Keine Umkehr der Beweislast
Sehr geehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege,
„Über die Haltung von Bienenschwärmen gibt es mehr Vorschriften“, soll Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei Vorlage des Entwurfs zum Patientenrechtegesetz gesagt haben. Die Justizministerin will auf diese Weise den in ihren Augen gesetzlichen Handlungsbedarf rechtfertigen. Ob das faktisch betrachtet Lob oder Tadel für die belegt gut funktionierende Vertrauensbeziehung von Zahn-/Ärzten und Patienten bedeutet, ist eigentlich keine Frage des politischen Standpunktes. Denn notwendig ist das Vorhaben, das haben wir aus Sicht der Heilberufe immer wieder fachlich belegt, sicherlich nicht. Aber sachliche Argumentation reicht eben nicht immer aus, politisches Handeln auf die richtige Bahn zu bringen.
Dass der Hinweis auf ein funktionierendes System im politischen Kräftemessen – hier die Ärzte und die weit überwiegende Zahl zufriedener Patienten, dort die nach Kontroll-Bausteinen gierenden Krankenkassen und ein auf höchstes Sicherheitsdenken ausgelegter Gesetzgeber – nicht greift, ist gegenwärtig wohl Fakt.
Das jetzt im Entwurf vorgelegte, als Sammelsurium angelegte Patientenrechtegesetz – es wird sich in seinen Auswirkungen in verschiedenen Gesetzbüchern, unter anderem im BGB niederschlagen – ist gelinde gesagt alles andere als ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Für uns Zahnärzte wird es künftig erhebliche Verpflichtungen bringen, die berücksichtigt werden müssen. Beispielsweise im Bereich Dokumentation, bei der Aufklärung des Patienten über mögliche Behandlungsfehler, über mögliche finanzielle Eigenbeteiligungen oder die explizite Einwilligung des Patienten.
Nichts Neues? Sicher, so haben BZÄK und KZBV auch argumentiert. Genau das ist auf der zahnärztlichen Schiene mit ihren befundorientierten Festzuschussmodellen praktizierter Alltag. Wozu dann noch Gesetze, fragt sich der vernunftbegabte Zeitgenosse? Dass der Entwurf in diesen Punkten den Besonderheiten der zahnmedizinischen Versorgung eben nicht Rechnung trägt, dass er nicht berücksichtigt, dass Zahnarzt und Patient gemeinsam die passende Therapieentscheidung treffen müssen, reichte nicht für die Herausnahme der Zahnmedizin aus dem allgemeinärztlichen legislativen Sog.
Immerhin scheint es gelungen zu sein, die ursprünglich geplante generelle Umkehr der Beweislast zu verhindern. Ein partieller Erfolg. Denn eine generelle Verschuldensvermutung beziehungsweise Gefährdungshaftung des Zahnarztes wäre der Weg in eine Defensivmedizin, in der bestimmte diagnostische oder therapeutische Maßnahmen alleine zur Vermeidung eventueller Haftungsrisiken durchgeführt oder unterlassen würden. So haben sich weder Patient, noch Zahnarzt, aber sicherlich auch kein Politiker den Weg in eine patientengerechtere Welt der medizinischen Versorgung vorgestellt.
Es bleibt dabei: Wer eine gute zahnmedizinischen Versorgung will, muss gewisse Grundsätze berücksichtigen. Dazu gehört auch, dass jede Behandlung selbstverständlich auch der Erzielung eines Erwerbseinkommens dient. Da gibt es kein Vertun!
Aber jede Behandlung muss zumindest in gleichem Maße dem vitalen Interesse des Patienten dienen. Und der ist auf die Qualifikation des Zahnarztes und seine darauf aufbauende Hilfeleistung angewiesen.
Wer hier eins und eins zusammenzählt, kommt zu dem vernünftigen Ergebnis, dass das Interesse beider Partner an der Behandlung grundsätzlich gleichgelagert ist. Eine einseitige Zuordnung der Haftungsrisiken auf den Zahnarzt hilft in der Sache nicht weiter, sondern behindert nur den Erhalt qualitativ hochwertiger Zahnmedizin. Sie schafft zusätzliche Hemmnisse und noch mehr Bürokratie.
Und es widerspricht dem, was Patient und Zahnarzt eigentlich wollen: In kompetenter Absprache und intaktem Vertrauensverhältnis Gesundheit zu erhalten und wieder herzustellen. Bleibt zu hoffen, dass die Politik wenigstens diesen Weg beibehält und zumindest hier Vernunft regiert – für Patienten und Zahnärzte.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer