Privatpatienten am Gängelband
Privatpatient zu sein ist für viele – vor allem Freiberufler – eine Notwendigkeit, aber auch eine Überzeugungssache. Als selbstständiger, selbstbewusster und anspruchsvoller Bürger lässt man sich nicht gerne kommandieren, bestimmen, einordnen, sondern nimmt alles Mögliche selbst in die Hand, auch die Vorsorge für Alter, Krankheit, Beruf und so weiter. Deshalb wählt man eine private Krankenversicherung mit eigens zusammen gestellten Tarifen, deshalb ist man Privatpatient beim Arzt oder im Krankenhaus. Denn man möchte im Krankheitsfalle selbst bestimmen können, von wem und wo man behandelt wird und möchte dem Arzt seines Vertrauens alle Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stellen können.
Von der Politik gestraft
Doch das Ideal des selbstbestimmten Privatpatienten ist im Zuge der Sozialstaats-Ideologie mit der dominierenden Gesetzlichen Krankenversicherung immer mehr beeinträchtigt worden. Von mehreren Seiten und auf verschiedenen Ebenen wird der Privatversicherte bedrängt und in seinen Rechten beeinträchtigt. Zunächst waren es Neidfaktor und Gleichmacherei, die den Privatversicherten zum anspruchsvollen Außenseiter und seinen Arzt zum reichmachenden Kumpanen stempelten mit dem Ergebnis, dass die PKV eigentlich abgeschafft oder zumindest radikal eingeschränkt gehörte. Individualismus sei – zumindest im Gesundheitswesen – unsozial, unsolidarisch, meint die Linke auch heute noch, aber nicht sie allein. Dieser Stimmung, diesem politischen Trend sind leider auch die Privatversicherer gefolgt. Wohl aus Sorge um ihre Existenz und Furcht vor fortwährenden, oft völlig falschen Argumenten und Aggressionen sind sie manchen Schritt der Angleichung an Forderungen der sozialpolitischen Gegner mehr oder weniger freiwillig mitgegangen und haben ihren eigenen Versicherten manchen Nachteil auferlegt. Viel schädlicher sind allerdings die Regelungen, die die Gesundheitspolitik zu Lasten der PKV geschaffen hat, insbesondere die wiederholten Beschränkungen des Zugangs mit dem Ergebnis der Überalterung und damit Verteuerung der Tarife.
Aus Sorge um die unvermeidlichen Kostensteigerungen liebäugeln die Privatversicherer mehr und mehr mit Beschränkungen des Leistungsanspruchs und der Wahlfreiheit der Versicherten. Hierzu gehören bestimmte Angebotsmodelle mit eigener Leistungsoder Honorargestaltung, wie sie vor allem als Folgen der von der PKV propagierten Öffnungsklausel in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) zu befürchten sind. Mit ihr würde die Honorierung nach GOZ abgedungen zugunsten spezieller Vereinbarungen zwischen Privatversicherern und Ärztegruppen. Das sind dann Sparprogramme zu Lasten der Privatpatienten, Einschränkungen ihrer Arztwahlmöglichkeit und die Beseitigung der freien Honorarvereinbarung.
PKV will jetzt bestimmen
Es ergäbe sich daraus eine merkwürdige Vertragssituation: Der Arzt ist einerseits seinem Privatpatienten gegenüber vertraglich verbunden, andererseits via Sondervertrag einem bestimmten Privatversicherer verpflichtet. Und ganz schnell kann es dann auch zu Beschränkungen bei der Arzneimittelversorgung kommen, wie es in der GKV schon üblich ist (die PKV fordert bereits bei den Arzneimittel-Konditionen eine Gleichstellung mit der GKV). Noch ist es nicht so weit, aber der Gesundheitsminister lässt schon an der Öffnungsklausel basteln und die PKV macht keinen Hehl mehr aus ihren Plänen: Unter dem Stichwort „Strukturreform der Gebührenordnung“ setzt sie sich „... für eine generelle Vertragskompetenz mit allen Leistungserbringern im Gesundheitswesen ein, um künftig stärker Einfluss auf die Qualität und die damit verbundenen Mengen und Preise von Gesundheitsleistungen zu nehmen“. Der Verbandsdirektor, der dies jüngst formulierte, meint dazu, dies geschehe „im Interesse der Versicherten“. Ist es denn im Interesse der Versicherten, wenn ihre Freiheiten eingeschränkt werden?
Nicht der Arzt, nicht der Patient, sondern sie, die Versicherung, will über die Qualität von Gesundheitsleistungen entscheiden. Die PKV sollte, statt ihre Versicherten derart zu entmachten, vielmehr zusammen mit ihnen neue Tarifgestaltungen und Dienstleistungen probieren und propagieren: Verfeinerte Selbstbehalte, differenzierte Begrenzungen einzelner Leistungsbereiche, Präventionsanreize, es gibt sicher noch manche Möglichkeit, um mit dem Kunden und nicht gegen ihn zu operieren.
Gestraft und bedroht in mehrfachem Sinn sind die Privatversicherten beim Zahnarzt durch die Problematik der GOZ. Auf dem Wege über die ohnehin unzulängliche und veraltete Privatgebührenordnungen helfen sie dem Arzt, die Verluste aus der Kassenpraxis (bis hin zu den Verlusten durch die Budgetierung) auszugleichen und subventionieren damit die Krankenkassen.
Ungerechte Subventionen
Apropos Subventionierung: Weil es dem Gesetzgeber gefiel, bisher nicht versicherte Personen per Gesetz zu erfassen, musste die PKV billige Basistarife schaffen mit dem Ergebnis, dass die Kalkulation aufgrund der gesetzlichen Vorgaben mehr oder weniger zu Unterdeckungen führt, die durch die ordentlichen Tarife der Privatversicherten ausgeglichen werden müssen – eine Quersubventionierung, die dem Grundsatz der Privatversicherung – Risikogerechtheit – zuwider läuft. Nur zwei Beispiele von anderen solchen Subventionen zu Lasten der Privatversicherten: Manche Klinikabteilung kann für die Kassenpatienten nur durch die Einnahmen der Chefärzte und ihrer Mitarbeiter gehalten werden und jüngst wurde berichtet, dass die Honorare für Laborarbeiten für Privatpatienten fünfmal so hoch wie für Kassenpatienten sind. Sicher wird von den Ärzten oft zu stark „hingelangt“, aber das ist nicht zuletzt auch wieder eine Folge unzureichender GKV-Honorare.
Die völlig veraltete GOZ bedeutet unnötigen Aufwand beim Zahnarzt und Unübersichtlichkeit für den Patienten, weil für manche moderne Leistungen keine entsprechenden, klaren Leistungspositionen vorhanden sind. Die längst fällige Modernisierung der zahnärztlichen Gebührenordnung soll zu allem Überfluss im Konsens von Politik und Privatversicherern in Richtung auf die GKVGebührenordnung Bema entwickelt, das heisst im Klartext, angeglichen werden. Das kann nur bedeuten, dass sie in Struktur und Volumen vereinfacht und verringert werden soll. Wie soll damit Qualität erhalten oder verbesssert werden?
Alles wird schlechter
Die Situation des Privatversicherten verschlechtert sich also ständig. Dass seine Beiträge laufend steigen, muss er im Hinblick auf höhere Lebenserwartung, wachsende Ansprüche und medizinischen Fortschritt hinnehmen. Dass er damit (außer über seine Steuerzahlung hinaus) andere, nämlich Sozialversicherte subventioniert, ist ungerecht, ein Verstoß gegen das Prinzip der Risikogerechtheit. Dass die Gebührenordnung dem Niveau der GKV angeglichen werden soll, verschlechtert seine Position beim Arzt. Dass er nun durch Verträge unter Dritten in seiner Wahlfreiheit und seinen Leistungsansprüchen beschränkt und sein Privatvertrag mit seinem Arzt damit ausgehöhlt werden soll, demoliert die Grundlagen seiner Versicherungswahl, einen Teil der individuellen Lebensgestaltung. Und er hat keine Aussicht auf Unterstützung, weder durch die (Sozialstaats-)Politik, noch durch gegängelte und gedeckelte Ärzteschaft und auch nicht durch die ihn bedrängende PKV. Es besteht die skurrile Situation, dass die Privatversicherten einerseits wegen ihrer angeblich egoistischen Ansprüche und vermeintlichen Vorteile kritisiert und desavouiert und deswegen am liebsten abgeschafft werden sollen, andererseits aber sehr wichtig und nützlich für Ärzte und Krankenkassen sind, indem sie die existenznotwendige Privatpraxis finanzieren und damit die Kassen entlasten. Ein bedeutsames Stück Selbstverantwortung und Eigengestaltung in unserem sonst streng geregelten Gesundheitswesen wird trotz bedeutender positiver Beiträge zur Volksgesundheit geschmäht, gegängelt, benutzt und, wenn es nach dem DGB geht, am liebsten ganz beseitigt und enteignet – ein Widersinn in unserer Gesellschaft. Es fehlt an Lobby für selbstverantwortlich handelnde Menschen in unserem Gesundheitswesen.
Hartmut FrielJägerhofstr. 17242119 Wuppertal