Auf dem Vormarsch
Daten zur Mundhygiene und der dabei eingesetzten Hilfsmittel kursieren in Deutschland in großer Vielfalt und tauchen aus unterschiedlichsten Quellen immer wieder in der Presse (sei es in Pressemeldungen oder redaktionellen Beiträgen) auf. Aus wissenschaftlichmethodischer Sicht bleibt dabei nicht selten unklar, worauf sich die Daten beziehen, welche Stichproben mit welchem Repräsentativitätsanspruch sich dahinter verbergen und welche Fragekonstruktionen als Grundlage der eigentlichen Abfrage verwendet wurden.
Dies macht es manchmal nicht ganz einfach, die verschiedenen Zahlen und Kennwerte angemessen zu interpretieren und miteinander korrekt zu vergleichen. Ein weiterer wichtiger, nicht immer offensichtlicher Punkt ist in diesen Zusammenhang, welche einzelnen Altersgruppen bei den entsprechenden Abfragen und Umfragen im Vordergrund standen.
Klares Ergebnis zur Mundhygiene
In der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV) war für ausgewählte WHO-Alterskohorten, die insbesondere für internationale Vergleiche immer wieder herangezogen werden, ein klares Ergebnisbild zur persönlichen Mundhygiene und der entsprechend eingesetzten Hilfsmittel in der Bevölkerung Deutschlands für das Jahr 2005 dokumentiert worden (siehe Tabelle 1). Insgesamt zeigte sich, dass Zahnbürste (Handzahnbürste und elektrische Zahnbürste) und Zahnpasta in allen vier Alterskohorten offensichtlich einen festen Platz im mundgesundheitsbezogenen Verhaltensrepertoire in Deutschland einnehmen. Und auch die Frequenzangaben in diesem Fragezusammenhang lassen erkennen, dass zumindest das einmalige Zähneputzen (beziehungsweise die entsprechende Prothesenpflege) von fast allen befragten Personen als Teil des genannten Nutzungsverhaltens habitualisiert ist; das mindestens zweimalige Zähneputzen wird immerhin von 80 Prozent und mehr der ausgewählten Bevölkerungsgruppen in Deutschland praktiziert (siehe Tabelle 2).
Aufklärungsbedarf zur PAR
In der letzen Zeit wird intensiv über das Thema der Verbreitung parodontaler Erkrankungen in Deutschland diskutiert [Micheelis et al., 2008; Holtfreter et al., 2010] und mit diversen Fragestellungen zur Parodontitisvermeidung verknüpft. Nach einer bundesweiten Wissensstudie von Deinzer und Mitarbeitern aus dem Jahre 2007 [Deinzer et al., 2008] wurde festgestellt, dass das parodontitisrelevante Wissen in der Bevölkerung signifikante Lücken und Defizite aufweist und man präventionspolitisch einen großen Informations- und Aufklärungsbedarf im Public Health-Maßstab zu erkennen hat.
Wenn auch die Ursachenforschung zur Parodontitisentwicklung bis heute kein vollständiges Modell zu den Risikofaktoren (endogener und exogener Art) vorlegen konnte, so ist doch auf der anderen Seite empirisch-klinisch gut unterlegt, dass eine solide Zahnzwischenraumhygiene sowohl Krankheitsentstehung als auch Krankheitsverlauf einer Zahnbetterkrankung günstig zu beeinflussen vermag [siehe beispielsweise: Bellamy et al., 2004; Jackson et al., 2006; Noorlin und Watts, 2007; Corby et al., 2008]. Insofern erscheint es im Gedankenzusammenhang lohnenswert, die Nutzungsmuster des Zahnseidengebrauches als Hauptmittel der Approximalhygiene einmal etwas näher zu beleuchten.
In der DMS-Studie von 2005 (siehe IDZ, 2006) wurde bereits über die entsprechenden Prävalenzen berichtet. Danach gaben rund 44 Prozent der Erwachsenen und rund 15 Prozent der Senioren zu Protokoll, grundsätzlich (!) auch Zahnseide im Rahmen ihrer persönlichen Mundhygienegewohnheiten zu benutzen; dabei waren allerdings die Frequenzmuster nicht Gegenstand der Abfrage gewesen.
Und nach einer aktuellen bundesweiten Bevölkerungsumfrage des IDZ in Zusammenarbeit mit dem TNS Health-Institut Bielefeld (2010) ist dieser Anteil der Zahnseidenanwender – bei absolut gleicher Konstruktion der Abfrage wie bei der damaligen DMS-Studie – offenkundig deutlich angestiegen (siehe Tabelle 3).
Dentalbewusstsein nimmt zu
Die Prävalenzanstiege sind in beiden Alterskohorten innerhalb von fünf Jahren markant und zeigen, dass offensichtlich das Dentalbewusstsein in der Bevölkerung Deutschlands erheblich zugenommen hat. Zumindest wird deutlich, dass der Zahnseidengebrauch als grundsätzliches Hilfsmittel der eigenen Zahn- und Mundhygiene von einer größer werdenden Zahl von Menschen deutlich besser verstanden wird als noch vor fünf Jahren.
Zu diesem aktuellen Zahlenbild passt auch eine gerade publizierte Studie der Apotheken Umschau (siehe Presseportal, 2010) zu dem selben Thema, wonach 51,8 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands (ab 14 Jahre, n = 2 047 Befragte) grundsätzlich Zahnseide verwenden; der entsprechende Wert liegt in der IDZ/TNS Health-Studie bei 54,8 Prozent (ebenfalls ab 14 Jahre, n = 2 002 Befragte).
In der Umfrage der Apotheken Umschau wurde auch nach der Frequenz des Zahnseidengebrauchs gefragt (siehe Tabelle 4). Die Angaben machen allerdings auch deutlich, dass eine tägliche (!) Nutzung im Rahmen der persönlichen Mundpflege nur von rund jedem siebten (14,6 Prozent) Befragten zur Zeit in Deutschland praktiziert wird, so dass eine weitere Verbreitung dieser mundgesundheitsbezogenen Verhaltensroutine parodontalpräventiv zweifellos wünschenswert wäre.
Andererseits zeigt die Entwicklung zum Zahnseidengebrauch in Deutschland aber auch erkennbare Zugewinne im oralen Gesundheitsverhalten der Bevölkerung, so dass weitere Anknüpfungspunkte für entsprechende Wissens- und Aufklärungskampagnen zur Parodontitisprävention auf einen motivationspsychologisch fruchtbaren Boden fallen dürften.
Dr. Wolfgang MicheelisWissenschaftlicher LeiterInstitut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)Universitätsstraße 7350931 Köln