Das Geschäft mit der Angst
Der Name „Schweinegrippe“ steht wie schon die Bezeichnung „Vogelgrippe“ für irreführende aber offenbar erfolgreiche Versuche einiger Pharmakonzerne, ihre Absatzchancen für neue Impfstoffe und fragliche Grippe-Medikamente zu erhöhen. Aber auch einige Politiker, Fachinstitute und Medien profitieren von dieser Erfindung und spielen das teure Spiel mit der Angst zu ihrem eigenen Vorteil mit. Die laufende Diskussion um die Bezahlung der Grippeimpfung und der von einigen Krankenkassen veröffentlichte Ruf nach mehr Steuermitteln reiten auf dieser Welle.
Die Pharmabranche zeigt, dass sie längst weiß, wie die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen gelenkt werden kann. Sie demonstriert uns gerade, dass eine „Schweinegrippe aus Mexiko“ eben deutlich mehr wahrgenommen wird als die übliche alljährliche „Grippewelle“.
Handlungsdruck suggeriert
Mit genetischen und molekularbiologischen Details gepuscht, präsentieren seit Wochen von der Pharmaindustrie (wie auch immer) motivierte Institutsleiter und Ärzte ihr „Man-kann-nie-wissen“ dem ängstlich staunenden Volk und den Regierungen von Bund und Ländern. Handlungsdruck entsteht. Die Institute erhalten mehr Personal und Sachmittel, Politiker sind gefragt und Mitglieder von Krisenstäben machen teure Dienstreisen. Und das gibt Stoff für spannende Berichte, Interviews und Kommentare in den Medien.
Und die Angst-Kampagne wirkt:
Plötzlich reden alle nur noch davon, wer von dem knappen Grippemittel „Tamiflu“ wie viel Tabletten einlagern darf, oder wer sich wie viel des neuen Grippeimpfstoffs „Optaflu“ bei Novartis reservieren darf. Politiker rennen Big-Pharma die Türen ein und die Krankenkassen nutzen die Diskussion, um mehr Steuerzuschüsse in den Gesundheitsfonds zu ziehen. Was ist die Realität hinter dieser „Medienwelle“? Gibt es eine neue Seuche, eine weltweit sich ausbreitende neue Pandemie?
Grippeviren leben und vermehren sich in Menschen, Schweinen, Vögeln, Pferden, Nerzen, Walen, Seehunden und anderen Arten und sind auch außerhalb dieser Wirte lange haltbar. Ob Influenza A oder B, sie können sich nur ausbreiten, wenn sie Wirte finden, die noch nicht immun gegen sie sind. Deshalb ändern Grippeviren ihren molekularen Aufbau laufend. Sie tun das innerhalb eines Stammes (Gen-Drift) oder zwischen unterschiedlichen Stämmen, die sich in einem Wirt treffen. (Gen-Shift).
Massentierhaltung
Immer jene Viren, die etwas anders sind als die vom vorigen Jahr, haben eine gute Chance, sich weiterzuverbreiten, weil die Immunabwehr sie nicht sofort erkennen und unschädlich machen kann. So ziehen sie in ihren Wirten um die Welt und ändern laufend ihre Gestalt. Das gibt es seit zigtausend Jahren. Durch Massentierhaltung und sehr dichte Populationen in Schweine-, Geflügel- und anderen Tierfarmen aber auch in den dicht besiedelten Armenvierteln mancher Großstädte können Grippe-Viren sich sehr schnell vermehren. Besonders dann, wenn sie auf ungeschützte Wirte treffen, die noch nie Kontakt mit ähnlichen Viruspartikeln gehabt haben. In großen Geflügelfarmen kann es zur explosionsartigen Virusvermehrung bei Vögeln (Vogelgrippe) kommen. Diese vogelspezifischen Viren können in Einzelfällen sogar den Farmer krankmachen, besonders dann, wenn dieser ein geschwächtes Immunsystem aufweist. Das nennt man dann eine Zoonose und diese bedarf nicht der Entstehung neuer gefährlicher Virustypen.
Schweine in der Massentierhaltung werden deshalb oft geimpft. Menschen, die zum Beispiel auch zu Grippe-Zeiten U-Bahn fahren, oder eng gepfercht in Wartezimmern sitzen müssen, sollten sich aus gleichem Grund impfen lassen. Die Virologen in aller Welt spüren den Viruswanderungen nach und die Namen der Virus-Stämme zeigen deren globale Verbreitung: Brisbane, Florida, Yamagata, Honkong, Vietnam und viele mehr.
Risikopatienten
Die letzte Grippewelle lief von Weihnachten 2008 bis Ende Februar 2009 vom Nordwesten Deutschlands bis in den Südosten und führte in Spitzenzeiten mit der Diagnose akuter respiratorischer Erkrankungen (ARE) zu etwa 2 000 zusätzlichen Arztbesuchen pro Woche pro 100 000 Einwohner. Das sind schätzungsweise 10 bis 20 Millionen zusätzlicher Arztbesuche pro Grippewelle. Das Robert Koch-Institut rechnete bisher immer mit pro Jahr etwa fünf Millionen Infizierten und einer hierdurch bedingten Übersterblichkeit von circa 10.000 – 20.000 Fällen in Deutschland. Zum Schutz gegen die alljährliche Grippe wurden bisher überwiegend die Risikopatienten geimpft, also über 60-Jährige, chronisch Kranke und Menschen mit hohem aktivem oder passivem Infektionsrisiko. Das sind in Deutschland etwa 28 Millionen Menschen. Von ihnen ließ sich aber jeweils nur ein Teil impfen: die Hälfte der Alten, zwei Drittel der chronisch Kranken und ein Viertel der im Gesundheitswesen Tätigen. Insgesamt ließen sich in den vergangenen Jahren maximal etwa ein Viertel aller Menschen in Deutschland gegen Grippe prophylaktisch eine Spritze verabreichen. An die jährliche Influenza-Gefahr haben wir uns so sehr gewöhnt, dass es noch nicht einmal eine Meldepflicht für die Erkrankungsfälle gibt.
Als das Gesundheitsamt Flensburg vor etwa 20 Jahren während einer Grippewelle einen Neujahrsempfang des Oberbürgermeisters verschieben ließ, wurde das von allen Beteiligten ohne Aufregung als sinnvolle Vorbeugemaßnahme akzeptiert. Man ist vernünftig und meidet Massenveranstaltungen in solchen Zeiten. Das verhindert mehr Erkrankungen als so manche Impfaktion.
Werbewirksames Unglück
Kumulativ sind in Deutschland jetzt 3 810 Fälle der neuen Grippe (H1N1) bekannt geworden. Zuletzt kamen etwa 150 Fälle täglich dazu, 130 davon angeblich durch Touristen, überwiegend aus Spanien. Die spanischen Behörden melden derzeit allerdings nur 1 538 bestätigte Fälle, der britische staatliche Gesundheitsdienst hingegen zählt 11 159 Fälle, die in diesem Jahr besonders bei Kindern aufgetreten sein sollen. Alle Beobachter sprechen von relativ milden Verläufen. Kinder sind ohnehin viel häufiger infiziert. Sie lernen in Schulen und Kindergärten nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Immunsystem.
Wenn in Vorjahren immer wieder Millionen Grippekranke in Deutschland ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen, so war das also eine Routineangelegenheit des Gesundheitssystems. Jetzt wird der jährlich zu erwartende Durchzug der Influenza-Pandemie offenbar unter jeweils neuem Namen zu einer werbewirksam drohenden Katastrophe aufgeblasen.
Donald Rumsfeld, langjähriges Vorstandsmitglied und Großaktionär des Pharmaunternehmens Gilead Sciences, war bis zu seinem Amtsantritt als US-Verteidigungsminister Vorstandsvorsitzender des Konzerns und inszenierte danach in der Bush-Administration eine milliardenschwere Verkaufskampagne für das von Gilead Sciences mit dem Schweizer Unternehmen ROCHE produzierte „Tamiflu“. Ein Jahr später, nachdem bei einigen toten Vögeln auch in Deutschland festgestellt worden war, dass diese an Vogelgrippe gestorben waren, gelang es, eine ähnliche Panik auch bei uns zu inszenieren, die immerhin dazu führte, dass die Bundesländer insgesamt für etwa 200 Millionen Euro Grippepillen einbunkerten.
Panikmache und Hysterie
Eine dpa-Meldung vom 13.1.2006 lautete: „Die Vereinten Nationen wollen mit 1,1 Milliarden Euro die Ausbreitung der Vogelgrippe stoppen. Die Weltgesundheitsorganisation plant eine „Task Force“ gegen eine Vogelgrippe-Pandemie bei Menschen. In der Türkei sind zwei weitere Menschen an Vogelgrippe erkrankt. Damit stieg die Zahl der Infizierten auf 18. Drei von ihnen starben bereits am Todesvirus H5N1.“
Klaus Stöhr, Leiter des Influenza-Impfstoff- Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Vogelgrippe-Kampagne der WHO 2005/2006 wechselte anschließend zum Pharma-Konzern Novartis, der jetzt gerade einen neuen Grippe- Impfstoff gegen die Schweinegrippe, „Optaflu“, auf den Markt bringen möchte. Stöhr hatte es schon bei der Vogelgrippe geschafft, eine für den Menschen nicht existierende Erkrankung so zu verkaufen, dass Milliarden von Steuergeldern für Medikamente ausgegeben wurden. Es spielte damals keine Rolle, dass es die „Vogelgrippe“ beim Menschen gar nicht gab und dass deshalb die gebunkerten Medikamente auch noch nicht einmal klinisch für diesen Einsatz beim Menschen getestet waren. Jetzt strebt Novartis eine Abnahmegarantie für das gerade zugelassene „Optaflu“ an. Dieser Impfstoff soll nicht auf Hühnereiweiß, sondern auf Zellkulturen wachsen, die aus hochaktiven Krebszellen bestehen. Die Frage, ob eine Gefahr für die Geimpften durch mitübertragene krebserzeugende Bestandteile des Zellmaterials besteht und wie hoch diese langfristig sein könnte, hat für die zulassende Europäische Institution (EMEA) dabei wohl keine maßgebliche Rolle gespielt.
Ein Arzt soll seinen Patienten nichts verordnen, was er in gleicher Lage nicht auch sich und seinen Liebsten verschreiben würde. Ich halte die „Schweinegrippe“ für eine unverantwortliche, wirtschaftlich motivierte Panikmache und sehe nach intensiven Recherchen und persönlichen Gesprächen, unter anderem mit dem Leiter des Robert Koch-Instituts, keinen Grund, die Empfehlungen zum Grippeschutz anders zu handhaben als in den Vorjahren.