Rechtliche Aspekte des oralen Piercings
Nicht immer heilen Piercings problemlos ein und werden optimal gepflegt, wie in den Abbildungen 2a und 2b dargestellt. Vor allem orale Piercings verursachen zum Teil nicht nur lokale, sondern auch systemische Komplikationen, die in Einzelfällen sogar lebensbedrohlich sein können [Friedel et al., 2003]. Die häufigste Ursache hierfür sind Verstöße gegen die Hygienevorschriften beim Setzten des Piercings [Peters, 2000; Arbeitskreis „Krankenhaus- & Praxishygiene“ der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, 2000].
Aber auch Komplikationen während des Tragens, nach der Einheilungsphase, sind häufig. Sie entstehen zum einen durch Materialunverträglichkeiten und/oder mangelnde Mundhygiene, zum anderen durch die Form und die Lokalisation des Piercings. Anzuführen sind hier Erkrankungen des Zahnhalteapparats, wie Rezessionen der Gingiva und Zahnlockerungen [Özkavak et al., 2000; O’Dwyer et al., 2002; Zadik et al., 2007] sowie Schäden an der Zahnhartsubstanz (Abrasionen, Schmelzsprünge) und an den Restaurationen [Brennan, 2006].
In Anbetracht des erheblichen gesundheitlichen Risikos, das mit dem Stechen und dem Tragen eines Piercings einhergeht, ist es umso erstaunlicher, dass die juristische Situation zum Thema Piercing in Deutschland weitestgehend unklar ist [Stelzl, 2008].
Im Folgenden werden fünf unterschiedliche rechtliche Aspekte des Piercings besonders betrachtet:
Wer darf piercen?
Das Piercen befindet sich aus gesetzlicher Sicht in einer Grauzone. Wer Piercings vornehmen darf und wer nicht, ist nicht klar definiert. Das Verwaltungsgericht Gießen kam mit einem Urteil vom 9. Februar 1999 (AZ: 8 G 2161/98) zu dem Schluss, dass der Piercingvorgang – gleichgültig, ob dabei lokale Anästhesie eingesetzt wird oder nicht – ausschließlich von Personen mit entsprechendem Fachwissen durchgeführt werden darf. So sei mindestens eine Ausbildung zum Heilpraktiker nötig, um Piercings setzen zu dürfen. Dieses Urteil wurde in nächster Instanz vom Verwaltungsgerichtshof Hessen mit Urteil vom 2. Februar 2000 (AZ: 8 TG 713/99) insofern bestätigt, als zumindest für das Piercen mit lokaler Anästhesie durch Injektion eines Betäubungsmittels Personal mit entsprechender Kompetenz (Heilpraktiker, Arzt) vorausgesetzt wird.
Der Piercingvorgang selbst kann rechtlich gesehen als eine strafbare Körperverletzung bewertet werden. Deshalb muss der Klient vor dem Piercen eine schriftliche Einverständniserklärung abgeben, die den Piercer von rechtlichen Folgen diesbezüglich befreit. Diese Erklärung ist jedoch unwirksam, sofern vor dem Eingriff nicht ausführlich über die Risiken des Piercings aufgeklärt wurde. Dabei reicht der Hinweis auf mögliche gesundheitliche Schäden nicht aus. Es werden hier nicht dieselben Maßstäbe angelegt wie an die Aufklärungspflicht eines Arztes. Aber auch ein Piercing-Studio muss über die bekannten gesundheitlichen Risiken eines Piercings, wie zum Beispiel Infektionen, umfassend informieren. Der Piercer haftet bei mangelnder Aufklärung dementsprechend für Folgeschäden (Landgericht Koblenz, 24. Januar 2006, AZ: 10 O 176/04) [Jura-Forum, 2009].
Aus dem Gesagten lässt sich jedoch nicht folgerichtig ableiten, dass ein Zahnarzt jede Art von Mundpiercing durchführen darf. Die Einwilligungsklausel wäre jedenfalls dann nicht wirksam, wenn durch das Anbringen des Schmucks der Zahnhalteapparat und weiteres Gewebe oder der Zahn selbst beschädigt würden – somit läge nämlich ungeachtet der durchgeführten Aufklärung ein Fall von Körperverletzung vor. Greift die Befestigung dagegen weder Zahn noch Schmelz an, handelt es sich um eine kosmetische Leistung [Müller, 2001].
Wer als Zahnarzt im Mundraum pierct, begibt sich aber auch in manch anderer Hinsicht auf juristisches Glatteis. Wie verhält es sich mit Haftungsansprüchen des Patienten bei schweren Komplikationen mit Folgen? Ist der Schaden nicht direkt im Zusammenhang mit einer Zahnbehandlung entstanden, könnte sich die Arzthaftpflichtversicherung für nicht zuständig erklären [Müller, 2001]. Und ein weiterer Punkt zu diesem Thema: Für eine zahnärztliche Arbeit – etwa eine Krone – lässt sich nur schwer Gewährleistung übernehmen, besonders vonseiten des Labors, wenn es ein Piercing war, das die Krone geschädigt hat.
Wer darf gepierct werden?
Gepierct werden darf in Deutschland grundsätzlich jeder, unabhängig von seinem Alter. Bei Minderjährigen unter 18 Jahren ist eine schriftliche Einverständniserklärung eines Erziehungsberechtigten notwendig. Der Verband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland fordert ein generelles Verbot von Piercings und Tätowierungen für Minderjährige, da die Infektionsgefahr groß und Dauerschäden nicht selten seien. Im April 2008 wurde eine Gesetzesinitiative gestartet, die dieses generelle Verbot von Körpermodifikationen bei Minderjährigen fordert. Die Umsetzung ist bisher noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Unabhängig von den gesetzlichen Verpflichtungen führen viele Piercing-Studios kein Piercing an Jugendlichen unter 14 Jahren durch.
Auch in Bezug auf den eigenen Arbeitsplatz sind Piercings nicht immer ohne Folgen. In „konservativen“ Branchen, wie dem Bankgewerbe kann ein Piercing als geschäftsschädigend angesehen werden. Der Arbeitgeber darf dann sichtbare Piercings untersagen. Auch darf die Arbeitssicherheit nicht gefährdet werden. Demzufolge entschied das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein 1995, dass Personal in Medizinbetrieben wegen der Gefahr einer infektiösen Übertragung keinen Piercing-Schmuck tragen darf (AZ: 4 Sa 467/95).
Piercings bei Blut- und Knochenspenden
Da durch Piercings übertragene Infektionskrankheiten im Zusammenhang mit einer Blutspende weitergegeben werden können, empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), nach dem Setzten eines Piercings, sofern dies nicht nachweislich unter sterilen Bedingungen durchgeführt wurde, zwölf Monate bis zur nächsten Spende zu warten, um Infektionen sicher auszuschließen. Im Einzelfall soll berücksichtigt werden, ob es bei dem frisch gestochenen Piercing zu unerwünschten Nebenwirkungen, wie Entzündungen, gekommen ist [Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2009].
Ähnliches gilt entsprechend einer Richtlinie der Bundesärztekammer [Bundesärztekammer, 2001] für die Auswahl von Lebendspendern für allogene Knochenexplantate: Hier beträgt die Frist zwischen dem Durchbohren der Haut zur Befestigung von Schmuck und der Knochenspende sechs Monate. Diese Frist muss nur eingehalten werden, wenn nicht glaubhaft nachgewiesen werden kann, dass beim Stechen von Piercings aseptische Bedingungen eingehalten wurden.
Für Piercingschmuck geeignete Materialien
Das Nickel ist aufgrund seines hohen Allergiepotentials das am meisten diskutierte Material für Piercingschmuck. Laut der Nickelrichtlinie (94/27) der EU vom 30. Juni 1994 durfte für den Ersteinsatz direkt nach dem Piercen kein nickelhaltiger Schmuck verwendet werden. In der Richtlinie blieb zunächst unberücksichtigt, dass nicht der Nickelgehalt, sondern die Menge des abgegebenen Nickels ausschlaggebend für allergische Reaktionen ist. Der bis dahin meistens verwendete Edelstahl 316L war demzufolge nicht mehr zugelassen, da dessen Nickelgehalt mit zehn bis 14 Prozent die in der Richtlinie vorgegebenen Werte deutlich überstieg. Als Ersatz wurde anschließend vor allem auf Titan ausgewichen. Da die Oberfläche von Titan jedoch auch nach intensiver Politur Unebenheiten aufweist, die die Ansiedlung von Mikroben und somit Entzündungen begünstigen, galt Stahl trotz der Richtlinie weiterhin für den Ersteinsatz als besser geeignetes Material. Am 27. September 2004 (2004/96/EG) wurde die Richtlinie dahingehend geändert, dass sich die Obergrenzen für Nickel nun an der Nickelfreisetzung orientieren. Piercingschmuck, der für den Ersteinsatz bestimmt ist, darf nicht mehr als 0,2 Mikrogramm Nickel pro Quadratzentimeter und Woche abgeben. Das Testverfahren ist in der Norm DIN EN 1811 festgelegt. Somit ist Edelstahl (316L) wieder als Erststecker zugelassen. Außerdem sind für den Ersteinsatz Titan, Niobium, Platin und Polytetrafluorethylen (PTFE) grundsätzlich geeignet.
Weniger geeignet als Piercingmaterialien sind Palladium sowie Chirurgiestahl aufgrund ihres hohen allergenen Potentials. Auch Silber und Gold sind zumindest für den Ersteinsatz nicht empfehlenswert, da sie schnell anlaufen können und somit keine optimale Oberfläche für die Wundheilung im Bereich des Piercings aufweisen.
Kosten durch Folgeschäden
Wer sich freiwillig einem körperlichen Eingriff unterzieht, der eine Krankheit auslöst, beispielsweise eine Wundinfektion durch Piercing, hat diese selbst verschuldet. Seit 2007 das Wettbewerbsstärkungsgesetz in Kraft getreten ist, gilt, dass Versicherte bei selbst verschuldeter Krankheit in angemessener Höhe an den Folgekosten beteiligt werden müssen. Wurde unrechtmäßig Krankengeld gezahlt, so kann dieses ganz oder teilweise zurückgefordert werden. Auch wenn der Patient die Arztkosten selbst trägt, wird seine Krankenkasse darüber informiert. Denn seit dem 1. Juli 2008 sind Ärzte und Krankenhäuser nach § 294a des Sozialgesetzbuches V verpflichtet, den Kassen die Daten von Piercing-Patienten mitzuteilen. Daher ist es ratsam, die eigene Krankenkasse vor einem geplanten Piercing zu fragen, ob und in welcher Höhe von ihr die Kosten einer möglicherweise notwendigen medizinischen Nachbehandlung getragen werden. In der Regel übernimmt die Krankenkasse nur einen Teil der Behandlungskosten, wenn es zu Komplikationen oder Spätfolgen im Zusammenhang mit einem Piercing kommt.
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die rechtliche Situation rund um das Piercen bisher noch in vielen Punkten – abgesehen von einzelnen Urteilen – nicht oder nur unzureichend geregelt ist. Positiv zu werten sind erste Versuche vonseiten der Krankenkassen und von verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften und -verbänden, Komplikationen in Folge von Piercings zu vermeiden beziehungsweise zu verringern und diejenigen, die ein Piercing wünschen oder bereits tragen, über mögliche gesundheitliche und finanzielle Risiken aufzuklären. Darüber hinaus sollten zukünftig alle Patienten mit einem oralen Piercing oder mit dem Wunsch nach einem oralen Piercing durch den Zahnarzt und sein Praxisteam eine lückenlose Aufklärung über alle Risiken erhalten. Zu bedenken sind hierbei der zusätzliche Zeitaufwand für den Zahnarzt und die mögliche Belastung eines guten Verhältnisses zwischen Zahnarzt und Patient.
Dr. Catharina ZantnerCharité - Universitätsmedizin BerlinCharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeCampus Benjamin FranklinPoliklinik für Zahnerhaltungskunde und ParodontologieAßmannshauser Str. 4-614197 Berlincatharina.zantner@charite.de