E-Health in Europa

Lücken zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Heftarchiv Gesellschaft
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Die Gesundheitssysteme der 27 EU-Staaten sind in wachsendem Maße auf den Einsatz von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) angewiesen.Wesentliche Gründe hierfür sind die zunehmende Überalterung der EU-Bevölkerung, die steigende Zahl chronisch kranker Patienten, der Mangel an Fachpersonal und die Mittelknappheit. Grenzüberschreitende Ansätze sind bislang jedoch selten. Die Europäische Kommission will durch eine Förderung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der IKT Patienten und Gesundheitsdienstleistern den Zugang zu Innovationen im Gesundheitswesen erleichtern.

Die EU-Kommission investiert bereits seit über 20 Jahren in die Forschung elektronischer Gesundheitsdienste (E-Health). Seit 2004 entwickelt die Brüsseler Behörde zudem politische Initiativen zur Förderung einer breit angelegten, europaweiten Einführung von E-Health-Technologien.

Derzeit sieht sich die Behörde vorrangig mit der Herausforderung konfrontiert, die Interoperabilität der elektronischen Gesundheitsdienste zwischen den Mitgliedstaaten der EU zu gewährleisten, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Mobilität von Arbeitnehmern, Rentnern, Studenten und Touristen innerhalb des Binnenmarkts.

Die zuständige Abteilung der EU-Kommission, die Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien (GD INFSO), hat bereits weitreichende Pläne. Sie strebt beispielsweise an, dass die Mitgliedstaaten sich auf einen gemeinsamen Mindestsatz von Patientendaten einigen, um bis 2012 die Interoperabilität beim Zugang und grenzüberschreitenden elektronischen Austausch von Patientenakten sicherzustellen.

Bis 2015 will sie außerdem die EUweite Normung sowie die Interoperabilität und Zertifizierung von Systemen für elektronische Gesundheitsdienste vorantreiben. Auch sollen alle europäischen Bürger bis zu diesem Zeitpunkt einen sicheren Online-Zugang zu ihren Gesundheitsdaten erhalten. Bis 2020 schließlich soll eine breite Einführung telemedizinischer Dienstleistungen in der EU erfolgen.

Wesentliche Grundlage für die Maßnahmen wird ein neues Strategiepapier – der sogenannte E-Health-Aktionsplan – sein, das noch bis Ende dieses Jahres vorliegen soll. In der unlängst verabschiedeten Richtlinie zu den Rechten von Patienten bei Auslandsbehandlungen findet der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit im eHealth-Bereich ebenfalls Erwähnung. Unter anderem wird die freiwillige Bildung eines E-Health-Gremiums auf der Ebene der Gesundheitsund Sozialminister angeregt.

Eine hochrangige Beratergruppe, die sich aus Angehörigen der Gesundheitsberufe, Vertretern von Patientenverbänden, der medizinischen, der pharmazeutischen und der IKT-Industrie sowie Juristen und politischen Entscheidungsträgern zusammensetzt, soll die EU-Kommission zudem beraten, inwieweit der Gesundheitssektor von einem gezielten Einsatz elektronischer Gesundheitsdienste profitieren kann.

Neelie Kroes, die für digitale Themen zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, meint hierzu: „Von der E-Health-Taskforce erwarte ich mir eine kreative Auseinandersetzung mit den Chancen und Konsequenzen, die sich in den kommenden Jahren aus dem Einsatz der Informatik in der Gesundheitsversorgung und der Organisation des Gesundheitswesens für uns ergeben.”

Auch der für Gesundheit und Verbraucherpolitik zuständige EU-Kommissar John Dalli schwört auf die Digitalisierung der Medizin: „Elektronische Instrumente für das Gesundheitswesen können nach meiner Überzeugung eine bessere, effizientere und nachhaltigere medizinische Versorgung für mehr Menschen ermöglichen. Innovative Instrumente für die systematische Behandlung chronischer Krankheiten und die Nutzung der Telemedizin zur Abfederung des Personalmangels im Gesundheitswesen sind Beispiele für den enormen Zusatznutzen der IKT auf diesem Gebiet.“ So könnten beispielsweise Radiologen aus Spanien den in Schweden vorherrschenden Mangel an Ärzten dieser Fachrichtung durch Telekonsultationen ausgleichen, ohne dass sie dafür nach Schweden gehen müssten. Für Dalli ist dies ein Stück gelebtes Europa.

Wirtschaftspotenzial

Bei einem Treffen von europäischen E-Health-Experten Mitte Mai in Budapest verwiesen Vertreter der Industrie zudem auf das ökonomische Potenzial der eHealth-Technologien. „Hier bildet sich ein vollständig neuer Markt mit neuen Geschäften und neuen Arbeitsstellen heraus, auf dem Europa wahrhaft weltweit führend sein kann“, so Stephen Lieber, Vorsitzender der „Healthcare Information and Management Systems Society“. Der europäische E-Health-Markt wird derzeit auf etwa 15 Milliarden Euro geschätzt. Die jährliche Wachstumsrate beträgt 2,9 Prozent.

Beispiele wie das dänische E-Health-Netzwerk zeigten ferner, so Kroes, dass IKT zu enormen Kosteneinsparungen führen könnten. Seit 2008 habe das dänische Gesundheitssystem mithilfe eines Datennetzwerks, an dem Patienten, Allgemeinärzte und Sozialarbeiter teilnehmen, 1,4 Milliarden Euro einsparen können.

Eine aktuelle Studie für Deutschland, die Niederlande und Großbritannien belege überdies den Nutzen von Home-Telemonitoring-Systemen zur Beobachtung von Patienten in ihrem häuslichen Umfeld.

Durch die Anwendung der Technik sei die Überlebensrate der Patienten um 15 Prozent gestiegen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen sei zugleich um 26 Prozent zurückgegangen, betont Kroes.

Ferndiagnose

Solche Beispiele machen der EU-Kommission Mut. Zu den IKT, von denen sie sich die größten Fortschritte bei der medizinischen Versorgung verspricht, zählen vor allem Systeme zur Ferndiagnose oder zur telemedizinischen Überwachung, elektronische Patientenakten und Anwendungen des „Ambient Assisted Living“, die kranken und älteren Menschen zu mehr Autonomie und Unabhängigkeit verhelfen sollen.

Noch allerdings schöpft die EU die Möglichkeiten der IKT in der medizinischen Versorgung nicht aus. Einer kürzlich von der EU-Kommission durchgeführten Erhebung zufolge gewähren beispielsweise nur vier Prozent aller Krankenhäuser in der EU den Patienten einen Online-Zugang zu ihren medizinischen Daten.

Auch kommt die grenzüberschreitende Nutzung von E-Health-Technologien bislang nicht so recht voran. Das liegt vor allem daran, dass sich einige EU-Staaten mit dem Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip einer Harmonisierung in diesem Bereich kategorisch widersetzen.

Datenschutz

Eine wichtige Rolle spielen dabei Datenschutzerwägungen. Auch die Bundeszahnärztekammer warnt davor, dass ein steigender Transfer von Gesundheitsdaten bei einer Zunahme grenzüberschreitender Behandlungen die Gefahr des Datenmissbrauchs in sich birgt. „Patientendaten könnten in die Hände von unbefugten Dritten wie etwa Versicherungsgesellschaften gelangen“, so die BZÄK in einem Positionspapier.

In den EU-Mitgliedstaaten bestehe zudem ein sehr unterschiedliches Bewusstsein für den Umgang mit den Daten. „Es muss daher sichergestellt sein, dass auch auf europäischer Ebene Gesundheitsdaten nur mit Zustimmung des Patienten weitergegeben werden dürfen. Zugang zu den Daten darf nur autorisiertes medizinisches Personal haben. Bei Verletzung dieser Grundsätze sollten in allen EU-Mitgliedstaaten abschreckende strafrechtliche Sanktionen drohen“, fordert die BZÄK.

Petra SpielbergAltmünsterstr. 165207 Wiesbaden

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