Furunkuläre Myiasis durch Dasselfliege
Ein 32-jähriger Patient stellte sich mit einem seit fünf Tagen bestehenden „Furunkel“ der rechten Wange in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock vor. Die initial durch den Hausarzt verschriebene primäre orale antibiotische Therapie mit Ciprofloxacin hatte zu keiner Besserung geführt, die Vorstellung beim niedergelassenen Allgemeinchirurgen keine weitere therapeutische Konsequenz ergeben. Nebenerkrankungen wurden keine angegeben. Anamnestisch berichtete der Patient von einem Urlaubsaufenthalt vor drei Wochen in Belize und Guatemala. Dort sei es zu einem Spinnenbiss am Hals gekommen, andere Ereignisse verneinte der Patient. Er gab weiterhin anfallsartige Lokalschmerzen an, wobei besonders in der Nacht eine starke Eigenaktivität, etwa wie ein „Schwirren“, im Bereich der Wangenschwellung zu bemerken sei. Nach Manipulation habe sich ein zentraler Porus gebildet (Abbildung 1a). Bei Sondierung des Porus entleerte sich ein seröses, blutiges Sekret (Abbildung 1b), und es kam zum Abgang eines Fremdkörpers, der dem Larvensegment einer Fliege zugeordnet werden konnte.
In der sonografischen Untersuchung ließ sich anstelle einer echoarmen Abszesshöhle eine sich bewegende, circa 9 mm x 10 mm große echoreiche Formation in der Wange erkennen (Abbildung 2).
Das Konsil eines Tropenmediziners bestätigte den Verdacht einer parasitären Hauterkrankung, die genaue Untersuchung des Larvensegments ergab, dass es sich hierbei um eine furunkuläre Myiasis handelte. So wurde der Entschluss zur operativen Entfernung der Formation getroffen. Nach Inzision der Haut und Eröffnung der in der Wange gelegenen Höhle (Abbildung 3) lies sich eine lebendige Fliegenlarve in toto extrahieren (Abbildung 4). Das die Höhle umgebende Gewebe wurde sorgfältig durch Excochleation gereinigt. Die mikroskopische und parasitologische Beurteilung der Larve bestätigte das Vorliegen einer vornehmlich in Mittel- und Südamerika verbreiteten Dasselfliege (Subtyp Dermatobia hominis). Die anschließende postoperative Ausheilung des Patienten war komplikationslos.
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Diskussion
Die furunkuläre Myiasis der Haut (Synonym: kutane Fliegenmadenkrankeit) ist eine seltene tropische Infektion, verursacht durch verschiedene Zweiflügler. Zur Familie der Oestriae (Synonym: Dasselfliegen) gehören viele Fliegenarten, deren Maden als Endoparasiten bei verschiedenen Säugetieren vorkommen. Bei Menschen entstehen die häufigsten dieser parasitär kutanen Infektionen durch den Subtyp Dermatobia hominis. Die Infektion eines Wirtes mit den Larven ist Teil des obligaten Lebenszyklus der Fliegen. Auf der menschlichen Haut ausgelegte Eier schlüpfen durch externe Stimuli wie zum Beispiel Körperhitze aus und dringen in die Haut ein. Mit kleinen Tentakeln können sie sich im Gewebe festhalten. Nach ungefähr sieben Tagen benötigen die wachsenden Larven Sauerstoff und bilden daher eine Öffnung zur Körperoberfläche, den beim Patienten beschriebenen Porus. Über eine Entwicklungszeit von ungefähr 60 Tagen wachsen die Larven bis auf eine Gesamtlänge von circa zwei Zentimetern an, dann verlassen sie die Haut, um ihre Entwicklung in der Außenwelt zu beenden [Mammino und Lal, 2013]. Somit ist die Erkrankung natürlich-selbstlimitierend.
Die Infektion wird vornehmlich in tropischen Ländern diagnostiziert [Jacobs und Brown, 2006]. Gewöhnlicherweise zeigen betroffene Patienten – wie auch in dieser Kasuistik – eine schmerzhafte, pralle Hautläsion mit einer zentralen Öffnung, aus der sich intermittierend Abbauprodukte der sich entwickelnden Larve und Exudate sowie Fäkalien entleeren [Ofordeme et al., 2007]. Durch die Öffnung können leicht Sekundärinfektionen entstehen. Am häufigsten sind exponierte Hautregionen wie die Kopfhaut, die Weichgewebe im Gesicht oder die oberen und die unteren Extremitäten betroffen.
Da diese Infektion in Europa selten vorkommt, wird sie leicht als eine der hier gewöhnlicheren Erkrankungen wie zum Beispiel Furunkelosen, eine Talgdrüsenentzündung oder Entzündungen des Unterhautzellgewebes fehlgedeutet. Es ist darauf zu achten, dass nicht nur die Reiseanamnese des Patienten, sondern auch die der Verwandten und Freunde von Bedeutung sein kann, da die Eier bestimmter Spezies auch auf der Kleidung abgelegt werden können. Auf dieser können die Eier bis zu zwei Wochen und per Hautinvasion auch andere Menschen infizieren. Die Bewegungen der Larven sind oftmals das einzige zur richtigen Diagnose führende Kriterium. Mit dem Ultraschall lässt sich, wie hier gezeigt, gut zwischen einer Myiasis und einem Abszess differenzieren. Aufgrund der schmerzhaften Schwellung, des nekrotischen Effekts der Larve auf das umgebende Gewebe und nicht zuletzt aufgrund des Ekelgefühls der betroffenen Patienten ist die chirurgische Entfernung die Therapie der Wahl.
Hier ist die Larve in toto zu entfernen, um eine Superinfektion zu vermeiden. Daher empfehlen einige Autoren die Entfernung der Larve gemeinsam mit dem umgebenden Bindegewebe [Sampson et al., 2001]. In früheren Zeiten verstopften die Mayas die zentrale Pore mit verschiedenen Substanzen, um die erstickende Larve zum frühzeitigen Austritt zu bewegen [Keech, 1981].
Dr. Dr. Jan-Hendrik LenzDr. Dr. Peer W. KämmererKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin RostockSchillingallee 3518057 Rostock