Abschied vom Garantiezins
Garantierte Sicherheit – so lautete bislang das Hauptargument der Versicherungsvertreter, wenn sie das Loblied auf die Lebensversicherung sangen. Damit trafen sie auch garantiert und mit großem Erfolg den Nerv der deutschen Sparer. Diese setzen unbedingt auf Produkte, die eine möglichst hohe Sicherheit versprechen und verzichten dafür gern auf eine höhere Rendite. Das zeigt zum Beispiel die Zurückhaltung beim Kauf von Aktien. Daran änderte auch die lang andauernde Hausse an den deutschen Börsen in diesem Jahr nichts. Circa 8,8 Millionen Deutsche besitzen direkt oder indirekt Aktien. Dagegen befinden sich etwa 89 Millionen Verträge über eine Lebensversicherung in den Akten der deutschen Sparer. Das sind mehr Verträge als die Bundesrepublik Einwohner hat.
Das Geheimnis des Erfolgs ist der garantierte Mindestzins. Zurzeit beträgt er noch 1,75 Prozent. So viel Zinsen, so das Versprechen der Versicherer, gibt es mindestens auf die eingezahlten Spareinlagen. Das sind die Beiträge nach Abzug aller Kosten, also etwa 80 Prozent des Beitrags. In Wirklichkeit bekommt der Kunde also nur 0,93 Prozent Zinsen auf den gesamten Beitrag – so die Rechnung der Ratingagentur Assekurata.
Aber auch von diesem Minizins will sich die Assekuranzbranche verabschieden. Zwar bieten die Konzerne nach wie vor die klassische Lebensversicherung mit eingebautem Garantiezins an. Allerdings suchen sie nach Wegen, sich von dieser Zwangsjacke zu verabschieden, ohne die Kunden zu verprellen.
Anfang Juli startete der zum Rückversicherer Munich Re gehörende Ergo-Konzern mit einer Police „Ergo Rente Garantie“. Verkauft wird sie mit dem Slogan „einzigartige Absicherung mit Garantie und dynamischem Anlagekonzept“. Edda Castelló, Referentin für Geldanlagen bei der Verbraucherzentrale Hamburg und Expertin für Versicherungen, hat ihr Urteil bereits gefällt: „Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Die Police ist sehr teuer und nicht empfehlenswert.“
Augen auf beim Policenkauf
Im Grunde handelt es sich um eine fondsgebundene Lebensversicherung. Das heißt, Ergo legt den Sparanteil der Beiträge in Investmentfonds an. Entwickelt sich die Börse gut, steigt der Ertrag. Ist es umgekehrt, sinkt er. Das Risiko trägt der Sparer. Ergo verpflichtet sich nur, dem Kunden an einem bestimmten Stichtag am Ende der Sparphase das eingezahlte Geld zurückzuzahlen. Um diese Garantie gewährleisten zu können, behält Ergo in den ersten fünf Jahren 20 Prozent und in den folgenden Jahren zehn Prozent der Prämie ein. Dieses Geld fließt an die Muttergesellschaft, den Rückversicherer Munich Re.
Er sichert damit das Risiko ab, wenn sich die Fonds nicht so gut entwickeln wie erhofft. In diesem Fall zahlt Munich Re. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat in einem Beispiel errechnet, wie viel diese Garantie kostet: Ein Kunde zahlt 35 Jahre lang monatlich 100 Euro Prämie. Die Garantiezahlung beläuft sich auf 42 000 Euro, die Kosten dafür liegen bei 4 800 Euro. Wird dieses Geld für die Abdeckung des Risikos nicht benötigt, hat der Versicherte keinen Anspruch darauf. Hinzu kommen noch Abschluss- und Verwaltungskosten. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf etwa 15 000 Euro. Lobenswert findet Castelló die Transparenz, mit der die knapp 70 Seiten Beschreibung gestaltet sind. Alle Kosten sind aufgeführt. Fazit: Beschwerden bringen nichts, es steht alles im Vertrag.
Als Zweiter brachte die Allianz eine Police mit eingeschränkter Garantie auf den Markt. Das „Perspektive“ genannte Produkt verspricht zwar keinen Mindestzins mehr, dafür aber die Aussicht auf eine um 0,3 Prozentpunkte höhere Überschussbeteiligung als sie für die klassischen Policen üblich ist. Garantiert wird der Erhalt der Beiträge. Der Kunde bekommt sie zurück, vorausgesetzt er hält die gesamte Sparphase durch oder der Todesfall tritt vorzeitig ein. Tobias Weissflog, Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten, kritisiert: „Jede vorzeitige Kündigung dieses Produkts führt mit Sicherheit zu deutlich höheren Verlusten als bei einer Spareinlage.“ Die gesamten Kosten belaufen sich auf 1,06 Prozentpunkte der Gesamtverzinsung. Nach Angaben der Allianz sinkt sie damit von 4,61 auf 3,55 Prozent. In Euro ausgedrückt: Von 100 eingezahlten Euro werden nur 84 Euro gespart. 16 Prozent kassiert die Allianz monatlich für ihren Kostenaufwand. Die Kostenquote steht fest, die Gesamtverzinsung wird jedes Jahr neu festgelegt.
Die neuen Konstruktionen erlauben den Unternehmen, das eingezahlte Kapital risikofreudiger anzulegen als bisher und so höhere Gewinne zu erzielen. Die bisherigen Zinsgarantien zwingen sie, das Geld nach strengeren gesetzlichen Vorgaben anzulegen. Wie zum Beispiel in Staatsanleihen mit sehr guter Bonität. Doch gerade diese Papiere werfen kaum noch Rendite ab. Und daran wird sich in den nächsten Jahren kaum etwas ändern, hat doch EZB-Chef Draghi verkündet, dass er es bis auf weiteres bei der Niedrigzinspolitik belassen will.
Niedrige Renditen als Auslöser für neue Produkte
Die mageren Renditen sind denn auch einer der Hauptgründe für die Konstruktion neuer Produkte und für die langsame Verabschiedung vom Garantiezins. Dieser lag in den Neunzigerjahren bei vier Prozent. Die Versicherer müssen noch viele Altverträge bedienen – zu den jetzigen Konditionen ein schwieriges Unterfangen. Allein in den Jahren zwischen 2008 und 2011 halbierten sich die Zinsgewinne der Assekuranz von 9,5 auf 5,2 Milliarden Euro, aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Inzwischen dürften sich die Erträge weiter reduziert haben. Zurzeit liegt die durchschnittliche Gesamtverzinsung von Lebensversicherungen bei 3,6 Prozent.
Die Auswirkungen der niedrigen Zinsen treffen die Branche besonders stark, weil sie 90 Prozent der 769 Milliarden Euro Kapital in Staatsanleihen investiert hat. Zurzeit profitieren die Gesellschaften noch von Altanlagen, die deutlich höher verzinst sind. Doch dank der aktuellen Investitionen werden die geringen Renditen sich noch lange auswirken. Der Grund: Lebensversicherer müssen weit im Voraus kalkulieren. Um die Niedrigzinsanlagen zumindest teilweise zu vermeiden, weichen einige Gesellschaften auf andere Anlagemöglichkeiten aus. Die Allianz zum Beispiel investiert in erneuerbare Energien und beteiligt sich an Windparks, aber auch Immobilien und Infrastrukturprojekte gehören ins Portfolio. Neue Produkte ohne die strikte Zins-garantie erlauben zudem eine höhere Aktienquote. Außerdem müssen die Gesellschaften für Verträge ohne Garantien nicht mehr die strengen Eigenkapitalvorschriften nach Solvency II berücksichtigen.
Viele Branchenexperten wie zum Bespiel der Vorstandschef der Württembergischen Lebensversicherung, Norbert Heinen, rechnen damit, dass der Garantiezins von derzeit 1,75 Prozent auf 1,5 oder 1,25 Prozent gesenkt wird. Er hat dann eigentlich nur noch eine psychologische Wirkung als Verkaufsargument.
Es geht um die Zukunft der Lebensversicherung
Für die Branche selbst geht es auch darum, ob die Lebensversicherung als solche eine Chance auf Zukunft hat. Niedrige Zinsen und die Eigenkapitalregeln für Solvency II machen ihr das Leben schwer. So muss die Victoria Versicherung schon zubuttern, um die alten Garantien noch erfüllen zu können. Das Neugeschäft ist bereits eingestellt. Auch der Lebenszweig bei Ergo steht unter Druck. So hat sich Ergo-Vorstandmitglied Daniel von Borries bereits dahin gehend geäußert, dass man davon ausgehe, in Zukunft 80 Prozent des Lebensgeschäfts mit dem neuen Produkt abschließen zu können. Bei der Allianz bleibt die „Perspektive“ ein Angebot unter vielen. Die klassischen Policen mit Garantiezins wollen alle Anbieter zunächst beibehalten.
Herausforderung für den Vertrieb
Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse bei der Ratingagentur Assekurata, meint. „Für den Vertrieb wird die Arbeit mit den neuen Produkten schwieriger. Die klassische Lebensversicherung an sich ist schon sehr komplex und für den Kunden kaum verständlich.“ Die neuen Kreationen dürften seiner Meinung nach noch schwieriger an den Mann oder an die Frau zu bringen sein: „Die Verkäufer können ja wohl kaum den alten Garantiezins schlecht reden.“ Sie werden sicher argumentieren, dass dank der Einschränkung der Garantien eine höhere Rendite möglich ist und vielleicht versuchen, die Kunden zum Rücktritt von den alten Verträgen zu überreden. Diese sollten allerdings ihre alten Policen und darunter besonders die, die noch mit einem hohen Garantiezins ausgestattet sind, auf keinen Fall kündigen. Denn der festgeschriebene Zins ist sicher, und eine Kündigung geht wegen der Kosten immer zulasten des Kunden.
Die neuen Angebote von Ergo und der Allianz ähneln in groben Zügen den herkömmlichen. Die Konkurrenz wird mit weiteren Variationen folgen. Heermann geht davon aus, dass die Verunsicherung der Kunden zunehmen wird. Zumal dank der freieren Gestaltungsmöglichkeiten die einzelnen Produkte kaum mehr miteinander vergleichbar sein werden.
Einen weiteren Kritikpunkt führt Lars Gatschke, beim Verbraucherzentrale Bundesverband für den Bereich Versicherungen zuständig, an: „Die neuen Lebensversicherungen sollten flexibler gestaltet sein. Der Kunde hat wie bei den alten Policen keine Chance, seinen Vertrag ohne Verlust zu kündigen.“ Er verlangt zum Beispiel die Möglichkeit, je nach Lebensphase den Beitrag reduzieren zu können. Sparer sollten den Vertrag eine Zeit lang beitragsfrei stellen und später einen größeren Betrag auf einmal zahlen können. Ebenso sollte ein vorzeitiger Ausstieg ohne Verluste möglich sein wie es in der Immobilienfinanzierung üblich ist. Eine Hypothek, die zum Beispiel über 15 Jahre läuft, kann man nach zehn Jahren ohne Nachteil kündigen, um etwa einen günstigeren Kredit abzuschließen. So sollten Versicherte auch die Chance bekommen, in eine besser verzinste Anlage umsteigen zu können.
Investition in Sparbriefe als Alternative
Sparer, die sich von den Angeboten der Assekuranz nicht überzeugen lassen, können ihre Altersvorsorge auf andere Art absichern. Das gilt auch für Zahnärzte, die zum Beispiel die Rente vom Versorgungswerk aufstocken wollen. Denn diese kämpfen ebenfalls mit den schlechten Anlagebedingungen. Abstriche bei den Renditen sind wahrscheinlich. Statt die Zahlungen aufzustocken, können Zahnärzte zum Beispiel in Sparbriefe mit kürzeren Laufzeiten investieren. Wird das Kapital frei und sind die Zinsen bis dahin gestiegen, können sie das Geld in eine lukrativere Anlage umschichten.
Eine andere Möglichkeit bieten Sparpläne, bei denen die monatlichen Beträge in kostengünstige ETF wandern. Hierbei ist ein Ausstieg jederzeit möglich. Beim Eintritt in den Ruhestand lässt sich das Einkommen mithilfe eines Auszahlplans aufstocken. Das Geld wird bei einer Bank für einen bestimmten Zeitraum möglichst günstig angelegt und in gleichen Raten monatlich ausgezahlt. Die Vorteile: Der Zahnarzt spart die hohen Kosten, die bei einer Renten- versicherung anfallen. Zum anderen kann er nach Ablauf des Auszahlplans das Geld wieder neu anlegen.
Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de