Ansprüche der Anleger wahrnehmen
Im internationalen Geschäftsleben steht der Begriff Kickbacks für nichts anderes als Schmiergelder, die auf dem Umweg über erhöhte Rechnungen oder Provisionsvereinbarungen wieder zurückfließen. Im Anlagegeschäft kassiert der Vermittler eines Finanzprodukts eine Rückvergütung vom Emittenten dafür, dass er ausgerechnet dieses Produkt seinen Kunden empfiehlt. So richtig ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Anleger gelangten die Kickbacks seit der Finanzkrise. Viele Anleger haben in dieser Zeit hohe Verluste mit maroden Anlageprodukten – wie zum Beispiel die Zertifikate der Lehman Bank – erleiden müssen. Aber auch Anteile an vielen Medienfonds waren irgendwann nicht mehr das Papier wert, auf dem sie verewigt waren.
Bei all diesen Produkten sind Provisionen geflossen, von denen der Anleger in den meisten Fällen keine Ahnung hatte. Der Verkäufer hat seine Kunden nicht über die Geldflüsse informiert, obwohl das Anlagekapital entsprechend dieser Beträge geschrumpft ist. Die Gerichte beurteilen dieses Gebaren schon seit Jahren immer kritischer. Denn der Kunde weiß nicht, dass der Berater beziehungsweise die Bank eine Belohnung dafür kassiert, dass er ihm dieses Produkt verkauft. Das Interesse des Beraters gilt also nicht mehr in erster Linie dem Wohl des Kunden, sondern eher dem eigenen Kontostand. Und der Kunde selbst kann nicht frei über die Qualität des Produkts entscheiden, weil ihm diese Informationen über den Interessenkonflikt des Beraters fehlen.
Diesen Missstand kritisiert auch Dorothea Mohn, Referentin für Kapitalanlagen und Altersvorsorge beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Berlin: „Unsere Erfahrung ist, dass über Kickbacks bis heute nicht vielfältig beziehungsweise nicht aussagekräftig aufgeklärt wird. Anlegern wird suggeriert, die Beratung in der Bank sei kostenfrei.“
Justiz auf der Seite der Anleger
Dabei haben die Gerichte längst im Sinne der Anleger entschieden. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 29. Juni 2010, Aktenzeichen: XI ZR 308/09, beschlossen, dass die Kreditinstitute ihre Pflicht zur Aufklärung über Rückvergütungen bereits ab dem Jahr 1990 verletzen. Denn schon zu diesem Zeitpunkt bildeten zwei BGH-Urteile aus den Jahren 1990 und 1989 die Grundlage für die Aufklärungspflicht der Banken über die versteckten Provisionen. Nur: Die Geldwirtschaft hat diese Tatsachen konsequent ignoriert.
Dabei bedeutet das Verschweigen von Kickback-Zahlungen einen schweren Beratungsfehler. In einem Urteil vom 9. März dieses Jahres (AZ: XI ZR 191/10) hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung noch einmal konkretisiert. Er bestätigt die Verpflichtung der Bankberater, die Kunden bei einer Beratung über die in den Produkten enthaltenen Provisionen aufzuklären und hebt hervor, dass Rückvergütungen nicht nur aus Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsgebühren stammen können, sondern aus jeder Provisionsart, bei der ein Teil verdeckt an die Bank zurückfließt.
Diese Urteile erweisen sich heute für viele Betroffene, die ohne Kenntnis der Umstände die schönen Beschreibungen eines Produkts geglaubt und massive Verluste erlitten haben, als sehr nützlich. Dienen sie doch den auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Anwälten als Mittel zum Zweck, wenn es darum geht, einen stichhaltigen Grund für die Rückabwicklung maroder Anlagen zu finden. Inzwischen gibt es auch einige Entscheidungen von Landes- und Oberlandesgerichten zugunsten der Kunden. Dabei ging es immer um die Rückabwicklung von Anlagekäufen wie zum Beispiel Anteile an geschlossenen und offenen Fonds.
Aufklärungspflicht der Banken
Besondere Aufmerksamkeit kommt einem Urteil zu, das vor Kurzem das Oberlandesgericht Stuttgart gefällt hat. In diesem Fall hatte die Klägerin im April 2000 bei der Kreissparkasse Tübingen 540 Anteile des Investmentfonds Deka-Technologie CF für insgesamt 23 171,40 Euro erworben. Der Ausgabeaufschlag betrug 3,75 Prozent und die jährliche Verwaltungsgebühr 1,25 Prozent. In dem vorausgehenden Beratungsgespräch hatte die Mitarbeiterin der Sparkasse nicht darüber aufgeklärt, dass wesentliche Teile des Ausgabeaufschlags, der von der Deka-Bank berechnet wurde, an die Kreissparkasse zurückfließen, und diese zusätzlich die jährliche Verwaltungsgebühr kassiert. Die Kundin wurde nicht informiert, obwohl der Sparkasse die Verpflichtung zur Offenlegung bekannt war. Weil es sich um einen Fonds der Sparkassen handelte, meinte man, dass die Vorschrift nicht gelte.
Das Gericht widersprach und unterstellte sogar ein vorsätzliches Verschweigen der Kickbacks. Im Urteil heißt es: Es liege „nahe, das Verschweigen der Bank, die diese Provisionen für sich behalten will, als vorsätzlich zu bewerten. In Betracht kommt der Tatbestand der Untreue, ... oder des Betrugs“. Fazit: Die Sparkasse muss der Klägerin ihr eingesetztes Kapital zuzüglich Zinsen und außergerichtlicher Anwaltskosten ersetzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Offenlegung der Provisionen
Erstritten haben dieses Urteil die Kapitalmarktrechtspezialisten der Kanzlei Tilp in Tübingen. Zu ihnen gehört auch Peter Gundermann. Er hält das Urteil für besonders wegweisend, weil es das Problem der kurzen Verjährungsfristen beseitigt: „Bei Vorsatz gibt es keine Verjährung in drei Jahren ab Kauf. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Hürde für die Banken, das Fehlen von Vorsatz nachzuweisen, sehr hoch angesetzt.“ Jetzt können auch ältere Schadensfälle neu aufgearbeitet werden. Betroffen sind davon Kapitalanlagen aus den letzten 30 Jahren. Kanzleimitglied Fachanwalt Alexander Heinrich erläutert: „Wie von uns stets prognostiziert, können damit beinahe alle Geschäfte in Investmentfonds der letzten 30 Jahre erfolgreich rückabgewickelt werden, wie auch sonstige Kapitalanlagen, bei denen Kickback floss.“
Bei diesen Urteilen ging es immer um die Rückabwicklung der Käufe. Viele Kunden sind aber zufrieden mit ihren Kaufentscheidungen. Was geschieht mit ihren Ansprüchen auf die versteckten Provisionen? Stehen ihnen die Kickbacks zu? Verbraucherschützerin Mohn meint: Ja. „Nach unserer Rechtsauffassung sind Provisionen wie Ausgabeaufschläge und Bestandsprovisionen an den Anleger auszukehren. Bankenseitig wird dies naturgemäß verneint. Auch wenn ein aktuelles Urteil unsere Auffassung stützt, bislang fehlt leider eine höchstrichterliche Entscheidung.“
Dabei gibt es gesetzliche Grundlagen für diesen Anspruch, den die Banken konsequent ignorieren. Ein Sprecher des Bundesverbands deutscher Banken verglich den Kauf eines komplizierten Finanzprodukts mit dem Erwerb eines Autos: „Der Autoverkäufer muss seine Provisionen auch nicht offenlegen. Das akzeptieren die Kunden.“ Dabei lassen sich die Produkte eigentlich gar nicht miteinander vergleichen. Wer ein Auto kaufen will, sucht sich ein Modell aus und kann weitreichende Preisvergleiche anstellen. Ein Zertifikat oder Fondsanteil ist sehr viel komplizierter im Aufbau und für den Kunden nicht so leicht durchschaubar wie ein Auto. Der Kauf eines Finanzprodukts ist Vertrauenssache und der Käufer muss sich sicher sein, dass der Berater zum Wohl des Kunden handelt und nicht für den eigenen Vorteil.
Während viele Banken die Offenlegung einfach ignorieren, unterscheidet beispielsweise die Targobank zwischen Kommissionsverkauf und Festpreisgeschäft. Ihrer Meinung nach braucht sie die Provisionen im Festpreisgeschäft wie zum Beispiel bei Zertifikaten nicht offenzulegen. Geht es um ein Kommissionsgeschäft wie beim Verkauf von Fondsanteilen, empfiehlt sie dem Kunden sich auf der Webseite der jeweiligen Fondsgesellschaft zu informieren – für den Kunden eine Zumutung.
Anders geht die Deutsche Bank vor, um sich die Provisionen zu sichern. Sie legt dem Kunden eine Rahmenvereinbarung zur Unterschrift vor. Damit verzichtet er auf die Provisionen. Das Gebaren der Bank kommentiert Mohn: „Das zeigt, dass sich die Banken ihrer Sache nicht sicher sind. Wir raten den Kunden, nicht zu unterschreiben. Denn damit verzichten sie auch in Zukunft auf alle Provisionen.“
Der vzbv hat einen Prozess gegen die Bank geführt und vor dem Landgericht Frankfurt Recht bekommen. Die Deutsche Bank ist in Revision gegangen, das Geschäft mit dem Kunden will sich das Finanzinstitut nicht entgehen lassen.
Notfalls den Ombudsmann der Banken einschalten
Doch die Kunden sollten sich wehren. Niels Nauhauser, Anlageexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in Stuttgart, kennt aus seiner Praxis ein Beispiel, bei dem die Commerzbank ebenfalls die Offenlegung der Provisionen verweigerte. Er empfahl dem Kunden die Anrufung des Ombudsmannes der Banken und prompt bekam der Anleger die gewünschten Informationen.
Noch nicht geklärt ist auch der Umgang mit den sogenannten Innenprovisionen. Dabei handelt es sich um nicht ausgewiesene Vertriebsprovisionen, die bei einem Fonds aus dem Anlagevermögen gezahlt werden. Laut BGH-Entscheidung vom 9. März 2011 besteht hierbei eine Aufklärungspflicht erst ab 15 Prozent vom Anlagebetrag. Aber auch in diesem Punkt gibt sich Fachanwalt Gundermann kritisch: „Die Angaben zu Provisionen müssen im Prospekt beziehungsweise im Gespräch in jedem Fall transparent und zutreffend sein. Sonst hat man einen Ansatzpunkt über die Prospekthaftung und eventuelle Falschberatung.“
Freie Finanzvermittler von Aufklärungspflicht befreit
Alle bisherigen wichtigen Urteile befassen sich mit dem Verhältnis des Kunden zur Bank. Ganz anders sieht die Rechtsprechung in den Fällen aus, wo es um die Geschäfte mit freien Vermittlern geht. Hier sehen sich die Richter ganz auf der Seite der Berater. So entschied der BGH in seinem Urteil vom 15. April 2010 (AZ: III ZR 196/09) und bestätigte es noch einmal im März dieses Jahres, dass diese Aufklärungspflicht nicht für freie Berater gilt. Die Begründung: Ein Kunde, der sich durch einen freien Anlagevermittler beraten lässt und selbst keine Provision für den Beratung zahlt, muss davon ausgehen, dass der Berater als Vermittler eine Vertriebsprovision erhält.
Die Verbraucherschützer lehnen diese Meinung des III. Senats naturgemäß ab. Für sie sind diese Entscheidungen für den Verbraucher nicht nachvollziehbar. Sie fordern eine gesetzliche Regelung für die Honorarberatung, damit auch hier den schwarzen Schafen das Handwerk gelegt werden kann. Nur wenn auch die unabhängigen Berater tatsächlich auf Kickbacks verzichten und sich unter eine gesetzliche Kontrolle begeben, können sie das Vertrauen der Kunden gewinnen. Zwar wird die Mehrzahl der Anleger auch in Zukunft nicht bereit sein, ein Honorar für die Anlageberatung zu zahlen. Doch zumindest sollten sie die Möglichkeit der Wahl bekommen.
Marlene EndruweitWirtschaftsjournalistinm.endruweit@netcologne.de