Prügelknaben
Meiner ist gut! Alle anderen zocken ab! Das Vorurteil ist so alt wie unausrottbar. Bevorzugt zur Saure-Gurken-Zeit wird die Mär vom geldgierigen Zahnarzt wieder aus der medialen Versenkung geholt und zur Belustigung des schenkelklopfenden Publikums aufgebauscht. Bevorzugt die Zeitung mit den vier Großbuch staben zieht gerne den „Schachterlteufel“ zum Draufhauen aus der Kiste. Bedenklich stimmt, dass sich zwischenzeitlich auch ansonsten seriöse Meinungsblätter (vergleiche SZ: „Mundpropaganda“ vom 2.06.12) beim Zahnärzte-Bashing einreihen. Die Zeit scheint auch dem Blatt aus dem Süden angesichts von gehört „unerhört hohen“ Honorarzuwächsen, wie von der schwarz-gelben Regierung der Wahlklientel zugeführt, reif dafür.
Das Drehbuch für derartige Vorstellungen ist immer gleich: Man nehme einen Schreiber-Kollegen, der mit brauchbarem Kauwerkzeug und flotter Feder auf die Reise geschickt wird, um der Restbevölkerung das Gruseln zu lehren. Dieser Undercover-Ermittler will sich laut Regieanweisung ein „Hollywood-Gebiss“ anfertigen lassen.
Das Dilemma: Der Mann besteht mit Nachdruck darauf, behandelt zu werden, obwohl kein medizinischer Bedarf besteht. Da der angefragte Zahnarzt ja nicht weiß, dass er einem „Wir-verstehen-keinen-Spass“-Lockvogel aufsitzt, müsste er den selbst ernannten Patienten eigentlich an einen Kollegen von der Psycho-Abteilung überweisen.
Kein normaler Mensch begibt sich freiwilligauf den Behandlungsstuhl. Unbestritten sind die Übergänge zwischen behandlungsnotwendigen Persönlichkeitsstörungen und rein ästhetischen Wünschen fließend. Die Verschönerung von Gebissen, ein strahlendes Lächeln, ist vielen Menschen etwas wert.
Hier liegt der Denkfehler der Zahnarzttester: Wert bemisst sich jenseits der medizinischen Grundversorgung in einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft nun mal in Geld. Da mag es im Einzelfall beim Preis-Leistungs-Vergleich durchaus Übertreibungen geben. Für Ausreißer in der Qualität nach unten und im Preis nach oben ist die berufsständische Selbstverwaltung zuständig. Über den Preis generell zu lamentieren, verbietet der Blick auf die Autoindustrie. Ein Porsche ist im Prinzip genauso gut als Transportmittel geeignet wie ein Golf, ohne dass sich auf dem KFZ-Markt eine Neidkultur gegenüber dem Autohaus ausgebildet hätte.
Anders beim Träger von Veneers. Dort wird der Konstrukteur und Verkäufer als Abzockerbeschimpft. Da wird eine Gebührenordnung bemängelt, die auf Berechnungen basiert, die – mit Verlaub – nach Jahrzehnten verweigerter Anpassung eine angemessene Honorierung wohl nicht mehr auf Augenhöhe abbildet. Der Zahnwunsch-Kandidat mutiert zum armen Tropf, der vom Zahnarzt grausam verstümmelt wird und dafür auch noch teuer bezahlen muss. Richtig bemitleidenswert!
Aber hoppla, wo ist der mündige Bürger abgeblieben? Stattdessen werden zur Ausschmückung der Sensationsstory sämtliche Klischees bemüht. Die Praxis wirkt sauber, das Personal freundlich, die Räume angenehm? Vorsicht! Es handelt sich um eine „Kuschelpraxis“, so die eindringliche Warnung. Alles ist nur darauf angelegt, den Patienten zu umgarnen. Der Zahnarzt engagiert sich ehrenamtlich für soziale Projekte? Alles Tarnung, um die Geldgier zu verschleiern. So sind und bleiben Zahnärzte im Bild der Öffentlichkeit die Prügelknaben.
Nur der Zahnarzt in der Nachbarschaft ist vom Universalverdikt ausgenommen. Den kennt der Aufdeckungsjournalist ja aus eigener positiver Erfahrung. Da gibt es eine natürliche Beißhemmung, selbst beim schärfsten Zahnarztfresser und Schreibtisch-Revoluzzer.
Was bleibt, ist Zähneknirschen über soviel Unsinn, bis es weh tut. Aber dann braucht es doch wieder zahnärztlicher Hilfe.