Hessischer Heilberufetag

Mensch und Tier: eine Gesundheit

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Heilen und Helfen müssen wieder in den Mittelpunkt ärztlicher Tätigkeit treten, forderten Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Veterinäre am 3. Juni auf dem 2. Hessischen Heilberufetag in Wiesbaden. Zusammen mit der Politik gelte es, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen und in der Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt die Gesundheitsversorgung neu zu gestalten.

„Verantwortung für Tier, Mensch und Umwelt – dürfen wir, was wir können?“ Diese Frage prägte den 2. Hessischen Heilberufetag. Deutlich wurde: Insbesondere das Spannungsfeld zwischen Machbarkeit und ethischer Verantwortung in der Medizin verlangt eine neue Auslotung der ethischen Grenzen.

Heilberufler nach Hippokrates

Dass in der pekuniär geführten Debatte um Leistungen im Gesundheitssystem die moralischen Grundwerte oft untergehen, erläuterte Moderator Dr. Michael Frank, Präsident der Landeszahnärztekammer Hessen: „Was ethisch zu verantworten ist, spielt in der Realität eine untergeordnete Rolle. Maßgeblich scheint mehr und mehr zu sein: Was ist bezahlbar?“ Frank stellte zur Dis- kussion, ob es heute überhaupt genügend Regeln gebe, um dieser Verantwortung gerecht zu werden.

„Die politisch Verantwortlichen sind dafür zuständig, entsprechende Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem zu schaffen, damit Heilen und Helfen wieder zu den zentralen Elementen unserer Arbeit gehören“, antwortete Dr. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der Landesärztekammer Hessen. „Wir Heilberufler fühlen uns im Stich gelassen, wenn wir unseren Patienten erklären sollen, was eigentlich Aufgabe der Politik wäre: nämlich, dass eine unbegrenzte Versorgung angesichts begrenzter Mittel nicht möglich ist. Das sind falsche Versprechungen!“ Auch die hessische KV-Chefin Dr. Margita Bert empfindet die gegenwärtige Situation als bedrückend, weil aufgrund dieser ökonomischen Zwänge der Inhalt des Arztberufs zunehmend verfremdet werde. „Wir wollen vereint alles tun, um unseren Beruf so auszuüben, wie er nach Hippo- krates angelegt ist“, appellierte Bert an die Gäste.

„Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist in dem Zusammenhang ein ungeheuer wichtiges Gut. Hier sind Verordnungen nicht der richtige Weg, um dieses Vertrauensverhältnis zu gewährleisten“, betonte Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz. Die Ärzte müssten selbst Maßstäbe setzen. Bewährten sich diese Normen, könne der Gesetzgeber darauf zurückgreifen und sie verpflichtend verankern. Neben Mitteln und deren Begrenzung berühre die Frage „Dürfen wir, was wir können?“ vor allem ethische Aspekte. Man müsse die Spannung zwischen dem technisch Machbaren und dem sittlich Verantwortbaren immer wieder neu ausloten. Jeder Einzelne habe jeden Tag die Möglichkeit und damit auch die Chance, seine Verantwortung wahrzunehmen.

Dass das starke Engagement der Selbstverwaltung von großer Bedeutung und Voraussetzung für die freiheitliche Gesellschaft sei, stellte der hessische Gesundheitsminister Jürgen Banzer heraus: „Sich die Kammern wegzudenken, bedeutet, die Demokratie zu schwächen.“ Das Leben dürfe nicht zum Gegenstand rein ökonomischer Abwägungen gemacht werden. Banzer: „Die Gesellschaft gerät unter Rechtfertigungszwang, wenn sie dieses absolute Gut relativiert und abwägt.“ Die Gesundheit liege in der Verantwortung der Gesellschaft, Wellness sei dagegen persönliche Sache.

Kleine Welt: Globalisierung und Klimawandel

Wie die Gesundheit des Menschen mit der des Tieres und der Umwelt zusammenhängt, erläuterte Prof. Hartwig Bostedt vom Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Mensch und Tier bilden seit Jahrtausenden eine Symbiose“, erklärte Bostedt. Mit Beginn der Sesshaftigkeit habe das Tier die Nahrungsgrundlage des Menschen und zugleich sein Wohlbefinden gesichert. Bostedt: „Schon im frühen Mittelalter galt das Tier als seelenbehaftetes Wesen, davor dachte man, Tiere seien stumpfsinnig und seelenlos.“ Mit der Aufklärung erhielt das Verhältnis laut Bostedt wiederum eine neue Qualität. Damaliges und bis heute gültiges Fazit: Tiere übertragen Krankheiten auf den Menschen und umgekehrt. Erhält man die Tiere gesund, schützt man automatisch auch den Menschen.

„Das Bestreben, für die Gesundheit von Mensch und Tier zu sorgen, ist also nicht neu, muss aber neu belebt und intensiv umgesetzt werden“, resümierte Bostedt. „Der Übertragungsfaktor hat sich nämlich nicht nur im Zuge des Zusammenwachsens der Länder und Kontinente erhöht, sondern vor allem auch durch den Klimawandel. Die EU-Festlegung „Tier und Mensch: eine Gesundheit“, die sich die hessischen Heilberufskörperschaften zu eigen gemacht hätten, verlange mit besonderer Dringlichkeit nach neuen Antworten. Human- und Veterinärmediziner seien zusammen gefordert, Strategien zu entwickeln, um den erkenn-baren und zu erwartenden Gefahren zu begegnen.

Dieser Leitsatz gelte seit Ende des 19. Jahrhunderts in der praktizierten Tierheilkunde und der vergleichenden Medizin, bekräftigte auch Prof. Dr. Alexander Herzog, Präsident der Landestierärztekammer Hessen. Mittlerweile gebe es 200 übertragbare Krankheiten, darunter die Brucellose und die durch den Klimawandel immer häufiger auftretenden Neuzoonosen. Herzog: „Die Globalisierung stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass uns Ereignisse beeinflussen, die in den entlegensten Winkeln der Erde stattfinden.“

Neue Maßstäbe setzen

Der Konsens: Die Heilberufler wollen das Thema der Verantwortung öffentlich in der Gesellschaft diskutieren und mit ihr zusammen neue Maßstäbe setzen.

„Es muss uns gelingen, unbequeme ethische Wahrheiten in die Öffentlichkeit zu tragen und die Politik in die Verantwortung zu nehmen“, bilanzierte Frank. „Dann können wir in unserem Praxisalltag wie in dem Diskurs eine andere Position einnehmen und sind dem ökonomischen Diktat nicht mehr in dem Maße unterworfen.“

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