Fortbildungsteil 2/2010

Ätiologie und Epidemiologie

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Als Halitosis (Synonyme: Mundgeruch, Foetor ex ore, bad breath, foul breath, offensive breath, foul smells, oral malodor) wird ein als unangenehm empfundener Geruch aus der Mundhöhle bezeichnet, wobei die Unterscheidung zwischen Geruch durch Atemluft aus dem Munde beziehungsweise der Nase nicht immer scharf gezogen wird [Tangerman 2002].

Foetor ex ore bezeichnet einen üblen Geruch beim Ausatmen durch den Mund, bei der Halitosis ist ebenfalls eine übel riechende Atemluft gemeint, die aber im Unterschied zum Foetor ex ore auch bei geschlossenem Mund, also beim Ausatmen durch die Nase wahrgenommen werden kann [Lang und Filippi 2004].

Lange Zeit galt die Halitosis als Tabuthema, was sicherlich zu einer Unterschätzung der Bedeutung dieser Thematik in der täglichen zahnärztliche Praxis geführt hat. Betroffene Patienten berichten über Schwierigkeiten in der Kommunikation mit den Mitmenschen und auch einem Gefühl des chronischen Gehemmt-Seins [Bosy 1997].

In der folgenden Übersichtsarbeit zur Ätiologie und Epidemiologie soll zur Vermeidung von Unklarheiten primär der Begriff „Halitosis“ verwendet werden. Wichtig ist auch festzuhalten, dass die Halitosis in der Regel keine eigenständige Erkrankung darstellt, sondern ein klinisches Symptom einer Krankheit, die zwar oft intraoral ihren Ursprung hat, durchaus aber auch fern der Mundhöhle lokalisiert sein kann. Um die möglichen zugrundeliegenden Krankheiten besser zu differenzieren, wurde die Halitosis in drei mögliche Erkrankungsgruppen eingeteilt [Yeagaki & Coil 2000]: Echte Halitosis, Pseudo-Halitosis und Halitophobie.

Ätiologie der Halitosis

Bei der echten Halitosis wird zur weiteren Differenzierung zwischen physiologischer und pathologischer Halitosis und zwischen einer möglichen extrabeziehungsweise intraoralen Geruchsquelle unterschieden. Daten aus Mundgeruchssprechstunden zeigen, dass die Ursache einer Halitosis bei bis zu 90 Prozent der Patienten intraoral zu finden ist, dagegen eher selten im HNOoder Magen-Darm-Bereich [Delanghe et al. 1999, Seemann et al. 2004]. Bei der Entstehung der intraoralen Halitosis nehmen die sogenannten volatile sulphur compounds (VSC / flüchtige Schwefelverbindungen) eine Schlüsselrolle ein, welche durch orale Bakterien über Fermentierung schwefelhaltiger Peptide beziehungsweise Aminsosäuren aus Nahrungsresten, desquamierten Epithelzellen, Speichel, Sulkusflüssigkeit oder auch Blut produziert werden [Tonzetich 1977, Porter & Scully 2006]. Die drei wichtigsten Vertreter dieser VSCs sind Schwefelwasserstoff, Methylmerkaptan und Dimethylsulfid.

Nach Delanghe und Mitarbeitern (1996) verteilen sich die intraoralen Ursachen einer Halitosis auf Zungenbelag (41 Prozent der Patienten), Gingivitis (31 Prozent) und eine etablierte Parodontitis (28 Prozent). Besonders die Zunge mit ihren teils sehr ausgeprägten Fissuren und Falten (Abbildung 1) kann für Nahrungsbestandteile, desquamierte Epithelzellen, Blutbestandteile und Bakterien eine ideale Retentionsnische darstellen. Es wird berichtet, dass sich auf der Zunge etwa 60 Prozent aller oralen Mikroorganismen befinden [Lang & Filippi 2004]. In der Literatur wurde zudem nachgewiesen, dass faltige Zungen mit einer höheren Zahl von Mikroorganismen besiedelt sind und auch mit höheren Werten bei der Mundgeruchsdiagnostik korrelieren [De Boever, Loesche 1995]. Wird vorwiegend weiche Nahrung konsumiert, das heißt, es fehlt ein physiologisch-mechanischer Abrieb der Zungenoberfläche, was bei älteren Patienten (besonders zahnlose) oder auch Äthylikern häufiger der Fall ist, kommt es in der Regel zu einem gesteigerten Mundgeruch. Zudem imponiert dann ein teils ausgeprägter Zungenbelag mit braungrüner, teils auch schwarzer Färbung (Abbildungen 2 und 3).

Eine ungenügende Mundhygiene manifestiert sich zunächst im vermehrten Auftreten von weichen Belägen um / an den Zähnen (Plaque / Biofilm), was zu einer manifesten Gingivitis führen kann. Teils kann eine mangelhafte Mundhygiene auch zur Ausbildung von Zahnstein in ungewöhnlichem Masse führen (Abbildung 4). Prädilektionsstellen einer Gingivitis sind Interdentalräume, überstehende Füllungsoder Kronenränder, Rauigkeiten an Zähnen oder Füllungen und bestehende Zahnfleischtaschen. Dass ein Zusammenhang zwischen insuffizienter Mundhygiene und erhöhten Messwerten für Halitosis besteht, konnte in diversen Arbeiten bestätigt werden [Kostelc et al. 1984, Seemann 2001].

Auf der Basis mangelhafter Mundhygiene kann es auch zur Entstehung einer marginalen Parodontitis kommen, bei der diverse parodontalpathogene Keime identifiziert wurden, welche schwefelhaltige Verbindungen und somit üble Gerüche produzieren können. Wichtig scheint dabei auch das Vorhandsein von Blutung auf Sondierung zu sein, das heißt das Bestehen von tiefen, aktiven parodontalen Taschen. Blut fördert nämlich die Bildung von VSCs, da es ein essenzielles Substrat für die Mikroorganismen darstellt [Tonzetich & Kestenbaum 1969]. Weitere intraorale Ursachen einer Halitosis sind Erkrankungen der Mundschleimhaut, besonders solche, die mit einem erhöhten Plaquebefall beziehungsweise einer erschwerten Mundhygiene einhergehen. Dazu gehören im Besonderen der orale Lichen planus [Bornstein et al. 2008], aber auch mukokutane Dermatosen wie das Schleimhautpemphigoid (Abbildung 5), welche typischerweise zu Veränderungen am marginalen Parodont führen können. Auch ein Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle kann bei weit fortgeschrittenen Stadien mit zerfallendem Gewebe zu einer manifesten Halitosis führen (Abbildung 6) – so wird ein Foetor ex ore in Lehrbüchern immer wieder als klassisches Symptom bei intraoralen Malignomen genannt [Ebhardt & Reichart 2009]. Ein verminderter Speichelfluss kann auch über die eingeschränkte Selbstreinigung der Mukosa und Zähne die Entstehung bakteriell bedingten Mundgeruchs begünstigen. Systemische Erkrankungen wie beispielsweise das Sjögren-Syndrom, Status nach Radiotherapie im Kiefer-Gesichts-Bereich oder auch eine chronische Medikamenteneinnahme (vor allem Antidepressiva) führen dabei zu einer verminderten Speichelsekretionsrate [Bornstein et al. 2001]. Daneben werden auch Prothesen, welche eine Akkumulation von Mikroorganismen und Nahrungsresten begünstigen, als Urasche einer Halitosis genannt [Scully & Greenman 2008]. Der morgendliche schlechte Atem (morning breath) ist durch die physiologische Speichelflussverminderung in der Nacht bedingt und im Gegensatz zur pathologischen Halitosis von vorübergehender Natur.

Extraorale Ursachen der Halitosis

Bei bis zu 10 Prozent der Patienten ist die Ursache der Halitosis nicht in der Mundhöhle zu suchen, sondern Ausdruck einer systemischen Erkrankung. Die ursächlich beteiligten anatomischen Strukturen sind dabei vor allem die oberen Atemwege mit Nase / Nasennebenhöhlen und Pharynx, die unteren Atemwege mit Larynx, Trachea und Bronchien sowie der Gastrointestinaltrakt [Porter & Scully 2006, Scully & Greenman 2008]. Der Geruch ist in diesen Fällen sowohl über den Mund als auch über die Nase messbar. Im Hals-Nasen-Ohren-Bereich kommt es besonders bei Infektionen der oberen Atemwege zur Ausbildung einer Halitosis. Bei Erwachsenen wird die Tonsillitis als häufigste Ursache des Mundgeruchs angesehen (Abbildung 7), besonders auch bei Ausbildung von Tonsillolithen [Scully & Greenman 2008]. Bei Kindern wiederum sind vor allem in die Nase verlagerte / gesteckte Fremdkörper häufig Ursache einer Halitosis. Eine chronische Sinusitis – rhinogen oder dentogen bedingt, teils auch über anatomische Besonderheiten wie eine Septumdeviation begünstigt- oder auch Rhinitis können ebenso Ursache einer Halitosis sein. Diagnostisch kann bei Patienten mit chronischer Sinusitis oder Rhinitis auch ein sogenanntes postnasal drip vorhanden sein, das heißt ein dorsaler Sekretabfluss von der Nase auf den Zungengrund, wodurch das Wachstum von Bakterien begünstigt werden kann [Lambrecht 2006].

Bei den gastrointestinalen Erkrankungen ist besonders der gastroösophageale Reflux aufgrund einer insuffizienten Abdichtung des Mageneingangs im Zusammenhang mit einer Halitosis zu nennen [Moshkovitz et al. 2007]. Eine Infektion mit Helicobacter pylori wird als mögliche Ursache teils kontrovers diskutiert. Die Produktion von VSCs durch H. pylori wurde zwar nachgewiesen [Lee et al. 2006], aber bisher fehlt der klare Nachweis eines Zusammenhangs zwischen einem peptischen Ulkus, einer Infektion mit H. pylori und erhöhten Halitosismesswerten [Seemann 2000]. Weitere, aber eindeutig seltenere Ursachen einer extraoralen Halitosis werden bei Patienten mit Leberversagen (Foetor hepaticus), Patienten mit Nierenversagen (Foetor uraemicus), bei unkontrolliertem Diabetes mellitus (Azetongeruch) oder bei Einnahme bestimmter Medikamente (beispielsweise Chloralhydrat, Nitrate und Nitrite oder Amphetamine) beschrieben [Scully & Greenman 2008]. Raucher haben auch einen charakteristischen Mundgeruch, den sogenannten smokers’ breath, wobei Zigarren- und Pfeifenraucher in der Regel eine stärker ausgeprägte Form aufweisen.

Pseudohalitosis und Halitophobie

Von der echten Halitosis mit intra- und extraoralen Ursachen gilt es die Pseudohalitosis und Halitophobie abzugrenzen. Bei der Pseudohalitosis wird der Mundgeruch nur vom betroffenen Patienten selber empfunden, andere Personen können dies aber nicht objektivieren. Die Situation verbessert sich für den Patienten in der Regel durch eine Besprechung der Untersuchungsergebnisse, das heißt, der Patient lässt sich davon überzeugen, dass eine Halitosis objektiv untersucht und gemessen nicht vorliegt [Nagel et al. 2006]. Im Gegensatz zur Pseudohalitosis liegt bei der Halitophobie eine übersteigerte Angst auf Seiten des Patienten vor, an einem ausgeprägten und vor allem auch sozial inakzeptablen Mundgeruch zu leiden. Hier lassen sich die Betroffenen weder durch intensive Aufklärung noch durch Besprechung objektiver Untersuchungsergebnisse überzeugen. Es ist zu empfehlen, dass Zahnärzte, die regelmäßig Patienten mit Halitophobie in ihrer Sprechstunde sehen, ein Netzwerk mit einem Psychiater oder Psychotherapeutiker etablieren, um diesen Patienten eine entsprechende Therapie zu ermöglichen.

Epidemiologie der Halitosis

Über die Prävalenz des Mundgeruchs in der Bevölkerung ist bisher noch verhältnismäßig wenig bekannt. Noch immer wird in der Forschung nach einer für epidemiologische Großuntersuchungen geeigneten Methodik gefahndet, um Mundgeruchspatienten sicher und allgemein akzeptiert zu identifizieren. Nur so können Daten verschiedener Studien in Zukunft auch wirklich verglichen und Aussagen zu geografischen oder kulturellen Unterschieden gemacht werden. Patientenbefragungen und insbesondere die Selbsteinschätzung, ob man unter Halitosis leidet oder nicht, entsprechen oft nicht der Realität [Miyazaki et al. 1995, Rosenberg et al. 1995]. Andererseits finden sich teils große Unterschiede in der Bewertung der Sensibilität und Spezifität bei Messmethoden zur Halitosis-Erkennung und Quantifizierung wie der organoleptischen Untersuchung [Seemann 2002) oder instrumentellen Techniken wie der Gaschromatographie, den Sulfidmonitoren oder elektronischen Nasen [Lang & Filippi 2004]. Noch immer dominieren in der Literatur Angaben zur Epidemiologie der Halitosis, die anhand von Befragungen großer Bevölkerungsgruppen gewonnen wurden und somit deutlich subjektiv gefärbt sind. Über die Prävalenz der verschiedenen Halitosis-Typen (echte Halitosis, Pseudo-Halitosis, Halitophobie) und den jeweiligen Schweregrad lassen sich daher kaum wirklich verlässliche Angaben machen.

Untersuchungen aus Japan haben aber aufgezeigt, dass die Halitosis weiter verbreitet ist, als ursprünglich angenommen. So ergab ein Befragung von 33 427 Personen aus ganz Japan im Alter von 15 Jahren und älter, dass 14,5 Prozent von ihnen Probleme mit ihrem Mundgeruch haben [Saito & Kawaguchi 2002]. Eine Untersuchung aus den USA zeigte auf, dass aus einer Patientengruppe mit über 60-Jährigen 43 Prozent angaben, dass sie unter chronischem/wiederkehrendem Mundgeruch leiden beziehungsweise ihnen von einer anderen Person (Verwandte, Bekannte, Arbeitskolleginnen und -kollegen) gesagt worden sei, sie hätten Mundgeruch [Loesche et al. 1996]. Dieser Wert übertraf in der Studie gar Beschwerden wie „Zahnschmerzen“ oder „Zahnfleischprobleme“. In einer größeren Untersuchung aus den zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern wurde die Prävalenz der Halitosis bei männlichen Probanden (Rekruten) zwischen 18 und 25 Jahren untersucht [Bornstein et al 2009a]. Lediglich 17 Prozent der befragten Rekruten gaben an, noch nie an Mundgeruch gelitten zu haben. Dennoch wurde mittels organoleptischer Messung nur bei 156 Personen ein deutlich erhöhter Wert festgestellt, 424 hatten keine beziehungsweise eine kaum wahrnehmbare Halitosis. Der Zungenbelag war als einziger klinischer Faktor mit erhöhten Werten mittels organoleptischer oder instrumenteller (VSCs) Messmethode korreliert. In einer ähnlichen Studie zur Prävalenz der Halitosis im Raum Bern [Bornstein et al. 2009 b] wurden 419 Probanden mittels Fragebogen und standardisierter klinischer Untersuchung analysiert. Auf Basis des Fragebogens gaben 32 Prozent der Probanden an, regelmässig unter Halitosis zu leiden. Die VSC-Messung ergab bei 28 Prozent der Personen leicht erhöhte Werte, lediglich 1,2 Prozent hatten klar erhöhte Werte. Eine Korrelation zwischen VSC-Messwerten und den oragnoleptischen Befunden wurde für den Zungenbelag und Rauchen vorgefunden.

Männer und Frauen scheinen gleich häufig vom Mundgeruch betroffen zu sein. In der Literatur lassen sich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Prävalenz und dem Schweregrad der Halitosis in der Bevölkerung finden [Rosenberg et al. 1991, Iwakura et al. 1994]. Frauen scheinen aber eher bereit, professionelle Hilfe für ihre Beschwerden aufzusuchen als Männer [Iwakura et al. 1994]. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Frauen generell mehr um ihr gesundheitliches Befinden besorgt sind.

Zusammenfassung

Die Halitosis ist in der Regel keine eigenständige Erkrankung, sondern ein klinisches Symptom diverser intraoraler und auch extraoraler Krankheiten. Ätiologisch stehen bei der Halitosis intraorale Pathologien wie übermäßiger Zungenbelag, Gingivitis, Parodontitis, Erkrankungen der Mundschleimhaut oder Verminderung der Speichelfließrate im Vordergrund, welche bei etwa 90 Prozent der Patienten für die Mundgeruchsproblematik verantwortlich sind. Extraorale Ursachen sind seltener, zu beachten sind aber Fremdkörper in der Nase, chronische Sinusitiden, Tonsillitiden oder der gastroösophageale Reflux. Pseudohalitosis und Halitophobie sind Sonderfälle, die zwar durch den Zahnarzt diagnostiziert werden sollten, danach aber in die Hand eines Psychiaters beziehungsweise Pyschotherapeuten gehören. Über die Prävalenz der Halitosis in der Bevölkerung ist bisher noch wenig bekannt, der Mundgeruch ist aber sicherlich ebenso häufig wie die Karies oder Gingivitis/Parodontitis. Problematisch ist bei Studien, dass Fragebogenuntersuchungen, welche primär subjektive Befunde evaluieren, kaum mit objektivierbaren Daten aus klinischen Untersuchungen mittels organolpetischer oder instrumenteller Messmethode korrelieren.

PD Dr. Michael M. Bornstein, OAKlinik für Oralchirurgie und Stomatologie,ZMK der Universität BernFreiburgstr. 7, 3010 Bernmichael.bornstein@zmk.unibe.ch

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