Vereinigte Staaten

Gesundheitsreform auf Eis

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Der Plan von US-Präsident Barack Obama, mit der Gesundheitsreform ein zentrales innenpolitisches Reformvorhaben noch vor der politischen Sommerpause durchzusetzen, ist nicht aufgegangen. Trotz massiver Kritik von Republikanern, aber auch aus der Industrie und der Ärzteschaft, will Obama die Reform nun bis Ende des Jahres durchs Parlament bringen. Dabei wird er möglicherweise Kompromisse eingehen müssen.

Barack Obama bekommt bei der Verwirklichung seiner Pläne erheblichen Gegenwind zu spüren. Er sieht sich konfrontiert mit einer Allianz aus mächtigen Gegnern: Der amerikanische Ärzteverband American Medical Association (AMA) beispielsweise gilt mit 250 000 Mitgliedern als einflussreichste Lobbygruppe. Auch die private Versicherungswirtschaft torpediert massiv das geplante Reformvorhaben – sie scheuen eine mögliche staatliche Konkurrenz. Vor allem aber die oppositionellen Republikaner sind gegen seine angekündigte Reform. Die Konservativen befürchten ein staatlich kontrolliertes Gesundheitswesen bei gleichzeitig weiter steigenden Staatsausgaben für diesen Bereich und kritisieren Obamas Reformpläne als „Sozialismus“. Vor allem aber wollen sie die Gesundheitsreform zu Fall bringen, Obama damit in die Defensive drängen und seine zu Beginn der Präsidentschaft noch sehr hohen Popularitätswerte brechen. Der Minderheitsführer im Senat, der Republikaner Mitch McConnell, kündigte einen eigenen „wirklich ausgewogenen“ Reformvorschlag an, der das Defizit nicht weiter aufblähe.

„History repeats“ – sagt man. Wiederholt sich die Geschichte wirklich? Vor 15 Jahren bereits versuchten die US-Demokraten unter dem Präsidenten Bill Clinton, eine umfassende Gesundheitsreform durchzusetzen. Damals entwarf Clintons Ehefrau, die heutige Außenministerin Hillary Clinton, die wesentlichen Eckpunkte der Reform. Die Gesundheitsreform trat nie in Kraft. Die Pläne scheiterten am erbitterten Wider-stand derselben Gegner, mit denen es heute Obama zu tun hat.

Dabei hat Obama – von der Öffentlichkeit in der Aufregung um die Finanzkrise kaum beachtet – bereits zu Beginn seiner Amtszeit wichtige Teile der Gesundheitsreform ganz nebenbei im Rahmen des Sanierungspakets „Arra“ verabschiedet – darunter die Mittelbereitstellung für Kosten-Nutzen-Bewertungen und für bedeutsame Innovationen in der Gesundheitsinformationstechnologie. Auch die Krankenversicherung benachteiligter Kinder hat er im Rahmen der staatlichen Kinderversicherung auf weitere vier Millionen Kinder ausgedehnt und die Übergangsversicherung für Arbeitslose verlängert.

Doch das Meisterstück steht noch aus. Obama will im Zuge der Reform unbedingt den privaten Versicherungskonzernen eine staatlich kontrollierte Konkurrenz vor die Nase setzen, und damit einen stärkeren Preis- und Effizienzwettbewerb bewirken. Das öffentlich finanzierte Versicherungsprogramnm Medicaid, das die Krankenversicherung der Ärmsten sichert, soll weiter ausgebaut werden. Private Versicherungsanbieter sollen nicht mehr die Möglichkeit haben, Menschen mit Vorerkrankungen abzulehnen, wie es bisher der Fall ist. Darüber hinaus will Obama künftig alle Unternehmen verpflichten, ihren Mitarbeitern eine Krankenversicherung anzubieten oder alternativ in einen Gesundheitsfonds einzuzahlen. Bisher gehörte vor allem bei den Großunternehmen eine Mitarbeiterversicherung zum festen Standard – allerdings bröckelt auch hier das Engagement der Arbeitgeber. Kleinere und Kleinstunternehmen versichern ihre Angestellten in der Regel überhaupt nicht.

Die weltweite Finanzkrise macht die Finanzierung einer solchen Reform nicht einfacher. Zusätzliche Kosten für die Gesundheitsreform kann sich Obama bei einem drastisch gestiegenen Staatsdefizit nun nicht mehr leisten. Ökonomen wie Konservative bestehen darauf, dass jedwede Reform budgetneutral zu verwirklichen sei. Es gilt also, geschätzte Kosten von einer Billion Dollar innerhalb der nächsten zehn Jahre gegenzufinanzieren.

Dafür schlagen die Demokraten im Repräsentantenhaus unter anderem höhere Steuern für Reiche vor. Paare, die mehr als 350 000 Dollar im Jahr verdienen, müssten demnach ein Prozent mehr zahlen. Wenn sie noch mehr verdienen, sollen sie 1,5 Prozent mehr zahlen. Die Republikaner lehnen derartige Erhöhungen strikt ab. Auf der anderen Seite will Obama die Reform durch Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem finanzieren – er kündigte Sparmöglichkeiten von 313 Milliarden Dollar (rund 223 Milliarden Euro) im Rahmen der bestehenden Gesundheitsprogramme an. Unnötige Ausgaben würden begrenzt, die Effizienz erhöht und die Qualität der Versorgung gewährleistet. Insgesamt stünden bereits fast 950 Milliarden Dollar bereit, um die Kosten der Gesundheitsreform auszugleichen. Unabhängig von einer hohen Anschubfinanzierung hält Obama die Reform aus verschiedenen Gründen für unverzichtbar.

Krankes Gesundheitswesen

Es sei „nicht nur eine moralische, sondern auch eine finanzielle Notwendigkeit“, das Gesundheitssystem in den USA so zu reformieren, dass alle Bürger Zugang zu einer Versicherung hätten und die Kostenexplosion gedämpft werde, so der US-Präsident. Denn ohne eine Reform werde die Kostenexplosion im Gesundheitsbereich wegen der staatlichen Sozialkosten für Arme und alte Menschen immer stärker den Staatshaushalt belasten und die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft gefährden.

Auch die meisten Gesundheitsexperten sind sich einig, dass eine Gesundheitsreform in den Staaten unvermeidlich ist. Das amerikanische Gesundheitswesen ist stark fragmentiert und folgt einem komplizierten Regelsystem. Die Folge: Eine Kombination aus privaten und staatlichen Bürokratien entscheidet, welcher Patient welche Behandlung erhält. Eine Krankenversicherungspflicht gibt es nicht. Zu viele Patienten erhalten deshalb überhaupt keine Behandlung, rund 15 Prozent der Bevölkerung sind nicht krankenversichert. Sie können es sich schlicht nicht leisten. Jedes Jahr treiben die hohen Gesundheitskosten 500 000 Bürger in den Ruin. Denn das amerikanische Gesundheitswesen gilt als das teuerste der Welt. Die Vereinigten Staaten geben jährlich 2,4 Billionen Dollar für ihr Gesundheitswesen aus – 2005 waren das rund 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Mit einer Wachstumsrate von sieben Prozent steigen die Kosten im internationalen Vergleich überproportional.

Diesen weltweit höchsten Gesundheits- kosten steht aber auf der Haben-Seite nicht auch das beste Ergebnis entgegen: Während in den USA die Lebenserwartung in den letzten 40 Jahren um 7,3 Jahre gestiegen ist, leben etwa die Japaner heute 14 Jahre länger, die Kanadier immerhin noch 8,4 Jahre. Und auch die Säuglingssterblichkeit liegt in Amerika mit sieben Kindern auf 1 000 Geburten deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Staaten.

Kooperativer Ansatz Obamas

Anders als in Europa oft vermutet, steht die amerikanische Bevölkerung der geplanten Gesundheitsreform dennoch in weiten Teilen skeptisch gegenüber. Knapp 85 Prozent der Amerikaner sind krankenversichert – das Problembewusstsein und die Bereitschaft für Veränderung in dieser Gruppe sind klein. Vor allem diejenigen, die bei der klassischen Arbeitgeberversicherung selber keinerlei Beiträge zahlen müssen, befürchten zusätzliche Kosten. Solange sie gesund sind, gibt es keinen Grund, zu klagen. Erst im Krankheitsfall wird oft klar, dass ihr Arbeitgeber nur eine Lückenversicherung abgeschlossen hat und sie plötzlich auf immens hohen Rechnungen sitzen bleiben. Eine weitere Falle: Wenn sie ihren Job verlieren – und damit die Arbeitgeber-Krankenversicherung –, können sie sich je nach Alter und Krankheitsgeschichte eine private Versicherung nicht finanzieren. Es sind also vor allem die sozial Schwachen, die Arbeitslosen oder die chronisch Kranken, die sich eine private risikoadäquate Versicherung nicht leisten können.

Im Gegensatz zu Bill Clinton hat Barack Obama von Beginn an versucht, die Gesundheitsreform mit einem breiten gesellschaftlichen Konsens zu verabschieden. Sogenannte „Health Care Community Discussions“, an denen bislang über 30 000 Menschen teilnahmen, begannen bereits vor dem offiziellen Amtsantritt Obamas. Zu Beginn dieses Jahres dann hat Obama verschiedene Entscheidungsträger aus dem Gesundheitswesen zu Gesprächen eingeladen und für mehr Kooperationsbereitschaft geworben. Die konkrete Erarbeitung eines Gesetzentwurfs überließ er seinen Parteikollegen im Kongress – und kündigte an, das weitere Gesetzgebungsverfahren aus dem Hintergrund aktiv zu unterstützen.

Mit dem Näherrücken der politischen Sommerpause gab Obama die präsidiale Zurückhaltung endgültig auf. Vehement griff er in die erlahmende Diskussion ein und forderte den Kongress auf, noch vor der Sommerpause ein Gesetz zu verabschieden. Denn auch unter den Demokraten, die sowohl im Senat wie auch im Repräsentantenhaus eine komfortable politische Mehrheit haben, gibt es Zweifler. Eine Gruppe von eher konservativen Demokraten, die sogenannten blue dogs, verhindern bislang den erhofften Durchbruch.

Die Verabschiedung des Gesetzes vor der Sommerpause ist bereits gescheitert. Offen bleibt, ob es Obama gelingt, die Zweifler umzustimmen und die Reform im Herbst doch noch zu verabschieden. „Ich denke, es ist besser ein qualitativ gutes und durchdachtes Produkt zu haben, als irgendetwas durchzupeitschen“, ließ der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid verlauten. In Repräsentantenhaus und Senat sind jeweils mehrere Ausschüsse an der Erarbeitung des Reformkonzepts beteiligt. Verschiedene Vorlagen müssen also in Einklang gebracht werden, bevor in den beiden Häusern jeweils abschließend votiert werden kann. Der erbitterte Widerstand unter den demokratischen blue dogs richtet sich vor allem gegen die Errichtung einer gesetzlichen Krankenkasse. Sie befürchten, dies wäre lediglich der Startschuss für ein nach und nach vollständig verstaatlichtes Gesundheitswesen. Obama hat nun in der Sommerpause einen Kompromiss angedeutet. Seine Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius betonte, eine staatliche Kasse sei „kein lebenswichtiges Element“ der Reform. Der Sprecher des Präsidenten sagte, Obama werde bereits zufrieden sein, wenn der private Versicherungsmarkt Wahl und Wettbewerb biete. Äußerungen von Regierungsmitgliedern deuten mittlerweile darauf hin, dass Obama eine Art Mischform akzeptieren könnte: eine gemeinnützige „Kooperative“ in Zusammenarbeit von Regierung und Privatversicherern.

Zumindest in der Frage der Finanzierung der Reform kann Obama Fortschritte verzeichnen: Im Repräsentantenhaus einigten sich die Demokraten Ende Juli auf einen ersten Kompromiss. Er sieht unter anderem eine Verringerung der Kosten der Reform um 100 Milliarden Dollar sowie eine Befreiung kleinerer Firmen von der Pflicht zur Versicherung ihrer Angestellten vor. Und auch im Senat verständigten sich demokratische und republikanische Unterhändler im Finanzausschuss auf eine Reformvorlage, die ebenfalls die Kosten herunterdrückt: auf etwas weniger als 900 Milliarden Dollar. Wann und in welcher Form die Gesundheitsreform in Amerika tatsächlich verabschiedet wird, bleibt jedoch weiter unklar.

Otmar MüllerGesundheitspolitischer Fachjournalistmail@otmar-mueller.de

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