Der besondere Fall

Leiomyosarkom der Mandibula

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Der besondere Fall Felix Paulßen von Beck, Ali Modabber, Till Braunschweig, Frank Hölzle Bei einem Patienten mit persistierenden Mundschleimhautveränderungen ergab sich der seltene Befund eines Leiomyosarkoms.

Bei einem Patienten mit persistierenden Mundschleimhautveränderungen ergab sich der seltene Befund eines Leiomyosarkoms des Unterkiefers. Diagnostik und Therapie werden in diesem Fallbeispiel dargestellt.

Einem 46-jährigen Patienten wurde nach Zahnextraktion mit Prothesendruckstelle in regio 36 bis 32 nach fehlender Wundheilungstendenz eine Probebiopsie vom niedergelassenen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen entnommen. Histologisch wurde ein gut differenziertes Leiomyosarkom (LMS) nachgewiesen. Zur weiteren Diagnostik und Therapie erfolgte eine stationäre Einweisung. Klinisch stellte sich eine wenig druckdolente, gerötete Schleimhautveränderung mit leukoplakischen Auflagerungen und einer Alveolarkammauftreibung dar (Abbildung 1). Die CT-Darstellung des Befunds (Abbildung 2) dokumentiert die Ausdehnung des Tumors mit Destruktion der Mandibula linksseitig.

Die präoperative Diagnostik zur Therapieplanung erfolgte nach anamnestischen Angaben, klinischen und radiologischen Untersuchungen mit CT der Kopf-Hals-Region sowie des Thorax. Eine Metastasierung konnte nicht nachgewiesen werden.

Eine erneute Probebiopsie aus regio 34 im Rahmen eines Tumormappings zur Festlegung der Resektionsgrenzen bestätigte histologisch die Diagnose eines LMS (Abbildung 5a).

Operativ wurde eine In-sano-Tumor- und Unterkieferteilresektion (Abbildung 3) durchgeführt. Der entstandene mandibuläre Defekt wurde mit einer Rekonstruktionsplatte (System Modus 2,7 mm von Medartis; Abbildung 4a) versorgt und der Weichteildefekt mit einem mikrovaskulären ALT- Lappen (Abbildung 4b) gedeckt. Abbildung 4c zeigt die intraorale Situation zwei Monate postoperativ.

Die histologische Aufarbeitung des Tumorresektats und der entnommenen Lymphknoten ergab ein low-grade LMS mit der Tumorformel G1; pT1a; pN0 (0/10), R0 (Stadium IA) (Abbildungen 5a, 5b und 5c). Nach Lamellierung des Kieferresektats und Entkalkung der Präparate konnte ein spindelzelliger Tumor gefunden werden, der überwiegend im Bereich des Alveolarkamms gelegen war und den Markraum infiltrierte. Die Tumoranteile reichten tief in den Mark-raum hinein und zeigten eine deutliche Arrosion der Knochenbälkchen und der Kortikalis.

Der Ursprung des Leiomyosarkoms ist nicht eindeutig zu benennen. Am ehesten ging er von einem peripheren Gefäß im Alveolarkamm aus. Eine Assoziation zu dem Gefäß-Nervenbündel des Nervus alveolaris inferior erscheint aufgrund der Distanz der Haupttumormasse zu dem Gefäß-Nervenbündel eher unwahrscheinlich (Abbildungen 5b und 5c).

Die primäre Diagnostik anhand der Biopsie wurde mithilfe einer immunhistochemischen Aufarbeitung mit Nachweis spezifischer Zellproteine durchgeführt. In den Tumorzellen konnte so nachgewiesen werden, dass sie die Proteine Vimentin und Desmin besitzen und somit eindeutig einem muskulären Tumor zuzuordnen sind. Die Proliferationsrate auf der Basis der Ki-67-Färbung zeigte zehn Prozent der Zellen positiv und somit gering bis mäßiggradig teilungsaktiv. Die spindelzellige Morphologie und geringe Kerndysplasie führte in der Zusammenschau aller histologischen Eigenschaften zu der Diagnose eines 2,2 cm großen LMS, G1.

Die Einteilung erfolgte anhand des vierstufigen Gradingsystems, der TNM-Klassifikation und der Stadieneinteilung nach UICC. Aufgrund seines G1-Gradings, der T1a-Tumorgröße, der R0-Resektion und des N0-Stadiums ergab sich nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) keine Indikation zur adjuvanten Chemo- oder Strahlentherapie.

Vierzehn Monate nach radiologisch überprüfter Rezidivfreiheit erfolgte die knöcherne Rekonstruktion des Unterkiefers anhand der präoperativ erstellten computerunterstützten Osteotomieschablone mittels eines mikrovaskulären Beckenkammtransplantats (Abbildung 6a). Mittels Miniplattenosteosynthese wurde das Transplantat fixiert (Abbildung 6b). Die postoperative radiologische Kontrolle erfolgte mittels DVT und ist in der Abbildung 6c dargestellt. Es erfolgte eine primäre Wundheilung, und der Patient konnte bei subjektivem Wohlbefinden in die weitere Tumornachsorge unserer Klinik entlassen werden.

Nach einer sechsmonatigen Wundheilung ist die Entfernung des Osteosynthesematerials mit anschließender Implantatversorgung geplant.

Diskussion

Im Jahr 1944 berichteten Carmody et al. erstmals über das Auftreten eines LMS in der Mandibula [Carmody et al., 1944]. Bis 2004 erfolgten 20 weitere Case Reports, bei denen der Unterkiefer Ursprungsort des LMS war [Centeno et al., 2005]. Beim LMS handelt es sich um einen vergleichsweise selten auftretenden, malignen Tumor der glatten Muskulatur. Unter allen Weichgewebssarkomen (WGS) besitzen LMS einen Anteil von sieben Prozent [Ethunandan et al., 2007]. Sie entstehen am häufigsten im Myometrium, im Gastrointestinaltrakt sowie im Retroperitonealraum [Evans et al., 2002].

Nur jedes 25. LMS ist in der Kopf-Hals-Region lokalisiert. Oral treten lediglich unter 0,1 Prozent aller LMS auf [Vilos et al., 2005]. Zu den möglichen klinischen Differenzialdiagnosen zählen unter anderen die Leukoplakie, die Erythroplakie, chronisch-rezidivierende Aphthen, Papillome der Mundschleimhaut, maligne Lymphome, iatrogen bedingte Schleimhautverletzungen sowie Tumoren der Mundhöhle und – nicht zu vergessen – orale Manifestationen bestimmter Infektionskrankheiten wie Lues oder HIV.

Die Diagnose ist ohne Sonderfärbungen rein histomorphologisch nicht eindeutig zu stellen. Zur genauen Tumorzuordnung bedarf es zusätzlicher immun-histochemischer Zusatzuntersuchungen, um den Zellursprung darzustellen, da nahezu alle mesenchymalen Gewebezellen als spindelzellige Tumoren auftreten können [Thompson et al., 2005].

Die histologischen Differenzialdiagnosen eines Sarkoms umfassen unter anderem periphere Nervenscheidentumoren, Fibrosarkome, synoviale Sarkome, maligne fibröse Histiozytome als mesenchymale Tumoren sowie spindelzellige Melanome und Spindelzellkarzinome als nicht mesenchymale Tumoren [Cavazzana et al., 1995].

Zu den häufigsten Manifestationsbereichen in der Mundhöhle zählen die Zunge und der Gaumen [Patel et al., 2013]. Gehäuft sind Männer zwischen dem 40. und dem 60. Lebensjahr betroffen. Der jüngste veröffentliche Patient war ein Jahr, der älteste 88 Jahre alt [Krishnan et al., 1991] Die Entstehungsursachen von WGS sind weitgehend unklar, diskutiert werden vorausgegangene Strahlen- sowie verstärkte PVC- oder Asbest-Expositionen. Verschiedene Studien vermuten zudem eine gewisse genetische Komponente wie zum Beispiel beim Morbus Recklinghausen.

Bei Verdacht auf ein WGS der Mundhöhle mit möglicher ossärer Beteiligung gelten das CT, die konventionelle Röntgenuntersuchung und die Sonografie sowie die anschließende Probebiopsie als diagnostische Mittel der Wahl. Nach histologischer Bestätigung eines WGS erfolgt eine anschließende Metastasendiagnostik mittels CT und gegebenenfalls MRT von Thorax und Abdomen. LMS metastasieren vorwiegend hämatogen in die Lunge, in die Leber, in die Niere, in die Pleura, ins Mediastinum und ins Skelett. Lymphknotenmetastasen können, wenn auch seltener, ebenfalls auftreten [Schütz, 2014].

Prognostisch sind laut DGHO neben dem histologischen Differenzierungsgrad (Grading) die Tumorgröße und die Tumorlokalisation (oberflächlich versus tiefsitzende Tumoren) relevant.

In diesem Fall ermöglichte die computerassistierte Rekonstruktion des Unterkiefers mittels eines mikrovaskulären Beckenkammtransplantats ein ästhetisch und funktionell zufriedenstellendes Rekonstruktionsergebnis [Modabber et al., 2012].

Fazit

Über einen längeren Zeitraum persistierende Wundheilungsstörungen sollten im klinischen Alltag der Zahnheilkunde stets einer kritischen Betrachtung unterliegen. Es ist stets daran zu denken, dass sich hinter einem verzögerten Heilungsverlauf auch maligne Prozesse verbergen können. Da die Heilungsprognose des LMS deutlich vom Tumorstadium mit den Prognosefaktoren Grading, Tumorgröße und Lokalisation bestimmt wird, ist es äußerst wichtig, ein LMS möglichst früh zu diagnostizieren, um wünschenswerte In-sano-Resektionen zu erreichen.

Durch die rechtzeitige Diagnose ist die Prognose bei dem Patienten mit dem Stadium 1a als günstig zu bewerten, resultierend aus der rechtzeitigen Einweisung und der suffizienten Tumorresektion.

Felix Paulßen von BeckKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieMalteser Krankenhaus St. JosefshospitalKurfürstenstr. 6947829 KrefeldFelix.Paulssen@malteser.org

Dr. Dr. Ali ModabberUniv.-Prof. Dr. Dr. Frank HölzleKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum RWTH AachenPauwelsstr. 3052074 Aachen

Dr. Till BraunschweigInstitut für PathologieUniversitätsklinikum RWTH AachenPauwelsstr. 3052074 Aachen

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