Interviewstudie in Kooperation mit der Hamburger Kammer

Kein Anreiz zum Risiko

Für die Belange der Zahnärztinnen trägt die Arbeit der Zahnärztekammer Hamburg reichlich Früchte: Nach einer Kammer-Umfrage zur beruflichen Situation der Zahnärztinnen auf Initiative der Vorstandreferentin für Zahnärztinnen, Dr. Anja Seltmann (zm 19/2010) folgte eine persönliche Interviewstudie unter 13 Zahnärztinnen. Marina Buchmann führte die Interviews im Rahmen Ihrer Arbeit zur Erlangung des Grades Master of Science in Public Health.

Heutzutage findet eine umfassende Feminisierung der Zahnmedizin statt. Im Jahr 2008 lag der Frauenanteil an zahnärztlichen Approbationen bei 60 Prozent und wird laut Prognose des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) auf 70 Prozent im Jahr 2030 ansteigen [Brecht etal.2009].

Der Frauenanteil bei den niedergelassenen Zahnärzten im gesamten Bundesgebiet lag im Jahr 2008 bei 36,5 Prozent. Bei den in Praxen tätigen Assistenten, Vertretern oder angestellten Zahnärzten liegt der Frauenanteil im selben Jahr sogar bei 61,9 Prozent [Bundeszahnärztekammer (BZÄK), 2009]. Studierendenzahlen im Fach Zahnmedizin bestätigen ebenfalls einen stetigen Zuwachs an weiblichen Studierenden. Aktuell beträgt die Quote rund 60 Prozent [Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE), 2010].

Der wissenschaftliche Leiter des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), Dr. Wolfgang Micheelis, geht davon aus, dass sich das Berufsbild des Zahnarztes einhergehend mit der steigenden Anzahl Frauen ebenfalls „irgendwie verändert [Micheelis, 2005 12].

In welcher Form sich diese Veränderung auswirkt und welche Folgen das hat, ist noch weitestgehend unklar. Die vorliegende Untersuchung leistet einen Beitrag, Bereiche zu identifizieren, die von einer Feminisierung des zahnärztlichen Berufsstandes besonders betroffen sind.

Fragestellung

Forschungsleitende Frage war, wie der Zahnarztberuf aus Zahnärztinnensicht aussieht. Wie nehmen Zahnärztinnen ihren Beruf wahr? Welche Wünsche haben sie an den Beruf? Wie vereinbaren sie Beruf und Familie? Welche Probleme sehen sie als weibliche Vertreter, und inwiefern fühlen sie sich von der (Gesundheits-)Politik unterstützt? Wo sehen sie Unterstützungsbedarf? Da die Studie in Kooperation mit der Zahnärztekammer Hamburg entstand, ist ebenfalls interessant, welche Anforderungen sich aus der Feminisierung der Zahnmedizin für die Zahnärztekammern ergeben.

Als Zielgruppe wurden Zahnärztinnen aus Hamburg definiert. Angestrebt wurde eine Variation in Alter, Dauer und Art der Berufstätigkeit sowie der Familienkonstellation. Wegen ihres offenen Charakters fiel die Wahl auf eine qualitative Herangehensweise mithilfe leitfadengestützter Interviews. Die Auswertung erfolgte nach den Prinzipien der Grounded Theory.

Um Familie und Beruf zu vereinbaren, zeichnen sich zwei „optimale Berufsbiografien“ einer Zahnärztin ab:

• Die angehende Zahnärztin beginnt ihr Studium direkt nach dem Abitur, so dass im Alter von Mitte bis Ende Zwanzig ihre Assistenzzeit beendet ist und sie eine eigene Praxis aufbauen kann. Hierbei bestehen theoretisch zwei Alternativen:

a) Gemeinschaftspraxis:Die Zahnärztin kann bei Bedarf direkt bei der Gründung der Praxis in Teilzeit arbeiten oder diese im späteren Verlauf einführen. Da die anderen Behandler in der Praxis die Vertretung übernehmen und so die Öffnungszeiten garantieren können, ist eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit möglich.

b) Einzelpraxis:Nach der Gründung einer Einzelpraxis kann die Zahnärztin über einen längeren Zeitraum einen festen Patientenstamm aufbauen. Nach fünf bis acht Jahren Laufzeit besteht die Möglichkeit, eine Vertretung in die Praxis zu holen, um sich zum Beispiel familiären Schwerpunkten zu widmen. Nach einer Schwangerschaft bietet sich dann die Anstellung eines zahnärztlichen Kollegen an, um mit reduzierten Arbeitsstunden tätig zu sein.

Die letztgenannte Möglichkeit wird aufgrund des Risikos und der Verantwortung für eine Einzelpraxis nicht real in Betracht gezogen. Es ist eher als theoretisches Konstrukt zu sehen, das zwar eine Möglichkeit darstellt, aber nicht zielbewusst verfolgt wird. Häufig führen andere Umstände zu diesem Modell, wie zum Beispiel eine Übernahme der Praxis durch andere Familienmitglieder.

• Das Studium wird – möglicherweise aufgrund einer Ausbildung oder anderweitiger Berufsorientierung – erst später aufgenommen, sodass die Assistenzzeit erst im Alter von Anfang bis Mitte Dreißig endet. Hier bietet es sich an, eine Familie während der Assistenzzeit zu gründen und im Anschluss die Möglichkeit einer Anstellung zu nutzen. So kann von vornherein in Teilzeit gearbeitet werden. Ob sie zu einem späteren Zeitpunkt in eine Gemeinschaftspraxis einsteigt oder eine eigene Praxis gründet, wird, so der Tenor der Befragten, zu gegebener Zeit entschieden.

Grundsätzlich gilt: Gemeinschaftspraxen werden Einzelpraxen vorgezogen. Letztere werden oft gar nicht erst in Betracht gezogen. Die Gründe: Neben einem geteilten Risiko wird der kollegiale Austausch als bedeutender Punkt aufgeführt. Die Zahnärztinnen schätzen zum einen den fachlichen Austausch, der als Qualitätskriterium in der Patientenbehandlung gesehen wird, und zum anderen die Nutzung ökonomischer Synergieeffekte. Des Weiteren ist bei Zahnärztinnen mit Kind, die in derselben Praxis wie ihre Ehemänner arbeiten (sei es als Angestellte oder in Gemeinschaftspraxen), eine klare Rollenverteilung zu erkennen. Während die Herren für den Aufbau und Zusammenhalt der Praxis zuständig sind, organisieren die Frauen das Familien-leben. Dabei bleibt wenig bis gar keine Zeit für Fragen aus der Berufspolitik. Dieses Feld wird ebenfalls den Ehemännern überlassen – dieses auch mit gutem Gewissen, da es quasi in der Familie bleibt.

Umgekehrt wurde deutlich, dass Zahnärztinnen, die in einer Praxis ohne ihren Ehemann tätig und/oder kinderlos sind, sich vermehrt auf den Beruf konzentrieren und dementsprechend interessierter an den Vorgängen in der Standespolitik sind.

Junge Zahnärztinnen haben eine ähnlich distanzierte Einstellung zur Berufspolitik wie Zahnärztinnen mit Kind, allerdings eher aus Gründen der noch herrschenden Unerfahrenheit. Sie sind hauptsächlich damit beschäftigt, sich eine berufliche Existenz aufzubauen und sich Routine anzueignen. Dabei hilft der Austausch mit guten Kollegen und/oder Freunden mehr, als die Instanz der Zahnärztekammer. Allerdings nimmt das Interesse für die Berufspolitik mit steigender Berufserfahrung zu.

Das Alter, die Familienkonstellation, die Form der Ausübung sowie die Arbeitszeit und der Umfang der zusätzlichen Aufgaben haben Einfluss auf die Balance zwischen Beruf- und Privatleben. Neben der kausalen Verknüpfung dieser Faktoren spielt die psychische Verfassung bei der Bewältigung beruflicher und familiärer Organisation eine große Rolle. Das individuelle Bewältigungshandeln wirkt jeweils in unterschiedlicher Weise auf die berufstätigen Zahnärztinnen ein. Überspitzt formuliert heißt das, es kann nicht gesagt werden, dass eine selbstständige Zahnärztin mit Kindern mehr Stress wahrnimmt als eine angestellte Kollegin.

Gemeinsam ist den Zahnärztinnen ein pragmatischer matischer Charakter, wenn es darum geht,Arbeiten erledigen zu müssen, die „von oben“, das heißt von der KZV oder der Politik, oktroyiert werden. Durch die sachliche Herangehensweise wird diesen zusätzlichen und nicht selten vorkommenden Tätigkeiten die Wichtigkeit genommen. Das erleichtert die Wahrung der Work-Life-Balance.

Gemeinschaftspraxen bieten ein ungeheures Potenzial, um Kinder und Beruf miteinander zu verbinden. Es sind Kollegen da, die auch mal spontan einspringen können oder aber über einen längeren Zeitraum die Vertretung übernehmen können.

Großer Wunsch nach Selbstständigkeit

Der Wunsch der Zahnärztinnen, sich selbstständig zu machen, nimmt einen hohen Stellenwert ein. „Sein eigener Herr sein“, „Selbstbestimmung“, die „Umsetzung eigener Ideen“ sind nur einige Gründe, die diesbezüglich genannt werden. Dabei ist es von der persönlichen Situation abhängig, ob in eine Selbstständigkeit investiert wird. Obwohl ein Angestelltenverhältnis mehr Sicherheit bietet, besteht bei den meisten Zahnärztinnen der Wunsch nach Selbstständigkeit und Autonomie.

Um das standespolitische Engagement von Zahnärztinnen zu fördern, sollte die Öffentlichkeitsarbeit der Zahnärztekammer individuell und vor allen Dingen persönlich gestaltet sein. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, Zahnärztinnen direkt anzusprechen und sie konkret für unterschiedliche Belange einzubinden. Dafür sollte auf verbindlicher Ebene eine „Bring-Struktur“ entwickelt werden. Die Bildung eines regionalen Zahnärztinnennetzes kann Unterstützung durch Erfahrungsaustausch und Kooperationen bieten. Mithilfe zielgerichteter Ansätze könnten gemeinsame Projekte ins Leben gerufen werden, die sich unter anderem mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie befassen.

Ein mögliches Wissensdefizit, das über die fachlichen Aspekte des Zahnarztberufs hinausgeht, sollte schon während des Studiums ausgeglichen werden. So wäre es denkbar, (junge) approbierte Zahnärztinnen in die Universität einzuladen, damit sie von ihren Erfahrungen mit dem Berufseinstieg berichten. Während der Assistenzzeit könnte der Erfahrungshorizont erweitert werden, indem Einblick in mehrere unterschiedliche Praxen ermöglicht wird. Vorstellbar wäre beispielsweise ein rotierendes System, in dem die Assistentinnen in festgelegten Zeiträumen in unterschiedlichen Praxen arbeiten.

Marina Buchmann (MSc)Friedrich-Ebert-Str. 1333602 Bielefeldmarina.buchmann@gmx.de

\n

Die Stichprobe

\n

Nr.

Altersgruppe

Ausübungsform

\n

Praxisstrukiur

Kinder

Vollzeit

\n

Schwerpunkt

\n

1

unter 35

selbstständig

Gemeinschaftspraxis

\n

(2 Selbstständige, 1 Angestellter)

ja

nein

Parodontologie

\n

Kinderzahnheilkunde

\n

2

unter 35

selbstständig

Gemeinschaftspraxis

\n

(2 Selbstständige)

nein

Implantologie

\n

3

unter 35

\n

angestelIt

Assistenzzeit in Einzelpraxis

\n

nein

Implantologie

\n

4

unter 35

angestelIt

Einzelpraxis

\n

↓(1 Selbstständiger, 2 Angestellte)

ja

Allrounder

\n

5

35-50

selbstständig

Einzelpraxis

nein

Allrounder

\n

6

35-50

selbstständig

Einzelpraxis

\n

(1 Selbstständige, 1 Angestellte)

\n

ja

Chirurgie

\n

7

35-50

selbstständig

Praxisgemeinschatt

\n

(2 Selbstständige)

\n

ja

\n

Chirurgie

\n

8

35-50

selbstständig

Gemeinschaftspraxis

\n

↓(2 Selbstständige)

\n

nein

Parodontologie

\n

9

35-50

selbstständig

Gemeinschaftspraxis

\n

↓(2 Selbstständige)

\n

 

\n

ja

Parodontologie

\n

10

35-50

angestelIt

\n

Assistenzzeit in Einzelpraxis

ja

Parodontologie

\n

11

35-50

angestelIt

Gemeinschaftspraxis

\n

↓(2 Selbstständige, 1 Angestellte)

\n

\n

ja

Allrounder

\n

12

ab 50

\n

selbstständig

Einzelpraxis

\n

(mit einerAngestellten)

\n

\n

ja

Allrounder

\n

13

ab50

selbstständig

Einzelpraxis

nein

Allrounder

\n

\n

Quelle: modifiziert M. Buchmann

\n

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