Erfolgsstory Neuromodulation und lernende Computer
Das Gehirn arbeitet üblicherweise asynchron, wobei die Neurone nur schwach miteinander in Verbindungen stehen. Dies ändert sich bei chronischen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen wie etwa der Migräne, Depressionen, der Epilepsie und auch beim Tinnitus. „Bei diesen Störungen bildet sich in aller Regel eine synchrone neuronale Aktivität“, so die Aussage von PD Dr. Christian Hauptmann vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin in Jülich.
Im Gehirn den Reset-Knopf drücken
Die synchrone Aktivität der Neurone verstärkt deren Kopplung untereinander und es können Koinzidenzen entstehen. Dies kann man sich bei der Behandlung offensichtlich zunutze machen: Ein neuer Ansatz versucht, das pathologische synchrone Muster wieder aufzuheben, also die Hirntätigkeit wieder zu desynchronisieren. „Das ist so, als würde man im Gehirn den Reset-Knopf drücken“, erläuterte der Neurophysiologe. Hervorrufen lässt sich ein solcher Effekt durch die sogenannte CR-Neuromodulation (Coordinated Reset), bei der das Gehirn im synchronen Fokus mit periodischen Stimulationen konfrontiert wird.
Die Jülicher Forscher stimulieren dabei zeitversetzt vier Regionen im synchronen Fokus. Dieser gerät dadurch wie geplant aus dem Takt, wird also desynchronisiert und tickt somit – zumindest nach wiederholter Behandlung – wieder richtig.
Erste Erfolge mit dem neuen Verfahren wurden nach Hauptmann beim Tinnitus bereits erzielt: „Die Ohrgeräusche sind nicht komplett verschwunden, aber bei drei Viertel der Patienten deutlich geringer geworden“, sagte der Mediziner.
Nur mit Gedanken den Rollstuhl steuern
Spektakulärer noch sind die Neuerungen, mit denen die Neurophysiologen Menschen mit kompletter Lähmung, also Patienten mit einem Locked-in-Syndrom, das Leben erleichtern wollen. So gibt es schon länger technische Systeme, die die Hirnsignale dieser Patienten entschlüsseln und in Aktionen umsetzen können. Das aber hat bislang ein langes und intensives Training vorausgesetzt. Die Patienten mussten lernen, sich der Maschine verständlich zu machen. Nun soll der umgekehrte Weg beschritten werden: „Wir arbeiten an lernenden Computern, die typische EEG-Muster erkennen und direkt umsetzen“, so Prof. Dr. Gabriel Curio, Berlin.
Möglich wird diese Entwicklung durch sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCI), die elektrische Hirnaktivitäten und typische EEG-Muster des Nutzers entschlüsseln und anwenden. Die moderne „Gedankenübertragung“ funktioniert dabei weit schneller als das frühere mühsame Lernen: „Nach einer Kalibrationsphase von weni- ger als 20 Minuten sind die ersten allein Gedanken-gesteuerten Aktionen möglich“, weiß Curio. Dadurch können zum Beispiel Menschen mit Locked-in-Syndrom erheblich schneller als bislang eine „mentale Schreibmaschine“ nutzen.
Außerdem erlaubt die neue Technologie zunehmend auch Anwendungen, die rasche Reaktionen erfordern, wie es zum Beispiel beim Steuern eines Rollstuhls der Fall ist. Das war bislang allein per Gedankenkraft nicht möglich. Dank der neuen Entwicklung aber lassen sich die motorischen Absichten des Patienten vom Computer nunmehr auch allein aufgrund der EEG- Signale in Echtzeit erfassen und direkt umsetzen.
Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Kölninfo@christine-vetter.de