Leitartikel

Umfassende Strategien

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Parodontalerkrankungen sind etwa ab dem fünften Lebensjahrzehnt der häufigste Grund für Zahnverlust. Harte Fakten sprechen für sich, wie die DMS-IV-Studie des IDZ im Jahr 2006 mit Zahlen eindrucksvoll belegt hat. Nach einer weiteren epidemiologischen Einschätzung des IDZ auf Basis der Studie [Micheelis, 2008] zeigt sich als Fazit, dass man bei vier bis acht Prozent der Erwachsenen (35-44 Jahre) und bei 14 bis 22 Prozent der Senioren (65 bis 74 Jahre) von dem Vorhandensein einer schweren Parodontitis ausgehen kann und dass bei rund 40 Prozent der Durchschnittsbevölkerung eine moderate Ausprägung der parodontalen Destruktion vorliegen dürfte. Hier herrscht gesundheitspolitisch dringender Handlungsbedarf.

Fakt ist, dass das Problem aufgrund der demografischen Entwicklung wächst. Parodontalerkrankungen werden – mit all ihren Querverbindungen zu anderen chronischen Erkrankungen – immer mehr zu einer Volkskrankheit. Das ist nicht nur ein deutsches Phänomen, auch in anderen europäischen Ländern zeichnet sich dieser Trend ab.

Offensichtlich ist, dass mit GKV-Mitteln allein der derzeitige wissenschaftliche Stand und die Erkenntnis über moderne PAR- Therapien nicht umgesetzt werden können. Schon 2003 entstand bei den Beratungen im Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen (dem Vorläufer des heutigen Gemeinsamen Bundesausschusses G-BA) die Erkenntnis, dass sich in der Parodontologie wesentliche neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben haben, dass diese aber in den Richtlinien aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden, da die GKV sich außerstande sah, die zur Umsetzung des Konzepts erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen.

Insofern ist die jetzige Initiative der Patientenvertreter im G-BA, die systematische Behandlung von Parodontopathien in einem Verfahren neu zu bewerten, ein guter Ansatz (siehe Titelgeschichte S. 46). Diese Initiative wird von der Zahnärzteschaft ausdrücklich begrüßt. Die Patientenvertreter wollen prüfen lassen, ob neue Behandlungsmethoden nach dem wissenschaftlichen State of the Art in die Richtlinien einfließen können, um vor allem der Nachsorge einen größeren Stellenwert zukommen zu lassen.

Wir Vertragszahnärzte gehen mit all dem konform – aus unserer Sicht muss sogar noch mehr passieren: Wir wollen ein umfassendes Präventionskonzept umsetzen. Die KZBV hatte dazu im Rahmen ihrer 2013 veröffentlichten Agenda Mundgesundheit bereits entsprechende Ziele formuliert: Die Menschen sollen – auch bei steigender Lebenserwartung und erhöhtem individuellem Krankheitsrisiko – ihre natürlichen Zähne bis ans Lebensende gesund erhalten. Dazu sollte eine konsequente Präventionsstrategie, die sich bei Kindern und Jugendlichen bestens bewährt hat, auf alle Lebensphasen ausgedehnt werden.

Eine große Herausforderung bleibt der demografische Wandel. Eine präventiv ausgerichtete Betreuung könnte gerade auch in der älter werdenden Bevölkerung die Früherkennung von Parodontalerkrankungen verbessern und eine risikoorientierte Nachsorge sichern. Das gilt auch – und vor allem – für die Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen. In der zahnmedizinischen Betreuung in Einrichtungen und Heimen sind hier schon erste erfolgreiche Maßnahmen umgesetzt worden. Jetzt geht es darum, auch im ambulanten Bereich entsprechende Wege zu gehen.

Wir müssen weiter eine konsequente PAR-Präventionsstrategie verfolgen. Die Eigenverantwortung der Menschen zur Mundgesundheit spielt dabei eine große Rolle und muss gestärkt werden. Die Erfolge der Prävention in der Zahnmedizin haben gezeigt, dass man mit Eigenverantwortung eine Bewusstseinsveränderung in der Bevölkerung erzielen kann. Die KZBV arbeitet derzeit an einem umfassenden und zukunftsfesten PAR-Versorgungskonzept, das den Bogen von der Prävention bis zur Nachsorge spannt – und zwar nach den neuesten wissenschaft-lichen Erkenntnissen. Natürlich werden wir uns auch zu Finanzierungsfragen positionieren müssen und entsprechende Vorschläge erarbeiten. Es ist jedoch Aufgabe der Politik, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine sachgerechte Prävention zu ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang EßerVorsitzender des Vorstands der KZBV

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