emergency Room
Ärzte kassieren kräftig ab“, titelt die „Süddeutsche Zeitung“ am 13. August. „Ärztefunktionäre klagen häufig über sinkende Einkommen – dabei sind die Honorare der niedergelassenen Mediziner in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen“, beanstandet das Blatt unter Hinweis auf aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes. Insgesamt 142 000 Euro habe der durchschnittliche Reinertrag eines Niedergelassenen 2007 betragen. Ein erkleckliches Sümmchen, denkt sich der geneigte Leser.
Dass es sich hierbei um Bruttosummen handelt, die die Realität in den Arztpraxen völlig verzerren, wie die KBV betont, verhallt mehr oder weniger ungehört. Auch dass die Wiesbadener Statistiker eilends richtigstellen, man dürfe den Betrag keinesfalls mit dem Gewinn gleichsetzen, spielt keine Rolle mehr: Die Zahl 142 000 hat sich ins Gedächtnis eingebrannt.
Der Bericht in der SZ ist kein Einzelfall. Fast die gesamte Medienwelt springt auf das Thema an. Und während man über die Ärzte, ihre Marathondienste und vergleichsweise schmalen Portemonnaies neulich noch wohlwollend zu berichten wusste, kippt die Stimmung jetzt ins Gegenteil.
Ja, der Unmut über das angeblich niveauhohe Jammern in Krisenzeiten wächst. Nachdem fast drei Milliarden Euro in die ärztlichen Honorartöpfe gebuttert worden sind, ist man der Proteste überdrüssig. Viele Sympathien sind verspielt. Zwar genießt kein anderer Berufsstand hierzulande so viel Anerkennung – nicht ohne Grund belegen Mediziner bei Umfragen in der Kategorie „Vertrauen“ regelmäßig Spitzenplätze. Richtig ist aber auch: Kaum eine andere Berufsgruppe steht unter so großem Rechtfertigungsdruck. Die von der AOK angekündigten Arztbewertungen per Internet wie auch der SPD-Plan, die Patientenrechte bei Kunstfehlern per Gesetz zu stärken, sind nur zwei Beispiele dafür.
Das kommt den Kassen gerade recht. Erst jüngst befeuerte die Barmer Ersatzkasse die Diskussion um die Legitimität weiterer Forderungen. „Ärzte sind Spitzenverdiener“, verkündete Barmer-Chef Joachim Vöcking und schmetterte weitere finanzielle Ansprüche kategorisch ab. Laut Barmer-Publikation „Gesundheitswesen aktuell“ sei der Verdienst der Mediziner in den vergangenen vier Jahren sogar um gut ein Fünftel gestiegen. Unterm Strich käme der Arzt auf ein zu versteuerndes Einkommen von etwa 195 000 Euro in diesem Jahr, abzüglich Altersvorsorge. Fazit Vöcking: Die Dottores verdienen im Durchschnitt etwa das Sechsbis Siebenfache der Kassenmitglieder.
Als die ersten harten Zahlen durchsickern, wird freilich jedem klar: Die Wirklichkeit sieht anders aus. Zwar fallen die absoluten Ziffern aller Voraussicht nach besser als erwartet aus. Sie dürften aber keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass es vor Ort noch viele Probleme zu lösen gilt, betonte der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler: „Diese Honorarreform hat zu Verwerfungen geführt – zu gewünschten und zu nicht gewünschten. Längst nicht alle Ärzte haben dazugewonnen. Es gibt auch Verlierer dieser Reform.“ Knapp acht Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum haben die Niedergelassenen durchschnittlich im ersten Quartal 2009 verdient. 2,7 Milliarden Euro mehr. Allerdings auf Basis der Zahlen von 2007 – nicht von 2008, wie von der Ärzteschaft gefordert. Hochgerechnet auf das ganze Jahr erhalten sie schätzungsweise 31,6 Milliarden Euro, kommentierte Köhler erste Auswertungen der Honorarreform.
Bislang zählt die KBV zwei Drittel aller Ärzte zu den Gewinnern. Was umgekehrt bedeutet: Ein Drittel aller Praxen steht finanziell schlechter da als zuvor. Mit 32,2 Prozent Plus profitieren die Berliner Ärzte am meisten, Schlusslicht bilden die Baden-Württemberger mit minus 0,7 Prozent. Nach Angaben der KBV verteilen sich die Gelder nahezu gleich auf den hausärztlichen (plus 10 Prozent) und fachärztlichen Versorgungsbereich (plus 9 Prozent). Je nach Arztgruppe reicht die Spanne allerdings von minus vier Prozent bis zu plus 21 Prozent. Während beispielsweise die Kardiologen auf der Gewinnerseite ganz oben stehen, verbuchen die Kinderärzte erhebliche Einbußen. „Wir befinden uns mitten auf der Strecke hin zu einer adäquaten Vergütung. Doch dieser Weg bleibt schwer und holprig“, hält Köhler fest. Letztlich gehe es um die Sicherung der ambulanten Versorgung: wohnortnah und qualitativ hochwertig. Köhler verlangt weitere Honorarzuwächse und eine Rückkehr zur Einzelleistungsvergütung: „Pauschalen führen zu Intransparenz und bilden den tatsächlichen Leistungsbedarf nicht ab.“
Unterdeckung bleibt
Die finanzielle Unterdeckung in der ambulanten Versorgung von 30 Prozent sei allenfalls nur teilweise behoben. Und daran – Stichwort Regelleistungsvolumen, kurz RLV – trügen die Krankenkassen und das BMG eine Mitschuld: Die Kassen, weil das von ihnen durchgeboxte Modell Praxen mit kleinen Fallzahlen, aber großem Leistungsangebot benachteiligt. Das Ministerium, weil es zu spät klarstellte, dass als Ausgleich zusätzliche regionale Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vereinbart werden können, zum Beispiel für die Prävention, ambulantes Operieren oder belegärztliche Leistungen.
Auffällig sei ja, dass die Reformgewinner ihre Honorarzuwächse hauptsächlich durch Leistungen außerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung erzielten, also etwa für Akupunktur, bestimmte nephrologische und anästhesiologische Leistungen, Bronchoskopien und psychiatrische Gespräche und Betreuungsdienste. Da die RLV zudem bei den Hausärzten im Durchschnitt um zwölf, bei den Fachärzten um 14 Prozent überzogen wurden, sieht die KBV hier auf jeden Fall noch Handlungsbedarf. Gerade vor dem Hintergrund, dass auch hier die Entwicklung keine bundesweite ist: Während sie in Hessen zu zwei Prozent nicht ausgeschöpft wurden, betrug die Überschreitung in Westfalen-Lippe fast 27 Prozent.
Mitschuld – wie bitte? Dieser Vorwurf perlt an Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ab. Sie lege „Wert auf die Feststellung, dass der Gesetzestext zur Honorarreform so wie er jetzt ist, von der KBV als Voraussetzung gesehen wurde, um die Reform überhaupt umsetzen zu können“. Natürlich könne ein so komplexes neues System nicht von Anfang an optimal funktionieren. „Aber wie das Honorar vor Ort am besten unter den Ärzten verteilt wird, kann nur die zuständige KV wissen“, sagte Schmidt im Interview mit dem „Deutschen Ärzteblatt“ und machte damit die Ärzte für die Verteilungsungerechtigkeiten verantwortlich. „Diese Honorarreform ist von den Ärzten verlangt worden“, unterstützte Franz Knieps, im BMG der zuständige Abteilungsleiter für Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung, seine Ministerin. „Sie ist wesentlich durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung konzipiert worden.“
Ja, der Schlüssel für die Verteilung weise noch Fehler auf, räumte Köhler ein. Insgesamt habe das BMG aber das gesetzliche Korsett vorgeschrieben, stellte er richtig. Die Gestaltungsspielräume der KVen seien durch politische Vorgaben des Gesetzgebers nur noch minimal, bilanzierte der KBV-Chef auf dem 1. Deutschen Kassenärztetag in Berlin. Köhler: „Wenn die Politik nicht die Spielräume für die KVen erweitert, und eine sinnvolle Wettbewerbsordnung etabliert, kollabiert das KV-System.“ Nichtsdestotrotz ist die Realisierung der Honorarreform für ihn gerade ein Beweis, dass die ärztliche Selbstverwaltung funktioniert.
Mehr Schweitzer als Duck
Und spürbare finanzielle Verbesserungen seien schließlich selbst dort zu erwarten, wo die heftigsten Kritiker der Reform leben, so Köhler. Mithilfe einer Konvergenzphase will man in den betroffenen Regionen bis Ende 2010 zusätzlich die Einbußen einzelner Arztgruppen begrenzen. Doch wie reagiert die Basis? Fakt ist: Die Ärzteproteste der vergangenen Monate stießen unter den Medizinern offenbar auf große Zustimmung. Wie der 4. Gesundheitsreport des Finanzvertriebs MLP zeigte, hatte nur eine Minderheit von zwölf Prozent für Praxisschließungen von Kollegen gar kein Verständnis, jeder dritte sperrte dagegen selbst zeitweise seine Praxis zu. Alles in allem standen laut Umfrage 54 Prozent hinter den Protesten. Auch Bayerns KV-Chef Axel Munte verteidigte den Widerstand der Ärzte, lenkte aber gleichzeitig ein: „Wir dürfen nicht unser gutes Image zerstören, indem wir nur noch über Geld reden und von unserer sozialen Verantwortung nichts mehr zu sehen ist. Man muss noch deutlich den Albert Schweitzer neben dem Dagobert Duck erkennen können.“
Der Unmut richtet sich freilich insgesamt gegen die schwarz-rote Politik und das Reform-Management der KVen. Denn hinter dem Honorarstreit verbirgt sich letztlich eine Frage von ganz anderer Tragweite. Und zwar die, ob KBV und KVen noch die geeigneten Organe sind, um die Interessen der Ärzteschaft adäquat zu vertreten. Eben nicht nur beim Honorar, sondern generell beim Aushandeln von Verträgen mit Krankenkassen und bei der Durchsetzung der ärztlichen Positionen insgesamt.
Insbesondere die Hausärzte proben dabei den Alleingang und schließen allein Verträge ab – das heißt, an der zuständigen KV vorbei. Seit Jahren klagen sie darüber, dass sie sich von den KVen stiefmütterlich behandelt fühlen. Jetzt ist Schluss: Sie setzen auf den Deutschen Hausärzteverband. Hintergrund: In KV-Bereichen, in denen eine ärztliche Gemeinschaft mehr als die Hälfte aller Hausärzte vertritt, ist sie erster Vertragspartner – und der Hausärzteverband verfügt nach eigenen Angaben bundesweit über die erforderlichen Mandate. Mit anderen Worten: Er hat bei den Hausärzteverträgen das Vertragsmonopol – so festgehalten im SGB V, Paragrafen 73 b und c. Der Hausärzteverband verteidigt daher die von ihm geschlossenen Selektivverträge mit den AOKen in Bayern und Baden-Württemberg ohne Wenn und Aber. „Das Geld muss dahin, wo es für die Versorgung notwendig ist“, argumentiert der Verbandsvorsitzende Ulrich Weigeldt. Für notwendige Veränderungen sei keinesfalls immer der Kollektivvertrag geeignet.
Das sieht Köhler anders: Durch das Nebeneinander von kollektivvertraglicher Versorgung und Selektivverträgen sei der Sicherstellungsauftrag der KVen akut bedroht. Dringend notwendig sei ein geordneter Wettbewerb. Denn: „Ein ungeordneter Wettbewerb ist ungerecht und eben nicht solidarisch.“ Unbedingt erforderlich sei daher eine Rückkehr zu klaren kollektivvertraglichen Strukturen. Ändere die Politik ihren Kurs nicht, werde der Kollektivvertrag schon „in einem oder zwei Jahren tot sein“. Der Sicherstellungsauftrag sei geteilt: „In selektiven Verträgen geht er auf die jeweilige Krankenkasse über“, rügte Köhler.
Nicht nur die KBV und die KVen, auch viele Kassen halten das Hausarztmodell für unzweckmäßig: Die Ärzte würden ihrer Lotsenfunktion nicht gerecht, anstelle einer besseren Versorgungsqualität entstünden enorme Mehrkosten für Ärztehonorare, Zusatzleistungen und den Wegfall der Praxisgebühr. „Die neuen Instrumente der Macht scheinen die Hausärzteverbände weniger zur Verbesserung der Patientenversorgung nutzen zu wollen als zur Verbesserung ihrer Einkommenssituation“, rügte beispielsweise der Vorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs.
KVen sollen bleiben
Ungeachtet dessen hält Ulla Schmidt daran fest. Weil der Abschluss solcher Verträge bis zum 30. Juni gesetzlich vorgeschrieben war, der Deutsche Hausärzteverband aber nur eine verschwindend geringe Zahl registrierte, will Schmidt die Krankenkassen nun per Schiedsamt zum Mitmachen zwingen. „Der Paragraf 73 b steht“, sagte sie. Sie halte nichts davon, „je nach Großwetterlage an Gesetzen zu rütteln“, bekräftigte sie mit Blick auf Forderungen von Kassen und Bundesversicherungsamt nach einer Revision der Regelung. Generell sieht aber auch Schmidt derzeit keine Alternative zu den KVen. Deren Abschaffung löse die Probleme nicht, vor denen die Versorgung stehe, sagte sie. Das machten Gesundheitspolitiker aller Bundestagsfraktionen inzwischen deutlich: Am Erhalt der KVen wird im Moment nicht gerüttelt. Mit einer Abkehr von den Selektivverträgen ist nach der Bundestagswahl dennoch nicht zu rechnen. „Wir sind für eine starke KBV, aber auch für Selektivverträge“, erklärte Mechthild Rawert (SPD). Ähnlich sah es Daniel Bahr (FDP): „Es tut einer Körperschaft mal ganz gut zu sehen, was es in Einzelverträgen so gibt.“ Wolfgang Zöller (CSU) betonte zwar: „Ich halte die KVen für unbedingt notwendig.“ Er sagte aber auch, die niedergelassenen Ärzte und ihre Vertretungen müssten sich bewegen und untereinander einigen. Hätte man in den KVen dafür gesorgt, dass Hausärzte dort ihre eigenen Belange verhandeln können, wäre es laut Zöller zum Streit um die Hausärzteverträge und den Paragrafen 73 gar nicht erst gekommen.
Gut möglich, dass der aufgeladene Streit rund um Honorare und Verträge den Blick auf eine entscheidende Frage verstellt: Wie viel ist unserer Gesellschaft eine gute medizinische Versorgung – also letztlich unsere Gesundheit – wert? Zu selbstlosem Einsatz und fehlerfreier Behandlung verpflichten sich die Ärzte allein schon durch den Hippokratischen Eid. Dass eine Rundumversorgung nicht zum Nulltarif zu haben ist, glaubt immer noch nicht jeder. Das bekam auch Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe zu spüren. Als er im Frühjahr das Thema Priorisierung auf die Agenda setzte, schlug ihm eine Welle von Ablehnung und Unverständnis entgegen. Wie kann ein Arzt, noch dazu der Präsident der Bundesärztekammer, derart patientenfeindliche Vorschläge unterbreiten? Ganz einfach: „Wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wollen keine Rationierung, keine Streichung von medizinischen Leistungen, aber wir wollen auch nicht weiter für den staatlich verordneten Mangel in den Praxen und den Kliniken verantwortlich gemacht werden“, erklärte Hoppe klipp und klar. Die von der Politik zementierte Mangelversorgung lasse angesichts von medizinischem Fortschritt und demografischer Entwicklung auf Dauer nicht mehr zu, dass jeder Kranke behandelt wird. Hoppe: „Nun müssen wir es schaffen, dass sich Politik und Gesellschaft mit diesem Thema auch ernsthaft auseinandersetzen!“ Den Politköpfen warf er Täuschung vor: „Sie drehen uns den Hahn zu und machen uns dafür verantwortlich.“
Mut zur Wahrheit
Fließt künftig nicht genug Geld in die Versorgung der Patienten, müsse die Gesellschaft offen und ehrlich über gerechte Verteilungsmechanismen wie die Priorisierung medizinischer Leistungen diskutieren. „Im Prinzip bedeutet Priorisierung, dass ärztliches Handeln in Diagnostik und Therapie im Rahmen der zur Verfügung stehenden Leistungsmöglichkeiten eine Auswahl trifft, welche Therapiemöglichkeiten für welche Patienten in Zukunft zur Verfügung stehen und worauf unter Umständen verzichtet werden muss“, sagte Hoppe. Priorisierung könne dazu beitragen, die knappen Mittel nach gesellschaftlich konsentierten Kriterien möglichst gerecht zu verteilen. Denkbar sei, einen Gesundheitsrat zu etablieren, der unter sozialen, ethischen und ärztlichen Kriterien Prioritäten entwickelt und diese öffentlich diskutiert.
Für Hoppe die einzig realistische Möglichkeit, die Versorgung weiter zu gewährleisten, für seine Kritiker ein undenkbarer Weg. Denn während Ärzteverbände und auch manche Krankenkassen Hoppes Vorstoß begrüßten, watschte ihn Bundesgesundheitsministerin Schmidt brüsk ab: Die Forderung nach eingeschränkten Leistungen sei „menschenverachtend“. Ein solcher Vorschlag widerspreche ihrer Auffassung von Sozialstaat. Hoppe entgegnete wiederum: Die gesundheitliche Versorgung leide derzeit unter dem Widerspruch, dass die medizinischen Möglichkeiten schneller wachsen als die Bereitschaft, dafür finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Quo vadis
Dass diese Lage auch die angehenden Mediziner abtörnt, wirkt sich dramatisch aus: Rund 75 000 Ärzte treten bald in den Ruhestand, ohne dass für sie jeweils ein Nachfolger bereit steht, meldet die Bundesärztekammer. Statt sich hierzulande niederzulassen, zieht es die Jungen immer öfter ins Ausland. Die Bundesärztekammer fordert von der Politik darum eine neue Initiative zur Bekämpfung des Ärztemangels. „Wir erwarten von der zukünftigen Bundesre- gierung, dass sie die demografische Entwicklung und den zukünftigen ärztlichen Versorgungsbedarf prioritär behandelt“, sagte Hoppe. Die Forderungen der Ärzte müssten Eingang in den neuen Koalitionsvertrag finden, sagte er weiter. Dabei gehe es nicht nur um finanzielle Fragen, sondern vielmehr um strukturelle Verbesserungen, wie zum Beispiel den Abbau der Bürokratisierung in Kliniken und Arztpraxen.
Köhler schließt sich an und fordert, dass die Ärzte eine aktive Rolle bei der Neuausrichtung des Gesundheitswesens spielen. Analog zum Forderungskatalog der KBV zur Bundestagswahl nannte Köhler die Details: Das unkoordinierte Nebeneinander von Kollektiv- und Einzelverträgen müsse ein Ende haben. Bedingung sei, dass die Politik für Planungssicherheit im Gesundheitswesen sorgt und die rechtlichen Grundlagen schafft, um langfristig eine gute Versorgung zu gewährleisten. Zentraler Punkt sei der Schutz der ärztlichen Freiberuflichkeit. Köhler warnte dabei vor einer zunehmenden Ökonomisierung der Medizin. Gewinnorientierte Kapitalunternehmer etwa dürften in MVZ nicht das Sagen haben.
Aktive Rolle gefordert
„Konkret bedeutet das: Vor allem angestellte Ärzte müssen sich auf gesetzlich verankerte Normen berufen können, die ihre Unabhängigkeit in medizinischen Fragen sicherstellen“, so Köhler im Ärzteblatt. Der Sicherstellungsauftrag habe ungeteilt, auch für ergänzende kassenspezifische Verträge, beim KV-System zu liegen. Allerdings sollte man den Kollektivvertrag differenzieren. Für GKV-Versicherte schlägt die KBV konkret ein Modell von drei Wahltarifen vor. Tarif I entspreche der heutigen Regelversorgung mit freier Arztwahl und freiem Zugang zur fachärztlichen Versorgungsebene. Tarif II umfasse die freie Wahl des Hausarztes, Zugang zu anderen Versorgungsbereichen hätte man dann aber nur auf Überweisung. Mit Tarif III könnten Versicherte die Kostenerstattung wählen. Die Einteilung in eine hausärztliche und eine fachärztliche Versorgungsebene bezeichnete Köhler als überholt. Die KBV möchte deshalb das System in eine wohnortnahe haus- und fachärztliche Grundversorgung, eine spezialisierte ambulante und als drittes eine stationäre Versorgung aufgliedern.
Ob sich die Forderungen realisieren lassen, wird sich nach der Wahl zeigen. Wie sich die Ärzte selbst aufstellen, liegt hingegen allein an ihnen selbst.
Veränderung des Honorars I/2009 zu I/2008 je KV
Kassenärztliche Vereinigung
Veränderung
in Euro
in Prozent
Schleswig-Holstein
–
–
Hamburg
–
–
Bremen
9 284 501
10,7
Niedersachsen
103 115 768
17,6
Westfalen-Lippe*
25 222 363
6,7
Nordrhein
34 962 121
4,2
Hessen
45 596 814
8,3
Rheinland-Pfalz
18 047 960
5,3
Baden-Württemberg**
–7 000 000
–0,7
Bayern
42 398 672
3,5
Berlin
97 000 000
32,2
Saarland
12 043 729
13,2
Mecklenburg-Vorpommern
24 360 000
15,6
Brandenburg**
13 085 420
8,9
Sachsen-Anhalt
30 168 213
16,1
Thüringen
23 622 267
12,6
Sachsen
–
–
Summe
471 907 827
7,8
* Honorar ohne Laborleistungen inklusive Laborbonus
** Kassenseitige Rechnungslegung nach Fremdkassenzahlungsausgleich