Diskussion über neues Schulfach

Gesundheitslehre: Mangelhaft

Heftarchiv Gesellschaft
In Sachen Ernährung gibt es für Deutschland keine guten Noten: Fast Food wird immer beliebter, schon unter Kindern steigt die Adipositasrate. Höchste Zeit für mehr gesundheitliche Aufklärung. Körperliche Fitness muss als wertvolles Gut begriffen werden, das bei richtiger Pflege lange erhalten bleibt. Es gibt gute Gründe dafür, Gesundheitserziehung schon in der Schule fest zu verankern.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) empfahl bereits Anfang der 90er-Jahre, Gesundheit fächerübergreifend zu thematisieren, um gesundheitliche, ökologische oder auch kulturelle, soziale und wirtschaftliche Folgezusammenhänge – etwa des eigenen Ernährungsverhaltens – zu vermitteln. Gesundheitserziehung ist daher heute in Biologie, Sport oder Sozialkunde integriert. Neben den Fachlehrern können zudem unterstützend externe Referenten hinzugezogen werden. Ergänzend gibt es Thementage und vereinzelt Präventionsprojekte – damit sehen die zuständigen Kultusministerien der Länder das Thema Gesundheit in den Schulen ausreichend behandelt.

Dennoch gibt es in der Politik immer wieder Diskussionen darüber, ob ein eigenes Schulfach „Gesundheit“ notwendig ist. 2007 plädierte die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) für ein Unterrichtsfach „Ernährung“. Die Bundesländer wiesen den Vorstoß zurück. Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht klagte, es sei „in Mode gekommen, bei allen aktuellen Themen ein neues Unterrichtsfach zu fordern“. Neben den immer volleren Stundenplänen spielt sicher auch der finanzielle Aspekt bei der Ablehnung eine Rolle.

Interdisziplinärer Ansatz,

Ein interdisziplinärer Ansatz erscheint in der Theorie sinnvoll, ist in der Praxis allerdings schwierig umzusetzen. Das Zusammenwirken von Körper, Psyche und Umwelt mit all seinen gesundheitlichen Auswirkungen ist kompliziert und müsste kindgerecht aufbereitet und unterrichtet werden. Das Thema wird aber nur am Rande behandelt – so wird kein Basiswissen geschaffen, auf das aufbauend Kinder Zusammenhänge erst erschließen können. Es wundert wenig, dass die schon fast 20 Jahre alte Empfehlung der KMK kaum positive Auswirkungen auf die Gesundheit der heutigen Kinder und Jugendlichen zeigt. Ganz im Gegenteil. Die Adipositasrate ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 15 Prozent der Kinder zwischen drei und 17 Jahren sind übergewichtig, 6,3 Prozent sogar adipös. In ganz Deutschland sind dies 1,9 Millionen übergewichtige Kinder und Jugendliche. Im Vergleich zu Untersuchungen aus den 1980er- und 1990er-Jahren ist das eine Steigerung um 50 Prozent. Daraus ergeben sich viele Folgekrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Diese Fakten alarmieren engagierte Mediziner und Zahnmediziner. Dabei zeigt Präventionsarbeit an Schulen durchaus Erfolg, wie etwa die erfolgreiche Kooperation zwischen Zahnärzten und Schulen beweist. Die Mundgesundheit von Schülern in Deutschland konnte dadurch kontinuierlich verbessert werden. Begonnen hat die Erfolgsgeschichte schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als einzelne Zahnärzte sich in Schulen engagierten. In den 1920er-Jahren wurde schließlich ein Fach „Hygieneunterricht“ gefordert. Doch trotz der bekannten Missstände war noch viel Fleiß- und Überzeugungsarbeit notwendig, bis es Alfred Kantorowicz gelang, die kollektive Schulzahnpflege mit dem „Bonner System“ durchzusetzen. Heute sieht man sich neuen Herausforderungen gegenüber. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, fordert daher, „dass die zahnmedizinische Aufklärung und Prophylaxe nicht nur ihren bisherigen Stellenwert behält, sondern gleichzeitig in Interaktion mit anderen gesundheitserzieherischen Maßnahmen, wie zum Beispiel zur Ernährung, verbunden wird“.

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) entwickelte dafür das Projekt „Apotheke macht Schule“: Apotheker klären Schulklassen über Themen wie Drogenmissbrauch, Essstörungen oder Hautprobleme auf. Bei der ABDA ist man überzeugt, dass ein Schulfach Gesundheit notwendig ist, um tatsächlich einen Wandel zu bewirken. ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt: „Gesundheit ist einer der Schlüsselbegriffe der Zukunft. Viele Krankheiten wie Adipositas oder Diabetes, die stark vom Lebensstil abhängen, können vermieden werden.“ Punktuelle Aufklärung sei unzureichend, um eine Änderung der ungesunden Lebensgewohnheiten zu erreichen.

Auch Oesterreich meint: „Die Forderung eines Schulfachs Gesundheitserziehung hat einen gewissen Charme, um das notwendige Basiswissen zu vermitteln. Dass das Thema in den Schulen derzeit nicht ausreichend behandelt ist, wird auch an den Folgen wie Fehlernährung und Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen deutlich.“

Das denken auch die Eltern heutiger Schulkinder. In einer aktuellen Studie der DAK sprachen sich 69 Prozent dafür aus, mehr Gesundheitsthemen im Unterricht zu behandeln. „Der Grundstein für eine gesundheitsbewusste Lebensweise wird in der Kindheit gelegt“, meint der DAK-Vorstandsvorsitzende Herbert Rebscher.

... oder ein eigenes Fach

Dennoch sehen die Bundesländer weiterhin nicht die Notwendigkeit eines eigenständigen Schulfachs. Das Ansinnen wird beipielsweise vom Rheinland-Pfälzischen Bildungsministerium als Forderung von vereinzelten Interessensgemeinschaften abgetan. Die immer wieder aus verschiedensten Richtungen und von verschiedensten Lobbygruppen erhobenen Forderungen nach der Installierung eines eigenen Schulfachs seien kaum mehr zu zählen, heißt es. Die Erfüllung aller Forderungen, wie etwa ein Schulfach für Wirtschaft, Finanzwesen, Haushaltsmanagement, Gesundheitserziehung oder Umgang mit modernen Medien würde dazu führen, dass ein Unterrichtstag aus mehr als 24 Stunden bestehen müsse.

Dem Thema „Gesundheit“ wird keine übergeordnete, gesamtgesellschaftliche Bedeutung beigemessen. Dabei richten Volksund Zivilationskrankheiten, die eng mit der Lebensführung zusammenhängen, hohen wirtschaftlichen Schaden an – direkt durch Behandlungskosten und indirekt durch Arbeitsausfälle sowie Krankengeld. Mit einer frühzeitigen, didaktischen Erziehung zu ausreichender Bewegung und gesunder Ernährung wird das Fundament gelegt für gesündere Generationen.

Diese grundlegende Maßnahme würde durch ein verbessertes Körperbewusstsein auch zu mehr Interesse an ärztlicher Betreuung führen. Denn eines ist unbestritten: Eine schulische Gesundheitserziehung kann fachärztliche Präventionsmaßnahmen nicht ersetzen. So betont auch Oesterreich, dass neben einer schulischen Erziehung „in entsprechenden Zeitabständen eine kompetente Supervision durch Prophylaxefachkräfte“ erfolgen müsse. Losgelöst davon wird die Diskussion über ein selbstständiges Schulfach „Gesundheit“ weitergehen.

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