Chirurg allein in Brandenburg
Kann der in Deutschland mit Sorge beobachtete Ärztemangel auch Chancen eröffnen? Ja, meinte der Staatssekretär im Gesundheitsministerium Brandenburg, Dr. Daniel Rühmkorf, auf dem Euroforum und beschrieb die Bemühungen des Bundeslandes, die Akteure zwecks besserer Versorgung stärker zu vernetzen. „Wie suchen den Schulterschluss mit allen Beteiligten“, machte er klar. Netzwerke fördern, Nachwuchs gewinnen, neue Berufsbilder erschließen und neue Formen der Zusammenarbeit aufsetzen – das seien konkret die Aufgaben und Herausforderungen, denen sich strukturschwache Landstriche stellen müssten. Im Kampf gegen den Ärztemangel seien dynamischere Strukturen gefragt – nur so könne auch die Versorgung in Schwedt, Uckermark, gewährleistet werden.
Rühmkorf: „Die neuen Länder stellen nicht ohne Grund oftmals das Labor für sozialpolitische Entwicklungen in Deutschland dar: Anfang der 90er verzeichnete der Osten einen viel rasanteren Alterungsprozess sowie einen dramatischen Einbruch der Geburtenraten, verbunden mit der Abwanderung junger Frauen.“ Im Klartext: „Wir haben intensive Erfahrungen mit Umbrüchen gemacht!“ Zurzeit sind Rühmkorf zufolge 10 000 Ärzte in Brandenburg tätig: „Wenn 2030 noch 8 500 praktizieren, haben wir erfolgreich gearbeitet.“ Größtes Problem: die Überalterung. Die Nachbesetzung offener Stellen sei deswegen oft schwierig, auch weil ein wirksames Steuerungsinstrument fehle.
Der Brandenburger Weg sehe infolgedessen regelmäßige Treffen mit allen Beteiligten im Land vor, das Bündnis umfasse mittlerweile 70 Partner. Neben dem Erhalt von Ausbildungsstätten habe das Land für Ärzte auch „Brandenburg auf Probe“ im Programm. Parallel dazu werde die Gemeindeschwester „Agnes“ weiterentwickelt. Ebenfalls neu: ein Ausbildungsprogramm für angehende Mediziner für Berlin und Brandenburg. Rühmkorf: „In Zusammenarbeit mit der Charité wird die Famulatur so strukturiert, dass jeder Erasmus-Medizinstudent neben Berlin auch einen Teil seines Aufenthalts in Brandenburger Krankenhäusern verbringt.“ Vorteile seien eine engmaschige persönliche Betreuung und eine Facharztausbildung mit Mentor – an einem Stück, an einem Ort.
Rollback zum Dirigismus
Dass bei der ärztlichen Honorarreform nach wie vor Handlungsbedarf besteht, verdeutlichte Dr. Gerd Zimmermann von der KV Hessen: „Die Honorare werden immer noch asymmetrisch verteilt!“ Die KVen Baden-Württemberg, Bayerns,
Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein seien sich einig: Die zugesagte Regionalisierung finde nicht mehr statt. Zimmermann: „Stattdessen wird die zentralistische und dirigistische Gesundheitspolitik gefestigt und fortgeschrieben, obgleich diese Linie erkennbar zu massiven Problemen in den Regionen geführt hat.“
Vor dem Hintergrund, dass der KBV bei der regionalen Honorarverteilung erneut eine nahezu unbegrenzte Vorgabenkompetenz zugestanden werde und der Bewertungsausschuss weitreichende Rechte erhalte, blieben individuelle Spezifika einzelner Regionen und besondere ambulante Leistungsangebote unberücksichtigt. Er fordert: die Residenzpflicht abzuschaffen, befristete Zulassungen zu ermöglichen und dass die Einschränkung der Fallzahlbegrenzung von Ärzten in unterversorgten Gebieten auf die dort wohnenden Patienten rückgängig gemacht wird, weil nicht umsetzbar.
Insgesamt setzt das Versorgungsgesetz laut Zimmermann aber den richtigen Fokus: „Nicht Kostendämpfung via Budgets oder starre Vorschriften, sondern die qualitative Verbesserung der Versorgung steht im Mittelpunkt.“
Als fragwürdig bezeichnete Karl-Heinz Schönbach vom AOK Bundesverband die Doppelfunktion der Länder: „Das Land erhält Einflussrechte bei der Bedarfsplanung, die es selbst aufsichtsrechtlich begleiten soll. Hier missachtet man die Vertragsprinzipien.“
Last but not least könne die KV mit der Honorarverteilung den EBM auf den Kopf stellen. Um die ärztliche Versorgung in strukturschwachen Gebieten zu garantieren und dafür zu sorgen, dass der nichtärztliche Dienst nicht komplett austrocknet, müsse man die Mediziner besser verteilen. Die jetzigen Instrumente hält Schönbach allerdings für ungeeignet: „Die Bedarfsplanung ist antiquiert. Wir dürfen die fachärztliche und spezialärztliche Versorgung nicht ihrer Chancen berauben.“ Dennoch handle es sich allenfalls um ein regionales Verteilungsproblem – „Einkommensproblem diskutiere ich gar nicht“. In Deutschland arbeiteten Hausärzte 50,8 Wochenstunden und behandeln in der Zeit 242 Patienten, wobei ein Kontakt 9,1 Minuten dauert. In Spanien dagegen nur 37,8 Stunden pro Woche und mit 53 Patienten, die durchschnittlich jeweils 28,8 Minuten beanspruchen. Schönbach: „Das ist auch ein Problem unseres Honorarsystems. Die Frage ist, in welchem Land die Ärzte zufriedener sind.“
Warum es notwendig ist, das Thema Priorisierung öffentlich zu diskutieren, erläuterte Mark Barjenbruch, KV Niedersachsen: „Begrenzte Leistungen bei begrenzter Vergütung bergen die Gefahr, dass Sozialrecht und ärztliches Haftungsrecht auseinanderdriften.“ Zwar stehe der ärztliche Heilauftrag schon seit Jahren im Spannungsverhältnis zwischen Sorgfaltsanforderungen und Wirtschaftlichkeitsgebot, doch gehe es hier vorrangig um eine möglichst gerechte Verteilung der knappen finanziellen Mittel nach konsentierten Regeln: „Dem Arzt werden die Leistungen, die sein RLV nicht deckt, nicht vergütet – er begibt sich in ein hohes finanzielles Risiko“ Das Gesundheitswesen werde bald an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und Bezahlbarkeit gelangen, allein wegen der großen Fortschritte in der Medizin und einer alternden Gesellschaft: „Der gesellschaftliche Diskurs über Priorisierung und IGeL ist daher notwendig.“ Vdek-Chef Thomas Ballast hielt ein Plädoyer für Selektivverträge: „Der ganze Komplex rutscht leider wieder ins Feld der Honorarregelung, inklusive Abstimmung mit Kollektivverträgen und kompliziertere Aufsicht.“ Ursprünglich ein Zukunftsfeld hätten die Selektivverträge inzwischen massive Probleme aufgrund der Honorarverteilungsautonomie der KVen: Aus Kassensicht fehlt eine Bedarfsplanung, Mengensteuerung und ein Verbotsvorbehalt für ambulante Leistungen.“