Drogenabhängige Patientin im Bereitschaftsdienst
Im dritten Fall geht es um eine mögliche HIV-Infektion „on the job“ und um das adäquate Verhalten eines niedergelassenen Zahnarztes im Fall eines HIV-positiven Befunds.
Im Zentrum dieser Kasuistik steht die rechtlich wie ethisch relevante Frage, ob ein verantwortungsvoller Behandler einen positiven Befund ungeachtet der zahlreichen täglichen Patientenkontakte für sich behalten darf, wenn er dafür Sorge trägt, dass seine Patienten keiner Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden, oder ob es nicht vielmehr ein ethisches Gebot wäre, eine solche Infektion seinen Patienten mitzuteilen beziehungsweise bestimmte Kautelen zu ergreifen.
Zum Fall: Dr. KH ist ein fachlich äußerst engagierter 32-jähriger Zahnarzt, der erst 2005 in einem damals noch „gesperrten“ Zulassungsbezirk eine Praxis übernommen hat. Die Praxisübernahme war mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden, und es kostet ihn seitdem einige Anstrengungen, die monatlichen Kreditraten wie vorgesehen zu entrichten.
Eines Tages stellt sich im Notfall eine stark abgemagerte, kränklich anmutende 33-jährige Frau namens PN mit einem perimandibulären Abszess vor. Im Anamnesebogen hat die Patientin vermerkt, seit über 15 Jahren drogenabhängig zu sein. Auf die Frage, ob sie an einer Infektionskrankheit wie Hepatitis C oder HIV leide, zuckt sie mit den Schultern. Auf Nachfrage gibt sie an, bisher nie wissentlich getestet worden zu sein – deshalb habe sie diese Passage des Anamnesebogens nicht ausgefüllt.
KH entschließt sich nach dem Aufklärungsgespräch mit der Patientin für eine Inzision unter Lokalanästhesie. Er trifft die üblichen Sicherheitsvorkehrungen und setzt eine Lokalanästhesie, was sich angesichts der massiven intraoralen Schwellung und einer kaum möglichen Abstützung schwierig gestaltet. Bereits das Touchieren des entzündeten Gewebes löst eine profuse Blutung aus. Als die Anästhesie auch nach 20 Minuten noch nicht wirkt, versucht er eine erneute Injektion, rutscht dabei aus und sticht sich mit der blutigen Kanüle in den Finger.
KH führt die Behandlung äußerlich gelassen zu Ende. Nach der Verabschiedung der Patientin informiert er sich sofort im Internet über die Möglichkeiten einer medikamentösen postexpositionellen HIV-Prophylaxe (HIV-PEP) und entschließt sich, die Medikamente sofort zu besorgen und insgeheim eine PEP durchzuführen.
Die anfängliche Entschlossenheit des Zahnarztes, im Intervall einen HIV-Test durchführen zu lassen, schwindet mit jeder Woche. Seine Gedanken kreisen stets um dieselben Fragen:
(1) Was tun, wenn der Test positiv ausfällt?
(2) Kann und darf ein verantwortungsvoller Zahnarzt ein solches Ergebnis ungeachtet der zahlreichen täglichen Patientenkontakte für sich behalten?
(3) Oder wäre es ein ethisches Gebot, eine solche Infektion den Patienten mitzuteilen, auch wenn er zuverlässig dafür Sorge trägt, dass seine Patienten keiner Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden?
(4) Unterliegt ein HIV-positiver Zahnarzt bestimmten Einschränkungen in der Ausübung seiner Tätigkeit, müsste er bestimmte Auflagen erfüllen oder existieren Meldepflichten?
(5) Welche Auswirkungen hätte die Bekanntgabe seiner – möglichen – Infektion auf die Akzeptanz und den Erfolg der Praxis und welche wirtschaftlichen Folgen wären zu befürchten?
(6) Wer haftet bei etwaigen Schadenersatzansprüchen nach einer versehentlichen Infektion eines Patienten?
Dominik Groß
Prof. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinUniversitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 252074 Aachengte-med-sekr@ukaachen.de
Dr. Peter Weißhaupt M.Sc.Laventiestr. 258640 Iserlohn-Sümmerninfo@dr-weisshaupt.de
Prof. Robert Sader Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische GesichtschirurgieUniversitätsklinikum Frankfurt am MainTheodor-Stern-Kai 760596 Frankfurt/MainR.Sader@em.uni-frankfurt.de
Prof. Carolina GanßPoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Präventive ZahnheilkundeUniversitätsklinikum GießenSchlangenzahl 1435392 GießenCarolina.Ganss@dentist.med.uni-giessen.de