Ein Odontom als Durchbruchhindernis
Ein sechzehnjähriger Patient wurde vom Hauszahnarzt mit der Bitte um Abklärung einer Nichtanlage von Zahn 35 überwiesen. Der Patient wies zum Behandlungszeitpunkt keine Allgemeinerkrankungen oder sonstige Symptome wie Schwellung oder Schmerzen auf. Ein zeitlich zurückliegendes Trauma im Schädelbereich lag nicht vor. Familienanamnestisch bestanden ebenfalls keine Erkrankungen.
Während der routinemäßig durchgeführten Röntgenübersichtsaufnahme zeigte sich ein retinierter und verlagerter Zahn 35 mit einer distokranial gelegenen intraossären Veränderung. Das Wurzelwachstum des Zahnes 35 war noch nicht vollständig abgeschlossen.
Röntgenologisch stellte sich die intraossäre Veränderung mit zentraler schmelz- und dentindichter Verschattung und interponierten Aufhellungsarealen dar. Zahnähnliche Strukturen waren nicht zu erkennen. Die Abgrenzung gegen den umgebenden Knochen erfolgte durch einen strahlentransparenten Randsaum, was auf eine – zumindest teilweise – abgekapselte Veränderung hindeutete (Abbildung 1).
Das röntgenologische Erscheinungsbild der Veränderung in Assoziation zu einem retinierten Zahn legte die Verdachtsdiagnose eines Odontoms vom komplexen Typ nahe.
Zur genauen Lagebestimmung der intraossären Veränderung sowie des retinierten Zahnes 35 wurde ein Dentales Volumentomogramm (DVT) angefertigt. Gut sind die enge Lagebeziehung der Wurzel von Zahn 35 zum apikal gelegenen Nervus alveolaris inferior und die dichte Lage der leicht nach lingual verlagerten Krone von Zahn 35 zur Wurzel des Zahnes 34 erkennbar (Abbildungen 2a und 2b). Es sind leichte Zeichen einer Verdrängung im Wurzelbereich zwischen den Zähnen 34 und 36 ersichtlich.
Nach durchgeführter Diagnostik und Festlegung des operativen Vorgehens erfolgte mittels Kieferkammschnitt mit mesialer Entlastung an Zahn 34 die Darstellung der intraossären Veränderung. Durch die partielle Entfernung der Gewebekapsel war das Konglomerat aus dentinartigen und schmelzartigen Bestandteilen gut erkennbar (Abbildung 3).
Aufgrund der Beweglichkeit innerhalb der Kapsel konnte die Veränderung leicht entfernt werden (Abbildung 4a). Bei der histopathologischen Untersuchung des entnommenen Gewebes zeigten sich ungeordnete Anteile von tubulärem Dentin, Schmelz sowie myxoides, teils gefäßführendes Pulpagewebe mit der abschließenden Diagnose: „Odontom, komplexer Typ, klinisch regio 35“ (Abbildung 4b).
Die starke Abweichung von der regulären Durchbruchrichtung und die tiefe Retention, ließen eine spontane Eruption des Zahnes 35 mit Einstellung in den Zahnbogen nicht erwarten. Daher wurde die Krone des Zahnes 35 unter Schonung der Schmelz-Zement-Grenze und der Nachbarstrukturen freigelegt. Eine Schädigung der Schmelz-Zement-Grenze musste unter allen Umständen vermieden werden, da dies zu Resorptionen und zu einer Ankylose führen kann [Stöckli et al., 2001].
Die adhäsive Befestigung einer Zugvorrichtung, in diesem Fall eine Kette mit Drahtnetz stellte das Mittel der Wahl dar (Abbildung 5). Dadurch wird eine gezielte orthodontische Bewegung des Zahnes ermöglicht. Als Wundverschluss dienten Einzelknopfnähte, die bei stadiengerechter Wundheilung eine Woche postoperativ entfernt werden konnten.
Der durch die Entfernung des Odontoms künstlich geschaffene Eruptionskanal, sichert zusätzlich eine gute und schnelle Wiedereinstellung des retinierten Zahnes 35 in den Zahnbogen. Es konnte mit der kieferorthopädischen Behandlung begonnen werden.
Diskussion
Das Odontom stellt einen der häufigsten odontogenen Tumoren dar. Die Angaben in der Literatur reichen von 21 Prozent bis 75,9 Prozent [Soluk-Tekkesin et al., 2011; Buchner et al., 2006]. Es findet sich im jugendlichen Lebensalter von 20 Jahren am häufigsten. Die stark schwankenden Angaben der Literatur bezüglich der geschlechterspezifischen Häufigkeitsverteilung machen eine abschließende Aussage dazu unmöglich.
Man unterscheidet drei Formen des Odontoms:
• das komplexe Odontom,
• das zusammengesetzte Odontom und
• das ameloblastische Odontom [Barnes et al., 2005].
Das komplexe Odontom wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD10-Code) mit dem Code „D16.51 Mandible, odontogenic tissues“ verschlüsselt [WHO, 1995] und beschrieben als „Malformation, in welcher alle odontogenen Gewebe vorhanden sind. Einzelne odontogene Gewebe sind gut ausgebildet, aber kommen in einer mehr oder weniger ungeordneten Zusammensetzung vor“ [Kramer et al., 1992]. Es findet sich am häufigsten im posterioren Bereich des Unterkiefers, typischerweise im Prämolarenbereich [Amado Cuesta et al., 2003; Reichart, 2002].
Das zusammengesetzte – oder auch compound Odontom genannt – als eine weitere Form des Odontoms unterscheidet sich vom komplexen Odontom dadurch, dass gleichfalls alle Zahnbestandteile ausgebildet sind, diese aber in verkleinerter Form als fertig ausgebildeter Zahn (Odontoid) vorliegen. Am häufigsten ist es im anterioren Oberkiefer lokalisiert [Kramer et al., 1992].
Eine dritte Form des Odontoms stellt das sehr seltene ameloblastische Odontom oder auch Odontoameloblastom dar. Es handelt sich dabei um eine Neoplasie, die zusätzlich zu odontogenem Ektomesenchym noch ein odontogenes Gewebe enthält, das in Struktur und Wachstumsverhalten an ein Ameloblastom erinnert. Aufgrund des vorhandenen Ektomesenchyms kommt es in einzelnen Tumoranteilen zur induktiven Bildung vom Zahnbestandteilen wie Schmelz und Dentin. Da sich aber das ameloblastische Odontom in Bezug auf seine Morphologie eher als ein Ameloblastom darstellt, wurde die Bezeichnung von der WHO in ameloblastisches Fibroodontom geändert [Alka et al., 2011].
Die genaue Ätiologie eines Odontoms ist bislang ungeklärt. In der Literatur werden verschiedene Ursachen wie Infektion, Vererbung und genetische Mutation angeführt [Owe et al., 1997]. Studien zeigen, dass auch ein Trauma während der Zahnentwicklung eine der Ursachen für das Auftreten eines Odontoms darstellen kann [Güngörmüs et al., 2010].
Während der Entstehung eines Odontoms sind drei Stadien in der Literatur beschrieben. In der frühen Phase erscheint das Odontom aufgrund mangelnder Mineralisation strahlentransparent und ist deshalb radiologisch schwer von einem ameloblastischen Fibrom abzugrenzen. Die zweite Entwicklungsphase ist von partieller Mineralisation geprägt. Die Abgrenzung zu einem ossifizierenden oder zementierenden Fibrom kann in dieser Phase schwer fallen. In der letzten Phase ist die Mineralisation abgeschlossen und die Läsion von einer mehr oder weniger starken Gewebekapsel umschlossen [Garcia-Consuegra et al., 2000].
Als Therapie steht die konservative chirurgische Entfernung im Vordergrund, wobei die Rezidivrate eines ameloblastischen Fibroodontoms als sehr gering eingestuft wird. Das komplexe Odontom und auch das zusammengesetzte Odontom weisen in der Regel keine Rezidive auf [Reichart, 2002].
Häufig sind Odontome mit Diastemas oder verlagerten und retinierten Zähnen assoziiert. In der Literatur schwanken die Angaben zwischen 55,4 Prozent und 87 Prozent [Hidalgo-Sánchez et al., 2008; Tomizawa et al., 2005].
Falls nach der Entfernung eines Odontoms eine spontane Eruption verlagerter oder retinierter Zähne mit Einstellung in die Zahnreihe nicht zu erwarten ist, werden diese freigelegt. Man unterscheidet grundsätzlich zwei Vorgehensweisen, die offene und die geschlossene Methode. Hinsichtlich der langen Nachbehandlungszeit mit häufigem Tamponadewechsel, kam im oben gezeigten Fall die geschlossene Methode zur Anwendung. Die Vorteile dieser Methode bestehen auch in der postoperativen kompletten Bedeckung des Wundgebiets und der Möglichkeit einer zielgerichteten orthodontischen Bewegung des Zahnes durch die befestigte Zugvorrichtung.
Dr. med. dent. Alexander Alter
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