Gastkommentar

Solidarisch abkassieren

Die Pflegeversicherung soll noch in diesem Jahr durch eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung ergänzt werden. Bundesminister Rösler wird sich auf ein politisches Hindernisrennen einstellen müssen, meint Sozialpolitik-Journalist Walter Kannengießer.

Dass die gesetzliche Pflegeversicherung reformbedürftig ist, wird von niemandem bestritten. Sie wird nur noch bis Frühjahr 2014 mit dem Beitragssatz von 1,95 Prozent zu finanzieren sein. Der Reformdruck nimmt damit zu, zumal der Leistungskatalog durchforstet und durch bessere Leistungen bei Demenz erweitert werden soll. Das ist nicht länger aufzuschieben. Auch müssten die Pflegekräfte besser entlohnt werden, um diesen schweren Beruf attraktiver zu machen. Schon jetzt fehlt es weithin an qualifiziertem Personal. In den nächsten 30 bis 40 Jahren wird sich der Prozess der Alterung der Gesellschaft dramatisch beschleunigen. Die Zahl der Beitragszahler nimmt ab, die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt zu. Da immer mehr Frauen erwerbstätig sind, verringert sich zugleich die Möglichkeit, Pflegebedürftige in ihren Familien zu versorgen. Das alles treibt die Kosten.

Der finanziellen Sicherung der Pflegeversicherung kommt also hohe Priorität zu. Dass darüber je nach politischem Standort engagiert gestritten wird, ist verständlich. Am Ende sollten aber nicht politisch taktische Überlegungen ausschlaggebend sein. Es kommt also darauf an, die Pflegeversicherung nachhaltig zu stabilisieren. Dazu könnte eine ergänzende Kapitaldeckung für einen begrenzten Teil der Anwartschaften beitragen, was im Pflegefall den betroffenen Familien auch mehr Entscheidungsspielraum eröffnen könnte. Am schlechtesten wäre es jedenfalls, die steigenden Belastungen über dynamische Beiträge auf die Arbeitskosten der schrumpfenden Zahl von Erwerbstätigen abzuwälzen.

Das wäre das Modell der Bürgerversicherung à la SPD, das auch darauf zielt, die von der privaten Pflegeversicherung angesammelten Alterungsrückstellungen – rund 20 Milliarden Euro – in die gesetzlichen Kassen zu verlagern.

Im Koalitionsvertrag, der für die Politik der beteiligten drei Parteien verbindlich sein sollte, ist vorgesehen, die Umlage-Finanzierung der Pflegeversicherung durch Kapitaldeckung zu ergänzen. Diese müsse „verpflichtend, individualisiert und generationengerecht“ ausgestaltet sein. Das wäre sinnvoll. Die CSU fordert nun aber, die Kapitalreserve über einen einkommensbezogenen Zuschlag zum Beitrag bei der Pflegeversicherung anzusammeln. Auch die Ersatzkassen haben sich dafür ausgesprochen, eine Kapitalreserve mit paritätischen Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern anzusparen, die in der Phase des stärksten Anstiegs der Alterung der Bevölkerung bis 2030 zur Deckung der Pflegekosten herangezogen werden sollte. Dieses Modell kann nicht funktionieren, denn mit der Alterung und der Zunahme der Pflegefälle ist nicht vor 2050 Schluß.

Nach dem Koalitionsvertrag soll die ergänzende Versicherung mit Kapitaldeckung nicht Teil der gesetzlichen Pflegeversicherung sein. Sie muss also privatwirtschaftlich organisierbar sein. Der Versicherte – und nur er – sollte von dem Zusatzbeitrag durch bessere Leistungen im Pflegefall profitieren. Das darf nicht von den Interessen der Politik oder des Kollektivs abhängen. Nur mit individuell zurechenbaren Beiträgen erwirbt der Versicherte verfassungsrechtlich gesicherte Anwartschaften. Dem Aufbau eines Kapitalstocks sind wegen der damit verbundenen Belastung der Versicherten recht enge Grenzen gesetzt. Er kann die einkommensbezogene Umlage zur Finanzierung einer Grundsicherung im Pflegefall weder heute noch morgen ersetzen. Die Versicherung gegen den Pflegefall ist auch nicht unsolidarisch, wie gesagt wird, denn in jeder Risiko-Versicherung tritt das Kollektiv für den Geschädigten solidarisch ein. Wer mehr verlangt, will nicht Solidarität, er will Einkommen umverteilen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.