Dem Gemeinwohl verpflichtet
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat Ende März seine Initiativstellungnahme zur „Rolle und Zukunft der Freien Berufe in der europäischen Zivilgesellschaft 2020“ verabschiedet. Freiberuflichkeit und freie Selbstverwaltung seien erfolgreiche Konzepte und stünden im Einklang mit europäischen Grundprinzipien wie etwa der Subsidiarität. Ausdrücklich nimmt die Stellungnahme auf die von der BZÄK initiierte Charta der Freien Berufe des Council of European Dentists (CED) Bezug. Der EWSA regt an, dass eine europaweit einheitliche Definition des Begriffs der Freien Berufe geschaffen wird.
„Mit der Stellungnahme, die in harten und heftigen Diskussionen mit 328 Vertretern der Zivilgesellschaft Europas errungen worden ist, gibt es erstmals einen Wunschzettel der EU-Zivilgesellschaften zu Aufgabe, Ausgestaltung, gesellschaftlicher Position und den Rahmenbedingungen für die Arbeit der Freien Berufe,“ erklärt RA Arno Metzler, Berichterstatter der Stellungnahme, gleichzeitig Vizepräsident der Gruppe „Verschiedene Interessen“ des EWSA und Hauptgeschäftsführer des Verbands Beratender Ingenieure (VBI), gegenüber den zm. Metzler: „Das ist bemerkenswert, weil die Modelle von Freiberuflichkeit, ihre Verfasstheit und Qualitätssicherungsmechanismen in Europa durchaus unterschiedlich sind. Es ist ein großer Fortschritt, dass es mit der Stellungnahme nun eine Grundlage gibt, welche die Rolle der Freien Berufe im europäischen Gesellschaftsmodell beschreibt und die die Charta des CED zum Freien Beruf einschließt.“
Auch wenn das Papier keine rechtliche Bindung ist, müssen sich Europäische Kommission, Rat und Parlament bei politischen Entscheidungen, die die Freien Berufe betreffen, nun mit dem gemeinsamen Wunschzettel der Zivilgesellschaft auseinandersetzen, so Metzler weiter. Erste Zitierungen im Bericht der Kommission zur Unterstützung einer positiven Entwicklung bei den Freien Berufen bestätigten dies. Das stärke die Stellung der Freien Berufe in den Debatten auf EU- und Nationenebene, die bislang oft von Missverständnissen geprägt waren – wichtiger Grundstein für eine europäische Politik, die nationale Unterschiede respektiert.
Erhebliches Potenzial
Das Papier zeigt ein Bild von der Lage der Freien Berufe in der EU und benennt zukünftige Herausforderungen. Die Systematik der Freien Berufe sei geeignet, einen wesentlichen Beitrag zur qualitativ hochwertigen Aufgabenwahrnehmung im Bereich soziale Güter wie Gesundheit, zur Aufgabenwahrnehmung im Bereich staatlicher Vorsorge, zum Schutz von Bürgerrechten und auch zur wirtschaftlichen Prosperität zu leisten. Freie Berufe seien Element jeder demokratischen Gesellschaft und stellten ein erhebliches Wachstumspotenzial für die Beschäftigung und das Bruttoinlandsprodukt dar.
Die Erbringung freiberuflicher Dienstleistungen sei durch eine Informationsasymmetrie zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger bestimmt, analysiert das Papier. Dienstleistungen von Freiberuflern berührten existenzielle Fragen von Leben, Gesundheit, Recht oder wesentliche wirtschaftliche Fragen. Der Leistungserbringer müsse daher besonders hohe fachliche und ethische Anforderungen erfüllen. Preisregulierungen seien besonders rechtfertigungsbedürftig und so auszugestalten, dass sie dem Gemeinwohlinteresse dienen.
Den Beitrag der Freien Berufe zum reibungslosen Funktionieren von Verwaltung, Politik und Wirtschaft eines Mitgliedstaates hält der EWSA auf nationaler und europäischer Ebene für anerkannt, da diese an der Modernisierung und Effizienz der öffentlichen Verwaltung und der Dienstleistungen für die Bürger beteiligt seien.
Als Merkmale eines Freien Berufs definiert der EWSA die Erbringung einer hochwertigen ideellen Dienstleistung mit ausgesprochen intellektuellem Charakter auf der Grundlage einer höherwertigen (akademischen) Ausbildung. Hinzu kämen eine fachlich und wirtschaftlich unabhängige Aufgabenwahrnehmung, die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Leistungserbringung sowie das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Charakteristisch für die Berufsgruppe sei ferner die Zurückstellung des Interesses maximaler Gewinnerzielung zugunsten des Interesses des Auftragnehmers an einer optimalen Betreuung. Wichtig sei auch die Bindung an genaue und strenge berufsrechtliche, berufsethische Regelungen.
Eine Tätigkeit könne der Stellungnahme zufolge auch dann als freiberuflich eingestuft werden, wenn bestimmte Merkmale nicht vorlägen, wohl aber Kerneigenschaften erfüllt seien. So stehe der Einordnung unter die Gruppe der Freiberufler nicht entgegen, dass sie – wie in etlichen Staaten üblich – in einem Anstellungsverhältnis erbracht wird. Die fachliche Unabhängigkeit müsse aber gewahrt bleiben.
Expertentum und Ethik
Freiberufliche Dienstleistungen seien komplex und erforderten ein hohes Maß an Expertenwissen. Fachliche Mindeststandards und die Einhaltung berufsethischer Richtlinien seien die geeigneten Instrumente, um das Vertrauen des Dienstleistungsempfängers zu schützen.
Laut EWSA leisten die Freien Berufe auch einen bedeutenden Beitrag zur Schaffung und zum Erhalt wichtiger gesellschaftlicher Infrastruktur. Rund jeder sechste Selbstständige sei in einem freiberuflich geprägten Wirtschaftszweig tätig – Tendenz steigend.
Der EWSA unterstreicht den Gemeinwohlbezug und die besondere ethische Verantwortung der Freiberufler. Er empfiehlt allen Kammern, Organisationen und Verbänden Freier Berufe, Kodizes und ethische Normen festzulegen sowie feste Ethikkommissionen innerhalb der verschiedenen Berufe einzurichten.
Europaweite Definition
Ausdrücklich spricht sich der EWSA für eine künftige europaweit einheitliche Definition des Freien Berufs aus. „Als Vorbild könnte hier der Entwurf einer Charta der Freien Berufe dienen, der von verschiedenen europäischen Berufsorganisationen unter Federführung des Council of European Dentists (CED) erarbeitet worden ist“, heißt es in der Stellungnahme wörtlich.
Ferner betont der EWSA die Sicherung konkreter Leitbilder und klar definierter ethischer Grundsätze. Die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Freien Berufe müsse erhalten und gestärkt werden. Berufsrechtliche Regelungen müssten diskriminierungsfrei wirken. Aufgabe der Freien Berufe sei es auch, eine effektive Weiterbildung aller Berufszugehörigen sicherzustellen.
Das Konzept der Selbstverwaltung sei als freiberufliches Organisationsprinzip in vielen Mitgliedstaaten untrennbar mit dem Gedanken der Freiberuflichkeit verbunden.