Vorfahrt Datenschutz
Das Streben nach einer qualitativ hochwertigen Versorgung des Patienten ist Kernbestandteil des zahnärztlichen Selbstverständnisses. Dieser Anspruch hat daher seinen Niederschlag in den berufs- und leistungsrechtlichen Regelungen gefunden, die die Grundlage der zahnärztlichen Berufsausübung bilden. So definiert die Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer (MBO-ZÄ) als Ziel der zahnärztlichen Tätigkeit, „die Qualität der zahnärztlichen Tätigkeit im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen“. Der Zahnarzt hat dabei im Rahmen seiner Berufsausübung für die Qualität seiner Leistungen persönlich die Verantwortung zu übernehmen und an Maßnahmen zur Qualitätssicherung teilzunehmen (Präambel und § 6 MBO-ZÄ).
Qualität als Teil des Selbstverständnisses
Um die Qualität der zahnärztlichen Leistungen stetig zu fördern, sind unterschiedliche Akteure, angefangen vom einzelnen Zahnarzt über die Zahnärztekammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) eingebunden. Sie befassen sich mit Inhalt und Umfang der zahnärztlichen Leistungserbringung, der Erarbeitung und Umsetzung von Qualitätsmanagementsystemen sowie Leitlinien und Qualitätsindikatoren. Im Zentrum der Aktivitäten zur Qualitätsförderung steht die Zahnärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (ZZQ).
Die Gewährleistung von Qualität in der Versorgung ist neben den berufsrechtlichen Anforderungen auch zentraler Bestandteil des vertragszahnärztlichen Leistungsrechts. Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind vom Zahnarzt in der fachlich gebotenen Qualität zu erbringen. Die Vertragszahnärzte sind dabei verpflichtet, die Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen sicherzustellen und weiterzuentwickeln (§ 70 Abs. 1 Satz 2 und § 135a Abs. 1 SGB V). Bewehrt ist diese Forderung mit Möglichkeiten der Wirtschaftlichkeitsprüfung, sollten die erbrachten Leistungen nicht den anerkannten Kriterien für ihre fachgerechte Erbringung entsprechen.
Und die Qualität wird laufend geprüft
Diese leistungsrechtliche Verpflichtung ist inhaltlich weitestgehend deckungsgleich mit den berufsrechtlichen Anforderungen an den einzelnen Zahnarzt. Der Gesetzgeber hat den KZVen aber noch darüber hinausgehende Aufgaben übertragen. Insbesondere sollen sie die Qualität der in der vertragszahnärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen durch Einzelfallstichproben prüfen (§ 136 Abs. 2 SGB V). Die Kriterien für die Beurteilung der Qualität der Stichproben sowie Vorgaben zu Auswahl, Umfang und Verfahren dieser Einzelfallprüfungen sollen dabei vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt werden. Die Grundlagen für derartige Qualitätsprüfungsverfahren in der vertragszahnärztlichen Versorgung werden zurzeit im G-BA erarbeitet.
Nimmt man bereits bestehende Verfahren zur Qualitätsprüfung im Einzelfall in der vertragsärztlichen Versorgung als „Vorbild“, werden auch die KZVen nach dem Zufallsprinzip Behandlungsakten von Zahnärzten anzufordern und einem Qualitätsprüfungsgremium in der KZV vorzulegen haben.
Inhalt und Umfang der Qualitätsprüfungen nach § 136 Abs. 2 SGB V fußen dabei maßgeblich auf patientenbezogenen Daten aus der zahnärztlichen Behandlungsdokumentation. Anhand der schriftlichen Dokumentation sowie der dazugehörigen bildgebenden Diagnostik lassen sich die vorgenommenen Behandlungen mit den hierzu vom G-BA festgelegten Qualitätsbeurteilungskriterien abgleichen.
Konflikt mit Patientenrechten
Die Umsetzung dieser Qualitätsprüfungsverfahren eröffnet jedoch ein Spannungsfeld zwischen dem gesetzgeberischen Anliegen der auf Patientendaten basierenden Qualitätssicherung und dem Schutz eben dieser Daten. Denn sind die Patientendaten auf der einen Seite der wesentliche und notwendige Bestandteil der Qualitätsprüfungsverfahren, so ist auf der anderen Seite der Schutz dieser Daten sowohl wesentlicher Bestandteil des Vertrauensverhältnisses zwischen Zahnarzt und Patient als auch Kern des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten. Kennzeichen des Vertrauensverhältnisses zwischen Zahnarzt und Patient ist das Schweigegebot des Zahnarztes. Der Zahnarzt hat die Pflicht, über alles, was ihm in seiner Eigenschaft als Zahnarzt anvertraut und bekannt geworden ist, gegenüber Dritten Verschwiegenheit zu wahren (§ 7 MBO-ZÄ). Die Sicherung dieses berufsrechtlichen Gebots findet sich auch in den Normen des Strafrechts wieder. Denn wer als Zahnarzt unbefugt ein ihm zum persönlichen Lebensbereich eines anderen gehörendes Geheimnis offenbart, das ihm im Zuge seiner Berufsausübung anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, verwirklicht den Straftatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Die Daten gehören dem Patienten
Die Daten des Patienten unterliegen darüber hinaus, bereits aufgrund ihrer Eigenschaft als personenbezogene Daten, einem besonderen rechtlichen Schutz, der in diametralem Verhältnis zur Zielrichtung der Verwendung dieser Daten für die Qualitätssicherung steht: dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Abgeleitet wird dieses Recht aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem obersten Wert des Grundgesetzes, der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat zum ersten Mal im Jahr 1983 ausdrücklich ein „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ anerkannt. Wurde dieses Recht einst im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Prüfung des Volkszählungsgesetzes hergeleitet, bildet es seitdem die Grundlage jeglicher datenschutzrechtlicher Prüfungen (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, Az.: 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ermöglicht dem Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es bietet somit Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von persönlichen Daten. Zwar ist dieses Recht nicht schrankenlos, das heißt unbegrenzt, gewährleistet. Denn der Einzelne hat nicht ein Recht auf absolute und uneinschränkbare Herrschaft über „seine“ Daten, sondern muss als Teil eines sozialen Gefüges Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbst- bestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.
Jedoch ergeben sich aus diesem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zwei zentrale Verpflichtungen des Gesetzgebers sowie weiterer Normgeber, wenn sie Regelungen über die Verwendung personen- bezogenen Daten erlassen. Als sogenannter „untergesetzlicher Normgeber“ ist auch der G-BA an die folgenden Grundsätze gebunden. Zum einen bedarf es zur Regelung der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten ausdrücklicher Rechtsgrundlagen. Zum anderen muss der Umfang der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten auf ein möglichstes Mindestmaß beschränkt werden und die Verwendung sogenannter Klardaten, die weder anonymisiert noch pseudonymisiert wurden, – soweit es geht – vermieden werden.
Ein Gleichrangigkeitsverhältnis zwischen Qualitätssicherung und Datenschutz, das je nach Zweck ausbalanciert werden muss, besteht aufgrund der unmittelbaren verfassungsrechtlichen Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht. Das oftmals in der Diskussion um Verfahren der Qualitätssicherung gebrauchte Bild einer Waage, die die gegensätzlichen Zielrichtungen von Datenschutz und Qualitätssicherung zum Ausgleich bringen muss, ist bei näherer Betrachtungsweise nicht mehr stimmig. Denn der Datenschutz hat aufgrund des verfassungsrechtlich abgeleiteten Schutzraums gerade nicht in dem Maß zurückzutreten, wie es für die Qualitätssicherung erforderlich ist. Vielmehr hat sich die Qualitätssicherung immer an dem datenschutzrechtlichen Rahmen auszurichten.
Datenschutz geht vor
Für die Qualitätsprüfungverfahren nach § 136 Abs. 2 SGB V hat der Gesetzgeber folgerichtig entsprechende Vorgaben gemacht. Zentralnorm für die patientenbezogenen Daten ist hierbei die Regelung des § 299 SGB V. Der G-BA wird hierin verpflichtet, in seinen Richtlinien die- jenigen Daten dezidiert festzulegen, die für die Qualitätsprüfungen zwingend erforderlich sind. Dabei ist es nicht ausreichend, allgemeine Regelungen zu erlassen, die den umsetzenden Ebenen einen Entscheidungsspielraum einräumen. Vielmehr hat der G-BA die Daten abschließend und konkret auf das jeweilige Qualitätsprüfungsverfahren bezogen zu benennen. Dazu hat er darzulegen, aus welchen fachlichen Gründen die Daten für die Qualitätsprüfungen erforderlich sind.
Eine Verwendung der patientenbezogenen Daten in ungefilterter Form ist vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen worden. Denn vor Weitergabe an die KZV hat der Zahnarzt die patientenbezogenen Daten zu pseudonymisieren, das heißt mit einem dem jeweiligen Patienten zugeordneten Pseudonym zu versehen, um eine Identifi-kation des einzelnen Patienten durch das Qualitätsprüfungsgremium auszuschließen.
Dieses Verfahren sichert zum einen das Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient ab, zum anderen wird so der Anspruch des Patienten auf umfänglichen Schutz seiner Daten gewährleistet.
Ass. iur. Christian NobmannStellvertretender Leiter der Abteilung „Koordination G-BA“ der KZBVBehrenstr. 4210117 Berlin