Gesundheit als Joker
„Wieder sehen wir betroffen, den Vorhang zu – und alle Fragen offen...“. Wie gut passt das Zitat aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ doch auf die aktuellen politischen Ereignisse. Hatten viele Akteure der Gesundheitspolitik der Bundestagswahl mit Spannung entgegen gefiebert, ist man nun keineswegs klüger. Ist der Systemwechsel zur Bürgerversicherung vom Tisch oder wird dieser gar der Preis für das Zustandekommen einer Regierung? Die Spannung bleibt, auch wenn der Wahlkampf alles andere als spannend war.
Festhalten lässt sich, dass das entschiedene Eintreten – vor allen durch Deutschlands Ärzte und Zahnärzte – gegen linkspolitische Bürgerversicherungs-Phantasien nicht ohne Wirkung blieb. Die Argumente, die schließlich selbst aus dem Lager der Befürworter gegen eine schnelle Einführung einer Bürgerversicherung sprachen, dürften jenseits des ideologischen Fahnenschwenkens im Wahlkampf jetzt noch mehr verfangen.
Fragt man die Politik- und Parteienforscher, könnte mancher Gesundheitspolitiker richtig ins Grübeln kommen. Die Analyse ist eindeutig: Gesundheitspolitik spielte im Wahlkampf nahezu keine Rolle. Sie hat folglich die Entscheidung der Bürger kaum beeinflusst. Gute Konjunktur und überquellende GKV-Kassen sowie das immer noch beste Gesundheitswesen der Welt haben entspannend gewirkt. Experten bestätigen aber auch, dass die funktionierende Selbstverwaltung unseres hochkomplexen Gesundheitswesens dafür sorgt, dass dieses Feld sich nur schlecht für parteipolitische Strategiespiele eignet. Aber wird das auch so bleiben? Aus verschiedenen Gründen muss man hier ein großes Fragezeichen setzen.
Fakt ist, dass drängende Fragen der langfristigen Gestaltung der gesetzlichen Gesundheitsversorgung weiterhin offen sind. Statt nachhaltige Lösungen und mehr Eigenverantwortung in einem sensiblen gesellschaftlichen Prozess anzustreben, herrscht jenseits des bürgerlichen Lagers vor allem die Tendenz vor, Umverteilungsprozesse und planwirtschaftliche Lösungen zu suchen. Private Versicherung sowie Grundsätze freiberuflicher Tätigkeit werden absehbar auch künftig zur Disposition gestellt. Eine Ethik, die Eigenverantwortung und Berufsethos zum Inhalt hat, wird es weiterhin schwer haben. Und das, obwohl gerade jene Werte maßgeblich sind, dass Gesundheit bei uns aktuell kein politisches Schlachtfeld sein muss. Wie es auch anders geht, sieht man übrigens gerade in den USA.Dieses Beispiel zeigt, wie sich gesundheits- und sozialpolitische Themen funktionalisieren lassen, politische Blockaden zu erzeugen. Zu vermuten, dass das bürgerliche Lager ohne absolute Mehrheit in einer wie auch immer gearteten Koalition friedlich durchregieren kann, scheint naiv. Neuwahlen zu erzwingen, würde SPD oder Grünen wohl nicht gut bekommen. Dass man aber bereits jetzt über Sollbruchstellen eines künftigen Regierungsbündnisses nachdenkt, halten selbst renommierte Parteienforscher wie der Berliner Prof. Oskar Niedermayer für wahrscheinlich. Dabei könnte eben die Gesundheitspolitik durch Schüren von Sozialneid und Versorgungsängsten das gewünschte Konfliktpotential erzeugen. Unter diesem Aspekt scheint es auch nicht unwahrscheinlich, dass der kleine Koalitionspartner gerne zum Gesundheitsressort greifen würde, um es mit einer streitbaren Person wie beispielsweise Prof. Lauterbach oder der selbsternannten „Bürgerversicherungsarchitektin“ Andrea Nahles zu besetzen. Nach spätestens zwei Jahren könnte es dann knallen.
Dennoch: Die Hoffnung, dass Vernunft die Oberhand behält und eben die aus Selbstverwaltung, Freiberuflichkeit und die Verantwortung für den Menschen gewachsene Struktur des Gesundheitswesens dafür sorgt, dass diese bei uns nicht zum vermeintlichen Joker politischer Richtungsentscheidungen wird, ist nach den jüngsten Erfahrungen durchaus begründet.
GastkomKommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.