EU-Tierversuchsrichtlinie

Spagat zwischen Forschung und Ethik

Mit der Novelle der Tierversuchsrichtlinie will die Europäische Union dem Tierschutz in der medizinischen Forschung einen größeren Stellenwert einräumen. Statt weiterhin Millionen Mäuse, Ratten, Hunde, Kaninchen und andere Tiere im Dienste der Wissenschaft zu opfern, sollen andere Methoden stärker in den Fokus gerückt werden. Bei Ärzten, Forschern und Tierschützern stoßen die Vorschläge der EU-Gesetzgeber auf ein geteiltes Echo. Die Richtlinie soll im September verabschiedet werden.

In europäischen Labors leiden und sterben nach Schätzungen der Europäischen Kommission jährlich rund 12 Millionen Tiere im Dienste der Wissenschaft. Knapp 2,7 Millionen sind es pro Jahr allein in Deutschland. Von den Tierversuchen verspricht sich die medizinische Forschung Fortschritte bei der Entwicklung von Therapien zur Bekämpfung von Schlaganfällen, Parkinson, Alzheimer, Multiple Sklerose, Krebs und zahlreichen anderen ernsthaften Erkrankungen.

Zwar gibt es bereits eine Reihe von Methoden, die ohne Tiere auskommen. Dazu gehören Versuche mit Gewebe- und Zellkulturen sowie Computersimulationen. Auch steht für die Untersuchung auf fieberauslösende Substanzen in Medikamenten und Impfstoffen ein Test mit menschlichem Blut zur Verfügung. Forscher arbeiten ferner daran, Impfstoffe mit gentechnisch veränderten Pflanzen herzustellen.

Aus Sicht von Tierversuchsgegnern, Ärzten sowie einigen Forschern werden tierversuchsfreie Methoden aber noch nicht ausreichend oft eingesetzt. Auch viele Bürger sprechen sich gegen den Einsatz von Tieren in der Forschung aus. Einer Befragung der Brüsseler Kommission zufolge halten lediglich 40 Prozent der EU-Bevölkerung Tierversuche zur Therapie- und Arzneimittelentwicklung für akzeptabel. Drei Viertel der Befragten fordern, die Entwicklung und Anerkennung von tierversuchsfreien Methoden stärker zu fördern.

Kompromiss stößt auf geteiltes Echo

Mit der Neufassung der Tierversuchsrichtlinie will die EU diesem Wunsch nachkommen. Ziel der Richtlinie, die kurz vor ihrer Verabschiedung steht, ist es, Tierversuche möglichst zu vermeiden, deren Zahl zu reduzieren beziehungsweise die Situation von Tieren in der Forschung zu verbessern. Der Kompromiss, den das Europäische Parlament (EP) und der EU-Ministerrat ausgehandelt haben, stößt hingegen auf Kritik.

Tierversuchsgegner, wie der Deutsche Tierschutzbund und die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, werfen den EU-Gesetzgebern vor, die Richtlinie auf Druck der Forscherlobby aufgeweicht zu haben.

Wissenschaft und Industrie hatten die EU eindringlich davor gewarnt, allzu restriktive Regelungen zu erlassen. „Pauschale Verbote beziehungsweise einschneidende Beschränkungen biomedizinischer Forschung widersprechen der Pflicht der Gemeinschaft [gemeint ist die EU], für ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu sorgen“, so Vertreter der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in einer gemeinsam verfassten Stellungnahme. Ohne diese Forschung seien keine Fortschritte bei der Bekämpfung von Krankheiten möglich, drohten die Wissenschaftler. Und weiter: „Insbesondere in den Bereichen Neurobiologie, Fortpflanzungsbiologie und Immunologie sind nicht-menschliche Primaten in manchen Fällen die einzigen geeigneten Tiermodelle.“

Die CDU-Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle, die die Position des Parlaments zur Richtlinie vorbereitet hatte, sieht dies offensichtlich ähnlich. Wenn die Forschung aufgrund übermäßig strenger Gesetze ins außereuropäische Ausland abwandere, sei dem Tierschutz in Europa nicht gedient, so die Politikerin.

Zusammen mit dem Rat hat das EP schließlich durchgesetzt, dass Versuche mit nicht-menschlichen Primaten weiterhin zu nahezu jedem beliebigen Zweck erlaubt sein sollen. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, diese weitgehend zu unterbinden. Auch sollen alternative Methoden nur angewendet werden, wenn sie behördlich genehmigt sind. „Dies kann mitunter Jahrzehnte dauern“, sagt Dr. Corina Gericke, Mitarbeiterin des Vereins Ärzte gegen Tierversuche. Die EU-Mitgliedstaaten sollen zudem keine strengeren nationalen Regen zum Tierschutz erlassen dürfen.

Unterstützung aus der Wissenschaft

Unterstützung erhalten die Tierversuchsgegner indes auch aus der Wissenschaft. Nach Ansicht von Thomas Hartung, Pharmakologe und Toxikologe der Universität Konstanz, sind zahlreiche Ergebnisse aus Tierversuchen nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar. „90 Prozent der Medikamente, die erfolgreich im Tierversuch waren, versagen beim Menschen; 20 Prozent wegen Nebenwirkungen, 40 Prozent wegen mangelnder Wirkung“, so der Wissenschaftler.

Der Verband der Forschenden Arzneimittelindustrie (VfA), der selber Gelder in die Entwicklung alternativer Verfahren steckt, sieht dies anders: Das Verhalten einiger Wirkstoffe im Gesamtorganismus lasse sich auch in Zukunft nicht in tierfreien Einzel-tests bestimmen, meint Thorsten Ruppert, Seniorreferent für Grundsatzfragen Forschung beim VfA.

Die Europäische Bischofskommission (COMECE) fürchtet derweil, dass die Vorschrift, alternativen Methoden den Vorzug vor Tierversuchen zu geben, der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen Tür und Tor öffnen könnte. „Aufgrund dieser Richtlinie könnten Mitgliedstaaten ohne explizite Gesetzgebung zum Schutz von menschlichen embryonalen Stammzellen verpflichtet werden, bestimmte Versuchsmethoden anzuwenden, die solche umstrittenen Zellen einsetzen“, mahnt die COMECE.

Petra SpielbergChristian-Gau-Str. 2450933 Köln

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