Mit neuen Rezepturen
Von „Big Pharma“ sprechen Analysten und Anleger, wenn von der Macht der weltgrößten pharmazeutischen und biotechnischen Unternehmen die Rede ist. Kaum ein Industriezweig verfügt über größeren Einfluss auf die Politik als die pharmazeutische Industrie. Bundesgesundheitsminister wie Ulla Schmidt oder ihr Nachfolger Philipp Rösler wissen ein Lied davon zu singen. Doch was des einen Leid, ist des anderen Freud. Für Anleger war der Kauf von Pharmaaktien in der Vergangenheit immer eine sichere Angelegenheit. Galten sie doch als krisenfest und konjunkturunabhängig. Denn krank werden die Menschen immer.
Doch inzwischen kämpfen die Unternehmen auf verschiedenen Problemfeldern. Weil die Kosten für die Gesundheit inzwischen für Staat, Versicherungen und Patienten kaum noch bezahlbar sind, hält der Staat zunehmend den Daumen darauf. So geschieht es nicht nur in Deutschland, auch in Spanien, England und anderen europäischen Ländern versuchen die Regierungen, die Kosten zu deckeln. Die USA führen eine gesetzliche Krankenversicherung ein, die ebenfalls für Kostendämpfung sorgen wird. Auf diese Gegebenheiten muss sich auch „Big Pharma“ einstellen. Ulrich Huwald, Pharmaanalyst bei der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, sagt: „Die Kostendiskussion macht die Branche anfällig. Sie ist nicht mehr wie früher außen vor.“ Für ihn stellt sich die Frage: „Was wird noch bezahlt?“
Hierzulande versuchen die gesetzlichen Kassen, möglichst auf preiswerte Generika zu setzen und auf Rabattverträge, die sie mit den Herstellern abschließen. Ein weiteres Problem haben die Pharmazeuten selbst zu verantworten. Viele Patente, darunter wichtige Gewinnbringer wie zum Beispiel der Cholesterinsenker Lipitor von Pfizer oder das Nervenmittel Zyprexa von Eli Lilly, laufen aus. Sobald das Medikament freigegeben ist, stehen die Generika-Hersteller in den Startlöchern, um die Produktion zu deutlich reduzierten Kosten zu übernehmen. Das sogenannte Patent-Cliff auszugleichen, wird den Pharmaforschern kaum gelingen.
Harald Schwarz, Fondsmanager bei Medical Health Strategy, meint: „Die Patentabläufe haben bereits 2000 begonnen. In diesem Bereich sind seither Jahresumsätze von circa 100 Milliarden Dollar weggefallen, in den nächsten Jahren geht es noch mal um die gleiche Summe.“ Die Forschung ist zu teuer und ineffizient geworden. Früher ging es darum, ein Medikament für eine weit verbreitete Krankheit zu finden, das dann Jahre lang die Kassen füllt. Minimale Produktverbesserungen sorgten für höhere Preise und das Überleben des Kassenfüllers. Einen solchen Blockbuster zu entwickeln, ist beinahe unmöglich geworden. Denn die gängigen Wirkstoffe sind erforscht. Zudem haben die Aufsichtsbehörden ihre Kontrollen verschärft, damit Skandale wie um den Bayer-Cholesterinsenker Lipobay oder das Schmerzmittel Vioxx von Merck nicht mehr passieren.
Kein echter Pharma-Coup der Industrie
Einen wirklichen Coup hat die Pharmaindustrie in den letzten Jahren nicht mehr gelandet. Die Strategien in der Pharmaindustrie werden sich grundsätzlich ändern müssen. Doch die Konten der Unternehmen sind gut gefüllt und Ideen für die Lösung der Probleme gibt es auch.
Finanziell gut aufgestellte Firmen versuchen, durch Zukäufe Konkurrenten auszuschalten oder das eigene Angebot zu erweitern. So übernahm der US-Riese Pfizer für 68 Milliarden Dollar den Mitbewerber Wyeth. Und Merck legte sich für 41 Milliarden Dollar Schering-Plough zu. Mit diesen Einkäufen können sie die Kosten in Vertrieb und Forschung senken. Doch Innovationen im Forschungsbereich sind damit nicht garantiert. Ein Weg, die Forschung wieder effizienter und erfolgreicher zu gestalten ist der Aufkauf kleinerer Spezialisten. Von Interesse sind vor allem solche Firmen, die bereits ein Medikament möglichst in Phase 2 der Tests haben. Damit kauft man sich das Know-how, ohne selbst Aufwand betreiben zu müssen. Auf Biotechnologie setzt zum Beispiel der Schweizer Konzern Roche. Dank der Übernahme von Genentech für 47 Milliarden Euro beläuft sich der Umsatz in diesem Bereich schon auf 60 Prozent. Die Schweizer verfügen damit über das bedeutendste Know-how auf diesem Gebiet und die weltweite Führung in dieser Sparte. Einer der Vorzüge in diesem Bereich sind die um zwei auf zwölf Jahre verlängerten Vermarktungsrechte. Insgesamt beliefen sich die Übernahmen in der Zeit von 2008 bis Ende 2009 auf mehr als 700 mit einer Gesamtsumme von 321 Milliarden Dollar. Als Übernahmekandidaten gelten immer noch die amerikanischen Firmen Eli Lilly und Bristol-Myers Squibb sowie die britischen Gesellschaften Astra Zeneca und Shire.
Forschung zu Krebsmitteln zukunftsträchtig
Um die Umsatzeinbußen nach dem Ablauf eines Patents zu begrenzen, nehmen die Großen gern ein paar Dollar oder Euro in die Hand und kaufen sich einen Generika-Produzenten, wenn dieser Zweig noch auf der Produktpalette fehlt. So stieg Novartis mit dem Kauf der deutschen Hexal zum weltweit führenden Generika-Hersteller auf. Nachdem der israelische Spezialist Teva für 3,6 Milliarden Euro Ratiopharm ergattert hat, wartet jetzt noch Stada auf einen Käufer. In Frage kommen der isländische Generika-Hersteller Actavis oder der amerikanische Pharma-Generalist Pfizer.
Bei den Medikamenten geht der Trend eindeutig in Richtung lebenserhaltender Produkte. Besonders im Bereich der Krebserkrankungen sehen die Forscher große Chancen. Erfolge versprechen besonders die für jeden Patienten individuell angepassten Arzneien. Ein Beispiel dafür ist das jetzt in den USA vorgestellte und von Dendreon entwickelte Präparat gegen Prostatakrebs: Provenge. Dabei handelt es sich um eine individualisierte Therapie, für die dem Patienten Immunzellen entnommen, gegen den Tumor eingestellt und als dreimalige Impfung wieder ins Blut zurückgegeben werden. Die Entwickler erhoffen sich damit, den Tumor zumindest zum Stillstand zu bringen. Dass ein solches Verfahren teuer ist, versteht sich von selbst. Die Frage wird sein, inwieweit die Versicherungen bereit sein werden, die Kosten in Höhe von 93 000 Dollar zu übernehmen. Die amerikanische Krankenversicherung Medicare wird zahlen, denn sie kommt für alle Infusionen auf. Handelte es sich bei dem Medikament um Tabletten, müsste der Patient sich beteiligen. Schon jetzt herrscht ein Ansturm auf Provenge, so dass Dendreon verlautbaren ließ, dass pro Jahr nur 2 000 Patienten behandelt werden können. Dabei sind bislang noch keine wissenschaftlichen Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden.
Kosten-Nutzen-Diskussion
Doch es wird jetzt schon klar, dass es in der Krebsmedizin zur massenhaften Entwicklung von Spezialpräparaten mit einer oft nur marginalen Verlängerung der Lebenszeit kommen wird. Die Preise für diese Medizin werden explodieren. Nicht nur in Deutschland wird es automatisch zu einer wenig erfreulichen Kosten-Nutzen-Diskussion kommen, bei der es darum geht, wie viel ein um paar Monate verlängertes Leben wert ist. Thomas Hartauer, Vorstand der Fondsgesellschaft Lacuna, meint: „Ich glaube, dass ein solches auf jeden Patienten individuell abgestimmtes Medikament für die Versicherungen interessant ist. Denn es wird nur einmal verabreicht und es benötigt fast keine Nachsorge.“ Den Preis für ein Medikament können Unternehmen so lange bestimmen, so lange es kein preiswerteres Konkurrenzprodukt auf dem Markt gibt. Im Bereich der Krebserkrankungen rechnet auch das Marktforschungsinstitut IMS Health mit steigenden Umsätzen. 2012 sollen es 75 Milliarden Dollar sein. Bis dahin kommen bis zu 30 Präparate auf den Markt, rund 800 befinden sich in der Entwicklung. Dank Genetech hat Roche hierbei die Nase vorn.
Medikamente für seltene Krankheiten
Eine weitere Nische, die in Zukunft stärker besetzt werden dürfte, sind die Orphan Drugs. Damit sind Medikamente für seltene Krankheiten gemeint, die niemals in großen Mengen produziert werden und um die die Forschung sich bislang wenig gekümmert hat. Seit 1983 fördern die USA mit staatlichen Anreizen die Forschung auf diesem Gebiet. Die EU hat 2000 eine entsprechende Regelung erlassen. Seitdem steigen die Zulassungen für Orphan Drugs stetig an. Für die Pharmazeuten lohnt sich der Einsatz, denn die Preise für die Medikamente sind enorm. So kostet zum Beispiel die Behandlung des Gaucher-Syndroms – eine erbliche Störung des Fettstoffwechsels – jährlich knapp 300 000 Dollar. Betroffen ist ein Mensch von 40 000, in Deutschland sind es 2 000. Hartauer glaubt, dass die Kassen diese Präparate weiterhin bezahlen werden: „Die Menschen können häufig wieder ins Arbeitsleben einsteigen. Außerdem fallen die Pflegekosten weg.“
Viel Potenzial steckt allein in der Tatsache, dass die Menschen immer älter werden. So lohnt es sich, Geld in die Erforschung von Alzheimer zu stecken. Wer als erster ein wirksames Mittel dagegen findet, hat einen Schatz gehoben. Auf der Suche sind unter anderen Novartis und Wyeth.
China als Boom-Region
Die größten Umsatzzuwächse erhofft sich die Branche aber auf den Emerging Markets. Auch Analyst Schwarz sieht die Chancen dort: „Die Erfahrung zeigt, dass mit einem wachsenden Bruttosozialprodukt die Ausgaben für die Gesundheit überproportional steigen.“ Schwellenländer wie China und Indien stehen auf den Listen ganz oben. Zumal die Chinesen bereits eine gesetzliche Krankenversicherung eingeführt haben. Ziel ist, in einem Jahr bis zu 80 Prozent der Bevölkerung mit einem Versicherungsschutz zu versehen. Im vergangenen Jahr wurden 1 000 Krankenhäuser gebaut, weitere 1 000 folgen in 2010. Alle werden nach dem neuestem Stand der Technik eingerichtet. „Die Versicherungen dort zahlen alles“, sagt Hartauer. Vor allem für die Generika-Produzenten verspricht diese Entwicklung zunächst große Umsatzzuwächse. Auf diesen Märkten hat sich das französische Unternehmen Sanofi-Aventis schon gut etabliert. Immerhin erwirtschaftet es bereits 25 Prozent seiner Umsätze in den Schwellenländern.
Anleger, die von den vielen positiven Entwicklungen im Health-Care-Bereich profitieren wollen, können sich auf einzelne Aktien konzentrieren. Dabei sollten sie sich allerdings auf Blue-Chips wie Bayer, Roche, Novartis, Sanofi-Aventis, Johnson & Johnson oder ähnliche beschränken. Wer nicht die Risiken einzelner Aktien in Kauf nehmen möchte, investiert in Fonds, die in die großen Unternehmen investieren. Dazu gehören unter anderen der ESOA Stock Pharma oder der KBC Equity Fund Pharma. Zu den Spezialfonds in diesem Bereich gehört der seit 1999 bestehende Lacuna-Biotech. Er investiert in mittelgroße Biotech-Unternehmen. Generell sollten sich auch Zahnärzte, die sich im Health-Care-Bereich gut auskennen, mit ihrer Investition auf eine Beimischung mit Pharmawerten zu ihrem ansonsten breit gestreuten Depot beschränken.
Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de