Ärgern mit Gewinn
Grundsätzlich gibt es zwei „Ärgerbereiche“: Situationen, an denen man etwas ändern kann, und Situationen, die man hinnehmen muss. So kann man etwa kaum beeinflussen, wann die Patienten in der Praxis anrufen. Immer wieder ergibt sich Stress durch eine hohe Anzahl von Anrufen. Ist man sich darüber klar, dass dies nicht beeinflussbar ist, kann die Gelassenheit diesem Umstand gegenüber zunehmen.
Eine andere Frage zielt auf allen Situationen gemeinsam zugrunde liegende Gefühle. Was ist vom Gegenüber ausgelöst worden? Je nachdem, ob man sich missachtet fühlt, respektlos oder ungerecht behandelt, ob man aus eigenem Verschulden zu spät kommt oder über die viele Arbeit seufzt, man nicht delegieren möchte oder alles aufgeschoben hatte: Hier kann man selbst aktiv werden und so an sich arbeiten, dass man sich nicht mehr so leicht ärgert.
Ein Beispiel: Viele Menschen pflegen ihre Zähne gar nicht oder schlecht. Man sieht das als Zahnarzt und macht darauf aufmerksam, engagiert sich und erklärt ausführlich, wie es geht und warum so und nicht anders gepflegt werden muss. Beim nächsten Besuch des Patienten sieht man, dass alle Ratschläge in den Wind gesprochen waren – alles wie gehabt. Kommt jetzt der Ärger hoch, kann man sich fragen: Wieso? Was steckt dahinter? Fühlt man sich zum Beispiel als Behandler nicht ernst genommen, liegt der Aufmerksamkeitspunkt nur beim Selbstwertgefühl. Wie kann man dieses unabhängig von den Reaktionen anderer stärken?
Der Sinn des Ärgerns
„Wer Ärger zulässt, glaubt daran, dass man das Leben noch verändern kann“, meint die Schweizer Psychologin Verena Kast. Inwieweit ist dieser Glauben realistisch? In manchen Dingen hängt etwas – wie im obigen Beispiel – nur von uns selbst ab, ist im Prinzip also machbar. Das Wetter hingegen ist beispielsweise unbeeinflussbar. Ein Zwischenbereich dieser beiden Pole besteht dort, wo viele Menschen nötig sind, die gleich handeln, damit etwas geschieht. Wenn Zahnärzte sich beispielsweise darüber ärgern, dass Versicherungen sich weigern, Kosten zu übernehmen, können sie sich machtlos fühlen, sich fragen „Was kann ich alleine schon ausrichten?“ und eine Unmenge an Energie verlieren. Richtet ein Betroffener aber ein Internet-Forum oder eine Ortsgruppe zum Austauschen ein, kann man gute Tipps bekommen und sich gegebenenfalls zusammenschließen, um als Gruppe eine Möglichkeit gegen das Ärgernis zu finden.
Ursachenbeseitigung
Manche Menschen können sich dermaßen ärgern, dass sie vergessen, zu handeln. So aber wird die Ursache nicht beseitigt. Ein Beispiel: Man ärgert sich fast jedes Mal über einen bestimmten Patienten, weil er immer etwas zum Nörgeln findet. Handeln hieße, ihn gekonnt darauf anzusprechen. Das ist nicht ganz einfach, denn durch das Ärgergefühl trifft man womöglich den falschen Ton. Mit dem unangenehmen Gefühl aber lenkt man sich ab, so dass man die Handlungsaufforderung an sich selbst vergisst. Lästert man eventuell mit den Kollegen oder grollt vor sich hin, ist irgendwann der Zeitpunkt verpasst, mit dem Patienten ins Gespräch zu kommen.
„Es ist unmöglich, jemandem ein Ärgernis zu geben, wenn er es nicht nehmen will.“ Schlegels Weisheit ist ein guter Tipp für unser Alltagsleben. Man darf sich nicht von fremdem Ärger infizieren lassen. Stattdessen sollte man rechtzeitig für die eigene Immunisierung sorgen, indem man lernt, zwischen eigenem und fremdem Ärger zu unterscheiden und sich entsprechend abzugrenzen. Selbst-Reflexion ist eine Möglichkeit zur Ursachenfindung, körperliche Entspannungstechniken sind eine weitere. Änderungen von Gewohnheiten brauchen vor allem Geduld. Niemand verlangt, dass beim ersten Mal alles klappen soll. Wichtig ist anzufangen.
„Wenn uns jemand ärgert, sollten wir zwischen dem Menschen an sich und seiner aktuellen Haltung unterscheiden“, so der Dalai Lama. Die meisten Leute haben irgendeine Angewohnheit, die uns auf die Palme bringen kann. Nun kann man darüber grollen oder das Geschehen mit Distanz betrachten. Dabei lässt sich trefflich überlegen, was man „dieses Mal“ anders machen will; man kann immer mal wieder anders reagieren, um schließlich damit umgehen zu können.
Ein Beispiel: Eine Kollegin ist es gewohnt, dass man ihr hinterherräumt und -putzt. Jetzt kann man immer wieder aktiv werden, alles ordnen und sich anschließend bei den anderen beschweren. Oder alles so lassen, wie es ist, und die Betreffende darauf ansprechen. Vielleicht hatte sie es auch nur vergessen oder kam gerade nicht dazu.
Man liest immer wieder, dass Ärger gesundheitsschädlich ist. Der amerikanische Psychologe Nathan Williams beleuchtet eine ganz andere Seite des Ärgers. Durch Studien und Tests fand er heraus, dass man vom Ärgern lernen kann, wie sich Ängste abbauen lassen. Ergebnis seiner Forschung ist nämlich vor allem der Unterschied zwischen Ärger und Ängsten: Ängste entstehen vor allem durch innere Bilder, während sich Ärger in Worten ausdrückt. Dadurch fällt es Menschen, die sich häufiger ärgern, leichter, auch ihre Ängste in Worte zu fassen.
Das wiederum hilft, sie abzubauen. Das heißt nun nicht, dass man sich mehr ärgern soll. Vielmehr könnte man die Erkenntnis von Williams dafür nutzen, sich darin zu trainieren, sich seine Sorgen bewusst zu machen und sie in Worte zu fassen.
Ute JürgensDiplompädagogin/Kommunikationstrainerininfo@kommed-coaching.de
Literatur:Birkenbihl, Vera F.: Jeden Tag weniger ärgern!Das Anti-Ärger-Buch. 59 konkrete Tipps,Techniken, Strategien. MVG Verlag
Thich Nhat Than: Ärger – Befreiung aus demTeufelskreis destruktiver Emotionen.Goldmann Arkana Verlag