Balance schaffen – Synergien wecken
zm: Die neue Legislaturperiode hat begonnen und bis Ende November soll der Koalitionsvertrag stehen. Welche Forderungen stellt die KZBV an die neue Gesundheitspolitik?
Dr. Eßer:
Schon an der Auswahl der neuen Gesundheitsministerin respektive des neuen Gesundheitsministers werden wir erkennen können, welche Prioritäten die neue Regierung in der Gesundheitspolitik setzen wird. Seitens der KZBV haben wir frühzeitig, ein Jahr vor der Bundestagswahl, unsere Agenda Mundgesundheit aufgestellt, die Leitfaden für unsere politische Arbeit ist. Wir haben auf dieser Grundlage mit der BZÄK gemeinsame Positionen der Zahnärzteschaft für die neue Legislaturperiode zusammengefasst und diese in die Koalitionsverhandlungen zum Thema Gesundheit und Pflege eingebracht. Ich will einmal die wichtigsten Punkte herausgreifen.
Unerlässlich ist es nach meiner Auffassung, dass das duale System von GKV und PKV weiterentwickelt und reformiert wird, denn es ist Garant für die hohe Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Aber in beiden Bereichen herrscht Handlungsbedarf, beide Seiten müssen wettbewerbsfähig und vor allem demografiefest gemacht werden. Wir sprechen hier von der Notwendigkeit einer reformierten Dualität.
Zur Demografiefestigkeit gehört auch, dass die über 50 Jahre alte Approbationsordnung endlich novelliert wird. Die Anforderungen, die durch die Versorgung und durch den medizinischen Fortschritt an den Berufsstand gestellt werden, sind einem Wandel unterzogen. Die Strukturen und Inhalte der studentischen Ausbildung müssen dringend an diese Entwicklungen angepasst werden.
Uns geht es – als weiterer wichtiger Schwerpunkt – um die Sicherung des Rechts auf freie Arztwahl und um den Erhalt sowie um die Stärkung der zahnärztlichen Freiberuflichkeit. Freiberufliche Zahnärzte sichern seit Jahrzehnten in bewährter Weise die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung auf einem weltweit anerkannt hohen Qualitätsniveau und sind die Garanten für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung. Um diese Versorgung auch in Zukunft sicherstellen zu können, brauchen wir entsprechende Rahmenbedingungen. Um unsere Diagnose- und Therapieentscheidungen wirtschaftlich unabhängig und frei von den Vorgaben Dritter treffen zu können, müssen die bestehenden Rahmenbedingungen endlich korrigiert werden. Die Politik hat den Fehler gemacht, das Gesundheitssystem zu sehr den Ökonomen und den Krankenkassen zu überlassen. Dabei ist offensichtlich zunehmend vergessen worden, dass weder Ökonomen noch Krankenkassenvorstände Krankheiten lindern oder heilen können. Den Heilberufen sind über die Jahre alle unternehmerischen Pflichten, sämtliche Risiken aus der Selbstständigkeit und maßlose Bürokratielasten auf die Schultern gelegt worden; unternehmerische Chancen werden uns dagegen kaum eingeräumt. Das ständige Herumdoktern am Gesundheitssystem und den Gebührenordnungen hat dazu geführt, dass man als junge Zahnärztin oder junger Zahnarzt die Risiken einer Niederlassung nicht mehr abschätzen kann. Wir brauchen wieder Planungssicherheit in den Praxen und ein Mindestmaß an Verlässlichkeit in der Gesundheitspolitik der Bundesregierung.
Unser ehrgeiziges Ziel im Hinblick auf eine noch bessere zahnärztliche Versorgung ist es, allen Menschen über den gesamten Lebensbogen hinweg einen gleichberechtigten und barrierearmen Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung zu ermöglichen. Wir haben in den vergangenen Jahren den Mundgesundheitszustand der Bevölkerung so verbessern können, dass Deutschland in dieser Beziehung Vorbild für die ganze Welt geworden ist. Wir Zahnärzte sind Präventionsspezialisten geworden und das ist gut so. Denn Zähne, die gar nicht erst krank werden, müssen auch nicht aufwendig behandelt werden.
Wir setzen neue Schwerpunkte in der Erarbeitung und Umsetzung von Konzepten zur Betreuung von Risikogruppen. Die Prävention und Therapieverbesserung von alten und pflegebedürftigen Menschen sowie von Menschen mit Behinderungen, aber auch die verbesserte Vorsorge bei Kleinkindern gehört ebenso zu unseren Schwerpunkten der kommenden Legislaturperiode wie unser ehrgeiziges Ziel, die Volkskrankheit Parodontitis durch wirksame Präventionsstrategien und Behandlungskonzepte genauso gut zu beherrschen, wie wir die Karies heutzutage im Griff haben.
Ein ganz besonderes Anliegen des Berufsstandes ist ja die bessere Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen ...
Dr. Eßer:
... wo die Zahnärzteschaft mit der Umsetzung ihres AuB-Konzepts bereits erste Erfolge für die Versorgung dieser Menschen erzielt und Schritte in die richtige Richtung gemacht hat. Barrieren für die Versorgung dieser Patienten müssen weiter konsequent abgebaut werden – mentale, physische und auch gesetzliche. Das war Thema einer Tagung im September, die gemeinsam von KBV, BÄK, KZBV und BZÄK abgehalten wurde und die mit ihren Signalen in der Fachöffentlichkeit wie auch in der Politik wichtige Akzente gesetzt hat und auf ausgesprochen positive Resonanz gestoßen ist.
Im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes gibt es seit April dieses Jahres neue Bema-Positionen für die aufsuchende Betreuung. Jetzt steht im Zuge der Umsetzung des Pflegeneuausrichtungsgesetzes eine weitere Etappe an: Pflegeeinrichtungen und Zahnärzte sollen Kooperationsverträge schließen können und im Rahmen dieser Verträge Zusatzleistungen für Menschen in der stationären Pflege abrufen können. Derzeit laufen schwierige Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Hier gibt es noch viel zu tun. Unser erklärtes Ziel ist es, gerade diesen wirklich hilfsbedürftigen Menschen eine bedarfsgerechte, den Lebensumständen entsprechende Versorgung zukommen lassen zu können. Dazu gehört auch und vor allem ein systematisches Präventionsmanagement, um für alle Menschen mit Handicap ein Stück Lebensqualität zurückzugewinnen.
Die Delegierten der Vertreterversammlung haben Sie zum neuen Vorstandsvorsitzenden der KZBV gewählt: Für welche Konzepte setzen Sie sich ein, welches sind Ihre ganz persönlichen Schwerpunkte?
Dr. Eßer:
Das seit bald zwölf Jahren bewährte Vorstandsteam der KZBV bleibt für die nächsten drei Jahre zusammen. Allein an der Spitze haben wir eine Rotation vorgenommen.
Gemeinsam mit meinen beiden Kollegen Dr. Jürgen Fedderwitz und Dr. Günther E. Buchholz stehe ich für Kontinuität in der zahnärztlichen Berufspolitik. Die standespolitischen Erfolge der vergangenen Jahre haben uns bestärkt, diesen Weg auch weiter zu gehen. Wir werden von der Politik als ernst zu nehmender Partner im Gesundheitswesen akzeptiert, sind bekannt für Verlässlichkeit und sachorientierte Lösungsansätze, vertreten die Interessen des Berufsstands mit Nachdruck und bemühen uns im Umgang mit unseren Kontrahenten um Transparenz und Offenheit.
Eingangs hatte ich ja schon davon gesprochen, dass wir uns dafür stark machen werden, im Gesundheitswesen wieder eine Balance auch zwischen den Akteuren herzustellen. Um einen ehrlichen Wettbewerb um die beste Versorgung herstellen zu können, darf es keine zentralistische Gesundheits-politik geben. GKV und PKV müssen in einen Systemwettbewerb gestellt werden, ebenso wie die gesetzlichen und privaten Krankenkassen in einen Wettbewerb unter sich gestellt werden müssen. Der Einfluss von Kostenträgern, Patientenvertretern und Heilberufen muss in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Die Dominanz des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung muss wieder beseitigt werden. Um unseren Versorgungsauftrag weiterhin so gut wie bisher und vielleicht sogar noch besser erfüllen zu können, müssen Chancen und Lasten in der freiberuflichen Selbstständigkeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, es muss wieder Planungssicherheit in den Praxen geschaffen werden. Und schlussendlich muss wieder mehr Ehrlichkeit in das System Einzug halten. Wer vor den demografischen Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft ein finanzierbares, auf Solidarität aufbauendes Krankenversicherungssystem erhalten will, der muss sich auch zu einer guten Balance zwischen Eigenverantwortung und Unterstützung durch die Gemeinschaft bekennen. Nur wenn die Politik den Menschen ehrlich sagt, dass die Unterstützung der auf Hilfe Angewiesenen nur dann dauerhaft gewährt werden kann, wenn jeder Einzelne im Rahmen seiner Möglichkeiten eigenverantwortlich für seine Gesundheit sorgt, werden wir die großen vor uns liegenden Versorgungsaufgaben bewältigen und finanzieren können.
Wie sehen Sie die Weiterentwicklung des Berufsstands? Wo gibt es Handlungsbedarf?
Dr. Eßer:
Zahnärzte sind fortbildungsorientiert und innovationsfreudig, der medizinische Fortschritt wird in unseren Praxen beispielhaft gelebt; hier mache ich mir gar keine Sorgen um die Zukunft des Berufsstands.
Aber der vorhin angesprochene demografische Wandel betrifft nicht nur die Patienten, sondern auch die Kollegenschaft. Wir werden älter – und langfristig gesehen weniger. Ich beobachte mit zunehmender Sorge, dass immer weniger junge Männer Zahnheilkunde studieren. Und ich mache mir Sorgen, weil immer weniger junge Zahnärztinnen und Zahnärzte bereit sind, sich in eigener Praxis niederzulassen. Dieses Phänomen kann man nicht allein mit den Lebensvorstellungen der Generation Y erklären. Nicht unbedingt in der eigenen Praxis tätig sein zu wollen, eher im Team als als Einzelkämpfer arbeiten zu wollen, Teilzeit-Arbeitsmodelle zu bevorzugen und Wert auf eine geordnete Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu legen, sind ein Teil der Wahrheit. Ich sehe hier auch ganz andere Gründe: Wenn Krankenkassen und bestimmte Politiker weiterhin gegen die Heilberufe polemisieren, der Berufsstand völlig zu Unrecht unter den Generalverdacht der Korruption gestellt wird und die tägliche Arbeit des Zahnarztes in der Öffentlichkeit keine gebührende Anerkennung mehr findet, wird es uns schwer fallen, junge Menschen für den Beruf zu motivieren. Hier müssen wir sukzessive für eine positivere Wahrnehmung des Berufsstands in der Öffentlichkeit sorgen.
Zu der Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen der Berufsausübung – und dazu zählen auch die ökonomischen Rahmenbedingungen – nachhaltig zu verbessern, habe ich ja schon Ausführungen gemacht.
Aber was ist mit den Strukturen der Selbstverwaltung? Sind die zukunftsfest?
Dr. Eßer:
Auch hier herrscht Handlungsbedarf, denn letztlich ist von der demografischen Entwicklung auch die Selbstverwaltung betroffen. Wir überaltern und müssen uns intensiv um unseren eigenen standespolitischen Nachwuchs kümmern. Wir müssen Brücken schlagen zwischen Praxis und Berufspolitik, junge Kolleginnen und Kollegen motivieren und sie davon überzeugen, dass es Sinn macht, sich für den Berufsstand zu engagieren. Die Leistungsfähigkeit einer funktionierenden Selbstverwaltung ist ein zentraler Baustein einer erfolgreichen Interessenvertretung. Irgendwo ist die Erkenntnis auf der Strecke geblieben, dass das Recht auf berufliche Selbstverwaltung ein immens hohes Gut des Berufsstands ist. Wenn wir dieses Recht aufgeben, werden wir eines Tages gänzlich fremdbestimmt werden. Das gilt es mit aller Kraft zu verhindern. Deshalb müssen wir neue Strukturen schaffen und interessierten jungen Kolleginnen und Kollegen den Sinn von berufsständiger Selbstverwaltung nahebringen und berufspolitische Perspektiven bieten.