Das große Geschäft mit falschen Pillen
Es war die Liebe, die Marcia Bergeron nach Westkanada auswandern ließ. Im Internet hatte die US-Amerikanerin ihren kanadischen Ehemann kennen gelernt und war ihm in das Land der Wälder und Seen gefolgt. Die Ehe scheiterte bereits nach drei Jahren, doch von ihrer neuen Heimat wollte sich die aus Iowa stammende Bergeron nicht trennen – das Meer und die Wälder hatten es ihr angetan. Gegen die Einsamkeit über die Weihnachtstage hatte sich die 57-Jährige eine alte Freundin aus den USA eingeladen. Sie war die Letzte, die Bergeron lebendig sah. Einen Tag nach ihrer Abreise, am 27. Dezember 2006 fand ein Nachbar Bergeron tot in ihrer Wohnung. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung brachte Beunruhigendes ans Tageslicht: Bergeron starb an einer Vergiftung. Unzählige Tabletten, zum Teil nicht verpackt oder in unbeschrifteten Plastikbeuteln, hatten die Untersuchungsbeamten auf die Spur gebracht. Eine genauere Analyse der Medikamente lieferte ein schockierendes Ergebnis: Uran, Strontium, Arsen, Blei, Aluminium und weitere Verunreinigungen in den Tabletten brachten Bergeron den langsamen schleichenden Tod. Drei verschiedene Arzneimittel, ein Antidepressivum, ein Angstlöser und ein Beruhigungsmittel hatte die einsame Frau sich im Internet besorgt. Wie sich später herausstellte, war sie dabei an einen unseriösen Anbieter aus Tschechien geraten, der Generika aus Südostasien vertrieb. Bergeron war der erste bekannt gewordene Fall in Kanada, bei dem Arzneimittelfälschungen ein Todesopfer forderten.
Todespillen aus dem Internet
Der Tod Bergerons macht bedrückend klar, dass das Problem von Medikamentenfälschungen nun auch die zivilisierte westliche Welt erreicht hat und nicht länger nur eine Geißel der Dritten Welt ist. Durch einen globalisierten unkontrollierbaren Handel über das Internet haben Kriminelle aus aller Welt die Möglichkeit, Fälschungen gefahrlos an den Mann oder die Frau zu bringen. Bergeron hätte also durchaus auch in Deutschland leben können. Die WHO sammelt bereits seit 1982 Meldungen über Arzneimittelfälschungen. Sie führt eine offizielle Schreckensliste mit Hunderten von Toten, die durch skrupellose Geschäftemacher ihr Leben lassen mussten. Im Jahr 2000 fallen mindestens 30 Menschen in Kambodscha einem gefälschten Anti-Malaria-Mittel zum Opfer, in Nigeria kommen 1990 mehr als 100 Kinder nach der Einnahme von mit Lösungsmitteln gestrecktem Hustensaft um und 1995 sterben 2 500 Menschen in Niger an Meningitis, weil ihr „Impfstoff“ lediglich Wasser enthielt.
Die Gefahr, in Dritte-Welt-Ländern an ein gepanschtes, hochgiftiges Medikament zu geraten, ist allgegenwärtig. Schätzungen der WHO zufolge liegt die Rate gefälschter Medikamente in vielen afrikanischen Ländern, in Teilen Lateinamerikas und Asiens bei 30 Prozent. Wenig regulierte Handelswege, Korruption und die Armut der Bevölkerung sind in solchen Staaten ein guter Nährboden für das schmutzige Geschäft mit wirkungslosen oder giftigen Pillen. Plagiate lebenswichtiger Medikamente, wie Antibiotika, Hormone, Asthma- und Malariamittel, führen dort die Produktpalette der Fälscher an. Für arglose Menschen am Rande des Existenzminimums scheint das billige Angebot häufig ein rettender Weg aus ihrer Notsituation zu sein. Das Fatale an gefälschten Arzneien liegt auf der Hand: Stirbt ein Patient, wird meist ein schlechter Krankheitsverlauf angenommen, das Heilmittel gerät nur selten in Verdacht.
Gefahr durch Online-Apotheken
Ganz anders stellt sich die Lage in den hoch entwickelten Industrienationen dar: Die WHO schätzt den Anteil aller auf dem Markt befindlichen gefälschten Medikamente hier nur auf weniger als ein Prozent. Vor allem Lifestyle-produkte sind Spitzenreiter in der Beliebtheitsskala der Produktpiraten. Schlankheits-, Haarwuchs- und Potenzmittel haben häufig nicht die erwartete Qualität und Herkunft – vor allem, wenn sie von unseriösen Internetapotheken bezogen werden. Laut einer Studie der WHO sind die Hälfte aller von illegalen Online-Apotheken vertriebenen Produkte Fälschungen. Testbestellungen bestätigen dieses Ergebnis auf anschauliche Weise. So nahm die EAASM (European Alliance for Access to Safe Medicines) 30 verschickte Arzneien genauer unter die Lupe und fand, dass 62 Prozent der Waren nicht dem Original entsprachen. Einen ähnlichen Versuch unternahm das Zentrallabor deutscher Apotheker, das als zentrales Prüfinstitut unter anderem die Qualitätsstandards der Apotheken in Deutschland sichert. Bei 19 verdächtigen Websites orderten Institutsmitarbeiter das Haarwuchsmittel Propecia, das hier auch ohne gültiges Rezept zu beziehen war. Das ernüchternde Ergebnis: Sieben der Anbieter meldeten sich nach der Auftragsannahme gar nicht mehr. Die übrigen verschickten die Tabletten zum Teil in Plastikdöschen und mit fremdsprachigen oder selbstverfassten Beipackzetteln. Eine labortechnische Analyse der Tabletten entsprach den Erwartungen: Vier Proben enthielten gar keinen Wirkstoff, zwei wiesen zu niedrige Mengen auf und zeigten ein schlechtes Freisetzungsverhalten. Rein äußerlich waren Original und Fälschung allerdings fast nicht unterscheidbar.
Beispiele dieser Art lassen sich sicher dutzendfach finden und sind nicht ganz ohne politische Brisanz: In zahlreichen Berichten wird der Eindruck erweckt, als sei das World Wide Web ein unkontrollierbarer Moloch und eine stetige Gefahr für den Otto Normalverbraucher. In Zeiten, in denen kleine Offizin-Apotheken große Online-Versandapotheken als bedrohliche Konkurrenz empfinden, wird schnell der Ruf nach einem Totalverbot des Medikamentenhandels im Internet laut. Doch seriöse Anbieter im Internet betonen ihre Integrität und werben mit Topqualität und günstigen Preisen. Für den unerfahrenen Internetnutzer ist es allerdings nicht einfach, schwarze Schafe unter den Webshop-Betreibern zu erkennen. Und wie die Marktbeobachter von Markmonitor feststellen müssen, sind es mittlerweile ganze Schafherden, die mit ihren illegalen Produkten einen schwunghaften Handel betreiben. Laut einem Bericht aus dem Sommer 2008 haben sich die Besucherzahlen illegaler Internetapotheken innerhalb eines Jahres verdreifacht. Grund dafür seien die Bemühungen der Betrüger, durch steigende Investitionen in Suchmaschinenwerbung naive Webnutzer auf ihre Seiten zu locken.
Siegel für Web-Apotheken
Seit Kurzem gibt es daher zumindest eine kleine Hilfestellung für ratlose Online-Einkäufer: Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) kennzeichnet für den Versandhandel zugelassene Web-Apotheken mit einem Sicherheitslogo. Beim Klick auf den Button landet man auf der Homepage des DIMDI, wo die behördliche Genehmigung des besuchten Anbieters bestätigt wird.
Während das Logo vorerst hauptsächlich deutsche Web-Apotheken ziert, sollen in Zukunft auch ausländische Versandhändler In der Liste vertrauenswürdiger Anbieter aufgenommen werden, erklärt Dr. Caroline Schmalenbach vom DIMDI. Ob das die Versandhandelskritiker beschwichtigt, scheint eher unwahrscheinlich. Letztendlich bleibt Politikern und dem Gesetzgeber die Wahl, wie viel Mündigkeit sie den Bürgern zutrauen: Staatlich verordnete Sicherheit kontra mehr Wettbewerb, der für verbraucher- und kassenfreundliche Preise sorgt.
Apotheker versprechen Sicherheit
Wer absolut auf Nummer sicher gehen möchte, solle doch am besten weiter vor Ort seine Medikamente in der Hausapotheke abholen, behaupten Apothekerverbände. „Es werden nicht nur Lifestyle-Medikamente gefälscht, sondern alles, was Geld bringt. Vor Fälschungen können sich Patienten aber leicht schützen: Arzneimittel aus den niedergelassenen Apotheken sind sicher“, erklärt Magdalene Linz, frühere Präsidentin der Bundesapothekerkammer. In der Tat ist der Pharmamarkt in Deutschland gut kontrolliert. Kriminelle haben von außen wenig Möglichkeiten, die Lieferkette zu manipulieren und mit Plagiaten Geschäfte zu machen. Selbst in der Apotheke muss der Pharmazeut täglich stichprobenartig die Qualität seines Produktsortiments überprüfen. Und dennoch ist auch jeder „normale“ deutsche Patient, der auf Medikamente angewiesen ist, weit weg von einem Null-Risiko. Immense Gewinnmargen, die sich mit Fälschungen erzielen lassen, führen immer wieder Menschen in Versuchung, auch strenge Kontrollen zu unterlaufen.
Betrug im großen Stil
So erstatteten Ende 2007 zwei gesetzliche Krankenkassen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen etwa 100 Apotheker und zwei Pharmahändler. Die beiden Geschäftsleute sollen im großen Stil den Vertrieb von in Europa nicht zugelassenen und gefälschten Krebsmitteln organisiert haben. Die günstig importierten Chemotherapeutika wurden mit den Kassen zu hohen deutschen Preisen abgerechnet. Die Krankenkassen sollen durch den Schwindel um mehrere Millionen Euro betrogen worden sein. Der Verdacht auf die Verwendung gefälschter Medikamente hat sich mittlerweile erhärtet, die Fälle sind an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet worden. Ebenso wenig ruhmreich für die Apothekerzunft dürften zwei Apotheker aus Neuenhagen und Ückermünde sein. Bei Wohnungsdurchsuchungen im Sommer 2008 entdeckten Zollfahnder Muskelaufbaupräparate und Potenzmittel aus zweifelhaften Quellen. Die sichergestellten Präparate hatten einen Schwarzmarktwert von rund 50 000 Euro, doch deuten Unterlagen darauf hin, dass beide schon länger „im Geschäft“ sind.
Sicherheitsrisiko Parallelhandel
So spektakulär die geschilderten Fälle auch sein mögen: Gesetzesbrechern unter Apothekern kommt bei der Suche nach Verantwortlichen für das Problem Arzneimittelfälschungen sicher ein untergeordneter Stellenwert zu. Pharmakonzerne wie Pfizer mokieren sich schon länger über die hohe Zahl an Anlaufstellen, die ein Medikament nach der Produktion hat, bevor es in die Hände des Verbrauchers gerät. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihnen dabei der sogenannte Parallelhandel, der die Gefahr von kriminellen Manipulationen erhöht. Laut EU-Recht ist es Händlern erlaubt, exportierte Medikamente wieder nach Deutschland einzuführen. Problematisch ist dabei, dass Blister aus ihren Verpackungen genommen und in deutsche Schachteln umverpackt werden müssen. Während Befürworter des Parallelhandels auf kostengünstige Qualitätsware hoffen, sehen Kritiker hier eher ein Einfallstor für minderwertige Plagiate. EU-Industriekommissar Günter Verheugen hatte jüngst versucht das Umverpacken von Arzneimitteln gänzlich zu verbieten, konnte sich mit dem Vorstoß aber nicht gegen andere Kommissare durchsetzen. Geblieben ist nun in den Richtlinienvorschlägen der EU-Kommission ein Gütesiegel, das Originalprodukte fälschungssicher machen soll. Hersteller sollen demnach künftig verpflichtet werden, ein Kontrollsiegel auf ihren Produkten anzubringen – jedoch auch nur, wenn die Waren aufgrund ihres Markwertes für Fälschungen besonders anfällig sind.
Schutzsiegel stoppt Fälscher nicht
Ob dies die Sicherheit für Patienten wirklich erhöhen kann, bleibt fraglich. Denn längst beschäftigen sich Arbeitsgruppen in den Pharmaunternehmen damit, wie sie Produktpiraten das Leben schwer machen können. Kaum ein Arzneimittel ist nicht in der einen oder anderen Weise mit Sicherheitsmerkmalen ausgestattet. Doch die Erfahrung zeigt, dass solche Vorkehrungen im Kampf gegen Fälscher nicht viel erreichen – bis auf die Tatsache, dass schlechte Plagiate vom Fachmann leichter erkannt werden können. So war auch das HIV-Mittel Zerit mit einem fälschungssicheren DNA-Etikett versehen, doch Ende 2005 sah sich der Hersteller Bristol-Myers Squibbs genötigt, eine Fälschungswarnung zu veröffentlichen. Wenige Monate später musste das selbe Unternehmen eine ähnliche Warnung zum Krebsmittel Taxol herausschicken. Auch dieses Produkt war mit dem DNA-Label gekennzeichnet. Für Pharmafirmen stellen die imitierten Produkte ein großes Dilemma dar: Rückrufaktionen müssen sie aus eigener Tasche bezahlen und Kunden reagieren nach Bekanntwerden von Fälschungsfällen verunsichert. Obendrein schadet eine unerkannte, wirkungslose Fälschung dem Ruf eines Präparats oder verlängert eventuell die Liste gemeldeter Nebenwirkungen unnötig.
Plagiate bleiben unbemerkt
Die Branche zeigt sich weitgehend machtlos gegen das Treiben der Fälscher, denn Hologramme, Wasserzeichen oder chiffrierte Codes sind nur kleine Stolpersteine für gut ausgestattete und finanzkräftige Banden. Zudem fehlt es sowohl Patienten als auch Ärzten und medizinischem Personal meist an einem Bewusstsein für die potenzielle Gefahr, bei ihrer Medikation einer billigen Kopie aufgesessen zu sein. Große Hoffnungen zur eindeutigen Identifizierung von Originalpräparaten setzte man in den USA in sogenannte RFID-Chips. Die „Radio Frequency Identification“-Etiketten wurden 2004 von der „Food and Drug Administration“ für fälschungsgefährdete Arzneimittel staatlich empfohlen. Die kleinen Schaltkreise senden über elektromagnetische Wellen gespeicherte Informationen an ein Lesegerät und können so über Herkunftsort, Alter oder Chargennummer Auskunft geben. Auch für die EU wird dieses System diskutiert, doch mittlerweile ist bei den Amerikanern vom anfänglichen Enthusiasmus nicht mehr viel zu spüren. Experten sehen zahlreiche Sicherheitslücken, die am Erfolg der Methode zweifeln lassen. Alte Chips könnten wiederverwendet werden, sie sind leicht zu hacken und zu kopieren. Hinzu kommt ein enormer finanzieller Aufwand, um Chips und Lesegeräte flächendeckend einzusetzen sowie eine schwierige Umsetzung der Kontrollen in praktischen Arbeitsabläufen.
Laserscanner erkennt Waren
Vielversprechend klingt ein neues von Bayer entwickeltes System namens Protexxion. Mit einem Laserscanner wird die Oberfläche eines Produkts abgetastet und das reflektierte Streulicht gemessen. Da jede Oberfläche äußerst individuelle Mikrostrukturen aufweist, lassen sich die Messwerte eindeutig – wie bei einem Fingerabdruck oder der DNA – einem Objekt zuordnen. Die Werte werden bei der Produktion an einen zentralen Server übermittelt und können an jedem Punkt der Lieferkette oder beim Endabnehmer aus der Datenbank abgerufen werden. Auch bei diesem System bleibt abzuwarten, welche Akzeptanz es bei allen Beteiligten findet und wie es sich gegen andere Sicherungsmethoden durchsetzen kann.
Bislang ist in Deutschland kein medienträchtiger Fälschungs-GAU aufgetreten, deutsche Opfer von gepanschten toxischen Wirkstoffcocktails sind als solche zumindest noch nicht identifiziert worden.
Doch auch wenn die Problematik somit nicht im breiten Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent ist, haben staatliche Stellen bereits Vorsorgemaßnahmen gegen die illegalen Geschäfte zwielichtiger Pharmahändler getroffen. Seit der 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes im Jahr 2004 wird das Fälschen von Medikamenten nicht mehr mit Produktpiraterie gleichgesetzt, sondern gilt fortan als Straftatbestand. Richter können nun entsprechende Vergehen mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen.
Fälschen lukrativer als Drogenhandel
Eine besonders abschreckende Wirkung dürften diese Sanktionen allerdings nicht haben, denn auch in Ländern, in denen Medikamentenfälschung mit dem Tode bestraft wird, wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Vietnam oder Oman, herrscht eine rege Fälscheraktivität. Zu verlockend ist die schnelle Verwandlung billigster Rohstoffe in hochpreisige Pharmaka. Selbst ein Drogenboss, der mit Heroin seine Geschäfte macht, erzielt vom Rohstoff bis zum Straßenverkauf „nur“ eine Verzwanzigfachung seines eingesetzten Kapitals, ein Hersteller eines Viagra-Plagiats kann das 200-Fache seines Einsatzes als Gewinn verbuchen. So wundert es nicht, dass immer mehr Kriminelle auf diesen Zug aufspringen, und auf diese Weise ihr Glück versuchen. Während der Pharmakonzern Pfizer 2007 mit seiner blauen Potenzpille etwa 1,8 Milliarden US-Dollar erwirtschaften konnte, stellt der Schwarzmarkt diese Summe sogar in den Schatten: Rund zwei Milliarden US-Dollar verliert das Unternehmen nach eigenen Angaben durch die illegale Konkurrenz. Einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation zufolge werden insgesamt durch gefälschte Arzneimittel Umsätze von etwa 26 Milliarden Euro pro Jahr weltweit erzielt. Eine immense Summe, die nicht nur Kleinkriminelle auf den Plan ruft.
Gut organisierte Fälscherbanden
Um sich eine Übersicht über das Bedrohungspotenzial der Pillenfälscher zu verschaffen, ließ das Bundeskriminalamt 2006 eine Studie erstellen. Heike Sürmann von der Forschungsstelle für Wirtschaftskriminalität beim BKA ging engagiert an den Auftrag heran, befragte Polizei, Zoll, Behörden und Unternehmen. Heraus kam eine wissenschaftliche Abhandlung mit dem Titel „Arzneimittelkriminalität – ein Wachstumsmarkt?“. Sürmanns Fazit: Jede Menge Zeichen deuten darauf hin, dass die „Organisierte Kriminalität“, wie im Fachjargon vernetzt arbeitende Mafiabanden genannt werden, bereits den Pharmamarkt für sich entdeckt hat. Intensive Verflechtungen rund um den Globus erlauben es den Netzwerken, über alle Grenzen hinweg unbemerkt gefälschte Waren zu verschieben. Der deutsche Markt dürfte dabei besonders attraktiv sein, da hier im Vergleich zu anderen Ländern das Preisniveau für Medikamente ausgesprochen hoch ist. Wie mächtig solche Banden zum Teil sind, zeigt ein skandalöser Vorfall in China: Der frühere Leiter der Behörde zur Überwachung von Nahrungs- und Arzneimitteln, Zheng Xiaoyu, ließ gegen Bestechungsgelder von mehr als 500 000 Euro sechs Medikamente ungeprüft zum Verkauf zu. Mindestens zehn Menschen starben nach deren Einnahme. Seine Korrumpierbarkeit bezahlte auch Zheng mit dem Leben – er wurde von einem Gericht zum Tode verurteilt.
Große Erfolge des Zolls
Statistiken deutscher, aber auch internationaler Ermittlungsbehörden legen nahe, dass große Mengen gefälschter Medikamente aus Südostasien, Osteuropa oder Südafrika kommen. Die Zentralstelle gewerblicher Rechtsschutz verzeichnete 2007 in Bezug auf die Stückzahl beschlagnahmter Arzneimittel zwei Hauptherkunftsländer: Fast 94 Prozent der Markenrechtsverletzungen (und damit Fälschungen) entstammen Quellen in China, mehr als vier Prozent kamen aus Indien. Aus Indien stammten auch rund 200 Kilogramm gefälschte Viagra-Tabletten, die der Zoll im Dezember 2008 am Frankfurter Flughafen sicherstellte. Die Frachtsendung war auf dem Weg nach Chile und sollte in Deutschland lediglich umgeladen werden. Erfolge wie dieser werden sich künftig mehren, denn mit gezielten Aktionen und einem verbesserten Informationsaustausch der einzelnen Zollbehörden in der EU will man den Produktpiraten zu Leibe rücken. Beachtliche Resultate brachte im vergangenen Herbst die Aktion „Medi-Fake“, bei der der Zoll europaweit innerhalb von zwei Monaten 34 Millionen Tabletten beschlagnahmen konnte. Darunter befanden sich auch größere Mengen Schmerzmittel, Antibiotika, Krebs- und Malariamittel, die in die EU eingeschmuggelt werden sollten. Fahndungserfolge in dieser Größenordnung lassen erahnen, dass die Dunkelziffer begangener Fälschungsstraftaten in Deutschland immens sein muss – auch wenn dem BKA in der legalen Verteilerkette seit 1996 lediglich 38 Fälle bekannt geworden sind.
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