Lebenslanges Laster
Deutschland liegt beim Konsum von Alkohol ganz vorn. Zehn Liter reiner Alkohol pro Jahr pro Person lautet die Bilanz für das Jahr 2009. „1,3 Millionen Menschen in Deutschland gelten als alkoholabhähig“, erklärte die Drogenbeauftrage der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, bei der Vorstellung des Drogenberichts 2011 in Berlin. Nach repräsentativen Studien würden trotz aufwendiger Kampagnen noch 16 Millionen Menschen bundesweit rauchen. 1,4 Millionen Menschen seien von Medikamenten abhängig, 600 000 Personen gelten offiziell als spielsüchtig und 560 000 Deutsche werden zur Gruppe der abhängigen Internetnutzer gezählt (wir berichten ab Seite 106).
Die Maßnahmen der christlich-liberalen Regierung verteilen sich auf drei Bereiche: Die Suchtprävention, die Suchttherapie und die Bekämpfung der Kriminalität. Eine neu ausgearbeitete Strategie werde noch im Sommer verabschiedet, erklärte Dyckmans.
In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt auf der Prävention des Alkoholkonsums bei Jugendlichen: Obwohl diese Generation laut der Dogenbauftragten in puncto Alkoholkonsum den niedrigsten Stand seit 1970 erreicht habe, gebe es eine Risikogruppe. 26 400 Kinder und Jugendliche wurden 2009 mit einer Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert. Viele von Ihnen hatten vorher auf einer „Flatrateparty“ beziehungsweise einer „Allyou-can-drink-Party“ gefeiert. Also auf einer Veranstaltung mit unbegrenztem Alkoholausschank gegen ein Eintrittsgeld. Das „Bingedrinking“ ist ein weiterer angelsächsischer Begriff, der in diesem Zusammenhang häufig auftaucht. Dyckmans: „Das Wort steht für Rauschtrinken, was mit einem Konsum von fünf alkoholischen Getränken bei einer Gelegenheit definiert wird.“
Verschiedene politische Maßnahmen zielen darauf ab, die Jugendlichen zu schützen: eine konsequente Ausweiskontrolle, Verbotsschilder, die Altersbeschränkung sowie geschultes Personal.
Doch immer wieder zeigen Testkäufe, dass es in der Praxis noch Schlupflöcher gibt. Zum einem halten sich nicht alle Verkäufer an das Verkaufsverbot und zum anderen sind es eben oft auch ältere (volljährige) Freunde oder Bekannte, die den Alkohol ,besorgenM. ,,Ich erwarte vom Einzelhandel und den Tankstellen, dass die Vereinbarungen eingehalten werden", so Dyckmans.
Augenmerk richtet sich verstürkf auf Ältere
Ein neuer Schwerpunkt innerhalb der drogenpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ist ,,Sucht im Alter". Fest steht: Missbrauch und Abhängigkeit von Suchtstoffen betreffen auch eine große Anzahl älterer Menschen. Jedoch entzieht sich dieses Phänomen weitgehend der öffentlichen Wahrnehmung und bleibt vergleichsweise unsichtbar. Denn hier spielt sich der Konsum häufig hinter verschlossenen Türen ab und wird von den Betroffenen nicht reflektiert und von deren nahen Bezugspersonen, aber auch von Ärzten und Pflegekräften nicht erkannt, geleugnet oder bagatellisiert.
Statistisch betrachtet liegt die offizielle Zahl der über 60-Jährigen, die die Kriterien für Alkoholabhängigkeit erfüllen, in Deutschland laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) bei etwa 400000.
Und weitere 1,7 bis 2,8 Millionen ältere Frauen und Männer weisen einen problematischen Gebrauch von psychoaktiven Medikamenten oder Schmerzmitteln auf. Die einhergehenden Folgeerkrankungen stellen ein ernst zu nehmendes individuelles, aber auch ein gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Problem dar. Der bereits eingetretene demografische Wandel werde die Situation verschärfen, warnen Vertreter aus der Suchttherapie.
Auf die Frage nach den Auslösern gibt der Drogenbericht eine differenzierte Antwort: Ein einschneidendes persönliches Erlebnis wie der Einstieg in den Ruhestand könne ebenso ursächlich sein, wie der Verlust des (Ehe-)Partners. Häufig bestanden die Gewohnheiten jedoch schon vor dieser Lebensphase, so der Tenor des Berichts. Die Bundesregierung finanziert in diesem Zusammenhang noch bis zum 31.1 2.201 2 acht Modell-Projekte mit Schnittstellen-Charakter (siehe Kasten). Allen Projekten gemein ist eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Alten- und Suchthilfe.
Hans-Wilhelm Nielsen, ist Gesamtkoordinator vom Suchthilfezentrum Schleswig. Dort wird das Psychosoziale Netzwerk Sucht im Alter (PNSA) gefördert. ,,Es ist mir ein Rätsel, wie die Finanzierung nach dem 31. Dezember laufen soll", sagte Nielsen im Gespräch mit den zm. Einen Weg sieht er dennoch: Die Maßnahmen müßten per Gesetz in die Leitlinien des entsprechenden Qualitätsmanagements aufgenommen werden.