Diabetiker-Welle im Anmarsch
Werden nicht bald einschneidende Maßnahmen eingeleitet, so droht Deutschland „an einer Diabetes-Epidemie zu ersticken“, mahnte Danne. Er forderte eine nationale Diabetes-Strategie, die die Interessen der Patienten, der Ärzte und auch der gesunden Bürger bündelt. Die Strategie sollte dabei fünf Handlungsfelder umfassen:
• die primäre Prävention des Diabetes,
• die Früherkennung des Typ-2-Diabetes,
• die Epidemiologie und den Aufbau eines Diabetesregisters,
• die Versorgungsforschung und den Aufbau von Versorgungsstrukturen und Qualitätssicherung,
• die Patienteninformation, -schulung und das Patientenempowerment.
Die Dringlichkeit solcher Maßnahmen zeigt sich am besten anhand der zu erwartenden Entwicklung. So prognostiziert eine Modellrechnung des Düsseldorfer Diabetes-Zentrums bis zum Jahr 2030 eine Zunahme der Diabetes-Prävalenz in der Gruppe der 55- bis 74-jährigen Männer um rund 79 Prozent. Bei den Frauen ist der Anstieg etwas geringer, liegt aber auch bei 47 Prozent. Damit dürfte die Zahl der Menschen mit Diabetes in Deutschland in diesem Zeitraum wohl um etwa eineinhalb Millionen steigen. Verhindern lässt sich dies, so hieß es in Leipzig, nur durch präventive Maßnahmen wie eine allgemein bessere Ernährung, eine Gewichtsreduktion und einen insgesamt gesünderen Lebensstil.
Thema Kostenfaktor
Vor dem Hintergrund der steigenden Prävalenz wird der Diabetes mellitus nach Prof. Dr. Andrea Icks, Düsseldorf, zunehmend auch zu einem gesundheitsökonomischen Problem. Schon im Jahr 2001 mussten für Diagnostik und Therapie der Erkrankung 14,6 Milliarden Euro aufgewandt werden. „Das entspricht 6,8 Prozent der Gesundheitsausgaben“, betonte die Medizinerin. Hinzu kommen nach ihren Aussagen Diabetes-assoziierte Kosten in Höhe von rund fünf Milliarden Euro pro Jahr.
Mehr Augenmerk muss vor diesem Hintergrund vor allem auf die kostenträchtigen Folgekomplikationen des Diabetes gerichtet werden. Ziel der Behandlung ist dabei eine möglichst normgerechte Blutzuckereinstellung, die jedoch nicht mit einer Gewichtszunahme und nicht mit vermehrten Hypoglykämien erkauft werden darf.
Hypoglykämien vermeiden
Das Vermeiden von Hypoglykämien bei der Diabetestherapie war eines der zentralen Themen beim diesjährigen Diabeteskongress. Denn althergebrachte Antidiabetika wie die Sulfonylharnstoffe senken zwar den Blutzucker, sind aber auch mit einem nicht unerheblichen Hypoglykämierisiko behaftet. Noch gravierender ist dieses Risiko, wenn die Patienten mit Insulin behandelt werden. Studien der vergangenen Jahre aber haben gezeigt, dass das vermehrte Auftreten von Unterzuckerungen das kardiovaskuläre Risiko der Typ-2-Diabetiker, das per se schon hoch ist, noch weiter steigert.
Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Menschen mit häufigen Hypoglykämien ein erhöhtes Risiko tragen, eine Demenz zu entwickeln.
Fast unisono sprachen die Diabetologen sich beim Kongress daher für moderne Behandlungsstrategien aus, die die körperlichen Regulationsmechanismen über das Glucagon-like-Peptid-1, kurz GLP-1, nutzen. Das Hormon wird nach der Nahrungsaufnahme im Darm gebildet und kurbelt die Insulinfreisetzung im Pankreas an. Es wirkt streng glukoseabhängig. Konkret bedeutet das: Ist keine Glukose vorhanden, so wird auch keine Insulinausschüttung angeregt und es droht somit keine Hypoglykämiegefahr.
Inzwischen gibt es Wirkstoffe mit unterschiedlichen Angriffspunkten, um die GLP-1-Wirkung zu nutzen. So kann durch GLP-1-Analoga die Wirkung des Darmhormons nachgeahmt werden, während DPP-4-Hemmer den GLP-1-Abbau hemmen. Beide Substanzklassen senken den Nüchternblutzucker sowie die postprandialen Blutzuckerwerte und auch das HbA 1c als Ausdruck der langfristigen Qualität der Glukoseeinstellung. Ein substanzspezifisches Hypoglykämierisiko gibt es nicht und die Wirkstoffe haben einen positiven Nebeneffekt. Sie führen, anders als beispielsweise Insulin, nicht zu einer Gewichtszunahme, vielmehr lassen speziell die GLP-1-Analoga als „Nebenwirkung“ sogar noch einige Pfunde purzeln.
Diabetes und Depression – gegenseitige Beeinflussung
Unabhängig von der Glukoseeinstellung gibt es beim Diabetes mellitus weitere Probleme, die oft noch unterschätzt werden. Immerhin leidet jeder dritte Typ-2-Diabetiker unter depressiven Verstimmungen oder einer manifesten klinisch fassbaren Depression, berichtete Prof. Dr. Johannes Kruse, Gießen, in Leipzig.
Diabetes und Depressionen sind nach seinen Angaben eng miteinander assoziiert und beeinflussen sich gegenseitig. So haben psychosomatische Faktoren Auswirkungen auf den Diabetes und umgekehrt kann ein Diabetes über endokrinologische und neuroimmunologische Prozesse Depressionen den Weg bahnen. Die Zusammenhänge sollen nunmehr im Forschungsverbund DIAMAND des Kompetenznetzes Diabetes näher untersucht werden. Die Forschungen sind nach Kruse bedeutsam, da Menschen mit Diabetes plus Depressionen eine erheblich eingeschränkte Lebensqualität aufweisen, in hohem Maße medizinische Hilfen in Anspruch nehmen und ein deutlich höheres Risiko tragen, arbeitsunfähig zu werden, als Diabetiker ohne begleitende Depressionen.
Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln