Die Pille davor
Zugelassen als Arzneimittel zur Behandlung HIV-Infizierter ist Truvada in den USA und auch in Deutschland bereits seit einigen Jahren – nun soll es in den Vereinigten Staaten auch zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) – also vorbeugend – verwendet werden. Die Pille wird vom Pharmaunternehmen Gilead Sciences produziert und basiert auf den Wirkstoffen Emtricitabin und Tenofovir. Mitte Mai sprach das „Beratungskomitee für antivirale Arzneimittel“ Truvada qua Mehrheitsentscheidung eine Zulassungsempfehlung zur Prophylaxe aus.
Der Expertenausschuss stützt seine Entscheidung auf mehrere Studien. Eine wurde unter HIV-negativen, homosexuellen Männern zwischen 2007 und 2009 in Brasilien, Ecuador, Peru, Südafrika, Thailand und den USA durchgeführt. Dabei nahm ein Teil der Probanden regelmäßig Truvada ein, eine Kontrollgruppe erhielt ein Placebo. Ergebnis: Die Truvada-Testpersonen wiesen bei regelmäßiger Einnahme bis zu 73 Prozent weniger Infektionen auf, bei unregelmäßiger Einnahme waren es noch 44 Prozent. Zwei andere Untersuchungen wurden unter heterosexuellen Paaren in Kenia beziehungsweise Botswana durchgeführt und lieferten annähernd die gleichen Erkenntnisse: Das Risiko, sich beim Partner mit dem HI-Virus anzustecken, sank bei den behandelten Personen um rund zwei Drittel.
Allerdings gibt es auch Untersuchungen mit negativen Ergebnissen. Eine Truvada-Studie unter Frauen in Kenia, Südafrika und Tansania wurde laut „Deutschem Ärzteblatt“ im vergangenen Jahr abgebrochen, weil sich nach einer Zwischenauswertung herausstellte, dass sich bei ihnen keine Schutzwirkung einstellte.
Experten haben Bedenken
Holger Wicht, Sprecher der Deutschen AIDS-Hilfe, warnt vor zu großen Hoffnungen: „Truvada ruft definitiv eine Schutzwirkung hervor. In den Studien hatten aber viele Menschen Probleme, es regelmäßig einzunehmen, so dass es nicht richtig wirken konnte. Und selbst bei konsequenter Einnahme bietet es deutlich weniger Sicherheit als Kondome, deren Schutzwirkung bei 95 Prozent liegt.“ Truvada sei ganz sicher keine geeignete Maßnahme zum Schutz breiter Bevölkerungsschichten, erklärt Wicht. Weitere Forschung müsse nun zeigen, ob das Arzneimittel für spezielle Zielgruppen mit hohem HIV-Risiko dennoch einen Nutzen haben könnte. Dazu könnten zum Beispiel Frauen in patriarchalen Gesellschaften gehören, die nicht immer Einfluss darauf hätten, ob ihre Partner Kondome verwenden. Zudem sei laut Wicht der prophylaktische Einsatz von Truvada bei Gesunden ethisch problematisch, weil er mit hohen Kosten verbunden sei – bei einer Behandlung in den USA über 1 000 Dollar im Monat – und zugleich weltweit circa acht Millionen HIV-Infizierte noch keinen Zugang zu Medikamenten hätten, die sie dringend benötigen. „Deshalb ist es sinnvoller, mit dem Geld erst einmal Arzneimittel für HIV-Positive bereitzustellen.“
Es gibt darüber hinaus Bedenken, dass sich viele Menschen ganz auf die Pille verlassen und weniger Kondome benutzen, die außer vor HIV auch vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützen. „Ich befürchte, dass Männer das Mittel nur unregelmäßig einnehmen, ein falsches Gefühl von Sicherheit bekommen und zu größeren Risiken in ihrem Sexualverhalten tendieren“, gibt sich Joey Terrill von der Aids Healthcare Foundation gegenüber der „Financial Times“ skeptisch.
Allerdings gibt es auch positive Stimmen zur Zulassungsempfehlung von Truvada. Mitchell Warren, Vorsitzender der US-Anti-Aids-Organisation AVAC, erklärt: „Das bringt uns einem Wendepunkt in der globalen HIV-Prävention näher. PrEP wird einen bedeutenden Beitrag zur Ausrottung von Aids leisten. Für die Millionen HIV-Gefährdeten bringt jede neue Vorbeugungsmöglichkeit zusätzliche Hoffnung.“ eb