Versorgungslücke schließen
Für KZBV-Vorstandsmitglied Dr. Wolfgang Eßer sind die Anreize zur Beseitigung dieser angesichts der künftigen demografischen Entwicklung noch wachsenden Problematik längst überfällig. Die Gesellschaft müsse gerade auch hier „dafür sorgen, dass das Recht der Betroffenen auf bedarfsgerechte Leistungen überhaupt erst einmal verbrieft wird“. Hier fehle der ordnungspolitische Rahmen im SGB V (Paragraph 22), erläuterte Eßer die Gründe für den trotz öffentlich knapper Kassen eröffneten aktuellen Vorstoß gegenüber den Journalisten: „Die Mundgesundheit der Menschen richtet sich nicht nach der Kassenlage.“ Vielmehr müsse man hier „einer Verantwortung gerecht werden“.
Schließlich hätten die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen einen gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung, gerade auch in diesen Bereichen. Bei dem Konzept der Zahnärzteschaft handele es sich um einen Vorschlag. Die Details des Verfahrens müsse letztlich der Gemeinsame Bundesausschuss verhandeln und definieren.
Ehrenamtlich reicht nicht
Eine Alternative zu dieser Vorgehensweise sieht das KZBV-Vorstandsmitglied nicht: „Erhöhte Morbidität und zahnmedizinische Versorgungsdefizite bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen sind nun einmal da und müssen angegangen werden.“ Das gehe nicht mehr länger durch – wenn auch noch so lobenswerte – ehrenamtliche Tätigkeiten. Dieses gesundheitspolitische Versorgungsloch müsse gefüllt werden.
Bisher, so die Kritik der zahnärztlichen Organisationen, werde dieser besonderen Situation nicht Rechnung getragen. Das Feld werde in der Tat allein durch karitativ tätige Organisationen und eine Vielzahl von zahnärztlichen Kollegen bestritten, überwiegend in regionalen, zeitlich begrenzen Modellvorhaben und fast ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis.
Auch die Zahlen sprechen für sich: Die einschlägigen Studien und Statistiken (zum Beispiel die DMS IV) zeigen eindeutig auf, dass der orale Gesundheitszustand alter pflegebedürftiger Menschen oder von Menschen mit Behinderungen deutlich schlechter ist als der der Allgemeinbevölkerung.
Viel Zeitaufwand
Das ist, so BZÄK-Vizepräsident Dr. Dietmar Oesterreich, „Sozialpolitikern, Krankenkassenvertretern und uns Zahnärzten seit Jahren bewusst“. Angesichts systemischer Wechselwirkungen zwischen der Mundgesundheit und der anderer Körperregionen sei es immens wichtig, die Verbesserung in der Pflege und eine intensive prophylaktische Betreuung dieser Patientengruppe zu gewährleisten. Oesterreich: „Darüber hinaus besitzen Risikofaktoren wie bestimmte Behinderungen, altersphysiologische Abbausyndrome, Mangelerscheinungenn, eine geschwächte Immunabwehr oder die Einnahme von Medikamenten erhebliche Auswirkungen auf die Mundgesundheit.“
Diese Herausforderung anzunehmen bedeute für den Zahnarzt und sein Team, mit „Einfühlungsvermögen, Sachkunde, viel Zeit, erhöhtem organisatorischen, personellen und apparativen Aufwand sowie in guter Zusammenarbeit mit allen Beteiligten“ vorgehen zu müssen.
Vor diesem Hintergrund sei der aktuelle Ansatz, bisher nicht budgetierte notwendige Anästhesieleistungen für zahnmedizinische Versorgungen ab Juli 2010 den Regelleistungsvolumina zuzurechnen und entsprechend abzuwerten, kritisch zu hinterfragen. Oesterreich: „Was dies konkret für die Leistungen im Zusammenhang mit zahnärztlichen Behandlungen von Menschen mit Behinderungen bedeutet, ist noch nicht genau abzusehen.“ Fest stehe aber, dass die Anästhesisten, die mit Zahnärzten zusammenarbeiten, hier eine Sonderregelung mit entsprechenden Zuschlägen benötigten.
Nicht länger zuwarten
Dass man gerade in diesen betroffenen Patientengruppen nicht länger zuwarten könne, machte Prof. Andreas Schulte, Heidelberg, den Medienvertretern deutlich: Man müsse dem erhöhten zahnmedizinischen Präventionsbedarf schon deshalb Rechnung tragen, „weil Zähne sonst innerhalb von kurzer Zeit so große Schäden erleiden können, dass die Behandlung aufgrund der eingeschränkten oder fehlenden Kooperationsfähigkeit nur noch in Narkose möglich ist.“
Zähne mit großen kariösen Defekten oder schweren parodontalen Schäden müssten, so Schulte, häufig extrahiert werden. Zwangsläufige Folge sei die Frage, ob es möglich sei, einen Zahnersatz anzufertigen, wobei gerade Menschen mit geistiger Behinderung häufig keinen herausnehmbaren Zahnersatz tolerierten. Festsitzender Zahnersatz könne jedoch nur dann angefertigt werden, „wenn es ausreichend stabile Zähne gibt, an denen dieser befestigt werden kann“, erläuterte der Experte gegenüber den anwesenden Journalisten diese auch für die nichtfachliche Öffentlichkeit nachvollziehbare Argumentation.