Megatrends auf dem Prüfstand
„Die Bundeszahnärztekammer ist gefordert, sich stets neu zu wichtigen politischen Fragen zu positionieren und sich strategisch aufzustellen“ – mit diesen Worten stimmte BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel in die Vorstandsberatungen auf der Klausurtagung ein. „Es geht darum, fundierte Konzepte zu erarbeiten, wie wir uns angesichts der Realitäten im Gesundheitswesen als Player und Gestalter einbringen, damit wir im Berliner Politikumfeld auf Akzeptanz stoßen.“ Unter fachkundiger Moderation von Thomas Grünert, Chefredakteur der Vincentz-Network-GmbH, widmete sich der Vorstand zwei Tage lang einem umfangreichen Arbeitspensum.
In seinem Impulsreferat arbeitete Dr. Thomas Drabinski, Leiter des Instituts für Mikrodaten-Analyse (IfMDA), Megatrends heraus, die die gesundheitspolitische Entwicklung der kommenden Jahre seiner Ansicht nach prägen werden:
• Die Dynamik der Gesundheitswirtschaft werde nur temporär durch gesundheitspolitische Gegensätze aufgehalten.
• Eine nachhaltige Finanzierung der GKV sei schwierig umsetzbar, sei aber gesellschaftlich wünschenswert.
• Die Selbstbeteiligung der Patienten werde steigen.
• Die Vernetzung von (IT-)Strukturen werde voranschreiten.
• Sektorübergreifende Versorgungsplanung und -steuerung werde einen regionalen Charakter erlangen.
• Qualitätsorientierte Vergütungsmodelle würden Realität werden.
• Ein einheitlicher, privat orientierter Krankenversicherungsmarkt werde kommen.
Der BZÄK-Vorstand legte nach intensiven Beratungen vier Handlungsschwerpunkte für die kommende politische Arbeit fest: Prävention, Vernetzung, Qualitätssicherung und die nachhaltige Finanzierung der GKV.
Der mündige Patient
In einem weiteren Block beriet der Vorstand zum Thema „Der mündige Patient“. Gerade im Vorfeld des bald anstehenden Patientenrechtegesetzes ist dieser Bereich für die politische Arbeit der BZÄK besonders aktuell. Vizepräsident Dr. Dietmar Oesterreich unterstrich, dass Patientenorientierung ein wichtiger Teil aktiver Professionspolitik sei. Hier habe der Berufsstand schon viele Aktivitäten entwickelt. Den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen und sich gleichzeitig dem Gemeinwohl zu verpflichten, seien zudem elementare Bestandteile der Freiberuflichkeit.
Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Bürgerinitiative Gesundheit DGVP e.V., gab dem Vorstand seine Einschätzung zu aktuellen Themen wie Patientenrechte, Prävention, Bürgerbeteiligung und Transparenz. Ausgiebige Vorstandsberatungen schlossen sich an. Eine intensive Beteiligung von Patienten an medizinischen Entscheidungsprozessen sei sinnvoll und werde von der Zahnärzteschaft ausdrücklich begrüßt, so das Fazit des Gremiums. Die Verbreitung wissenschaftlich abgesicherter Patienteninformationen werde vom Berufsstand aktiv gefördert und begleitet. Neben der Beratung in der Praxis sei die unabhängige Beratung durch die Zahnärztekammern ein wesentlicher Baustein patientenorientierter Zahnmedizin. Auch sprach sich der Vorstand dafür aus, die Ergebnisse der Patientenberatung durch die zahnärztliche Selbstverwaltung bundesweit zu erfassen und zu publizieren und Patientenvertreter in Strukturen der Patientenberatung, insbesondere des Schlichtungswesens, einzubeziehen.
Öffnungsklausel und Selektivverträge
Einen wesentlichen Schwerpunkt der Beratungen nahmen das Thema einer möglichen Öffnungsklausel in der GOZ und die Selektivverträge in der GKV ein. Aus Sicht des PKV-Verbands seien Veränderungen notwendig, so RA Nurettin Fenercioglu vom PKV-Verband. In der PKV müsse das Thema Gesundheitsmanagement einen größeren Stellenwert einnehmen. Dazu wünsche sich der Verband geeignete Vertragskompetenzen bezüglich gesicherter Qualität, Menge und Preis. Gerade von der Öffnungsklausel erhoffe man sich Transparenz im Leistungsgeschehen durch vertraglich zugesicherte Kompetenz, das Ganze werde als „fairer Wettbewerb zum Nutzen der Ärzte und Zahnärzte“ gesehen, wobei entsprechende Gestaltungsspielräume ermöglicht würden. Befürchtungen der Leistungsanbieter sehe der Verband als unbegründet an.
Eine Analyse aus Sicht der KZBV gab deren stellvertretender Vorsitzender Dr. Wolfgang Eßer. Selektivverträge seien gesetzlich vor drei Jahren in der GKV eingeführt worden. Auch die neue Regierung halte sie ordnungspolitisch für angemessen. Deshalb sei sicher, dass es kein Zurück mehr gebe: „Wir müssen uns mit den Realitäten abfinden.“ Zu kritisieren seien die große Gefahr einer Zersplitterung des Berufsstandes, die ungleiche Machtverteilung zwischen Kostenträgern und Zahnärzten und die gezielte Patientennavigation.
Gestalterisch umgehen
In verschiedenen KZV-Bereichen seien bisher unterschiedliche Selektivverträge geschlossen worden. Wichtig sei, damit gestalterisch umzugehen, um vertraglich etwas Besseres zu schaffen: „Es gibt einiges Gutes, aber sehr viel Erratisches. Vieles von dem, was wir gemacht haben, würden wir heute in dem Wissen um die Wirkung lassen.“ Selektivverträge aus Sicht der KZBV müssten ein Add-on darstellen, allen Zahnärzten zugänglich gemacht werden und ein zusätzliches Honorar bieten.
„Wenn die Öffnungsklausel kommt, dann werden die PKVen die Zahnärzte in Einzelverträge treiben“, analysierte Eßer weiter. Die PKV wolle damit das erreichen, was in der GKV längst Realität sei: Budgets unter strengen Qualitätskriterien. „Der cash-flow nach unten ist vorprogrammiert.“ Über die Vereinbarung von qualitätsabhängiger Vergütung werde es zu einem harten Preiswettbewerb kommen. Die Zahnärzteschaft erwarte Schutzmaßnahmen, um nicht dem ruinösen Preiswettbewerb ausgeliefert zu werden. Eßer bot der BZÄK dazu die Unterstützung der KZBV an.
BZÄK-Präsident Engel kommentierte nach diesen beiden Vorträgen wörtlich: „Wer nach solchen Äußerungen immer noch glaubt, dass die Öffnungsklausel und die Selektivverträge etwas anderes darstellen sollen als reine Einsparinstrumente, dem ist wohl nicht zu helfen. Mit Qualitätssicherung haben solche Vorstellungen jedenfalls nichts zu tun!“ Nicht der Patient, sondern Kosten-Nutzen-Erwägungen würden hier im Vordergrund stehen.
Die Analysen gingen ein in intensive Diskussionen im BZÄK-Vorstand. Einigkeit bestand darin, dass bei Selektivverträgen die Trennlinie zwischen GKV und PKV nicht verwischt werden dürfe. Die mit den Verträgen verbundenen Risiken und Gefahren könnten lediglich dort hingenommen werden, wo die Verbesserung der Patientenversorgung in Teilbereichen ermöglicht werde. Die Öffnungsklausel in der GOZ wird nach wie vor strikt abgelehnt, da sie das Patientenrecht auf freie Arztwahl einschränkt und die Marktmacht der PKV einseitig zulasten der Zahnärzte stärkt.
Die BZÄK wird die im Rahmen der Klausurtagung aufgeworfenen Themen in ihren Gremien und auf politischer Ebene nun Schritt für Schritt abarbeiten und Position beziehen.