Kollegialität und Rollenverhalten in der Zahnmedizin
Zahnärzte agieren in unterschiedlichen Rollen: Jeder Zahnarzt ist aufgrund seiner Ausbildung per se Kollege eines anderen freiberuflich tätigen Zahnarztes, unter Umständen aber auch dessen Mitstreiter und Wettbewerber – jedenfalls dann, wenn es sich um Zahnärzte handelt, die freiberuflich tätig sind und sich ein Einzugsgebiet teilen [Groß, 2012]. Zahnärztliche Professoren und Dozenten agieren wiederum in der Regel in der professionellen Rolle des Lehrers von Studierenden, ihre zahnärztlichen Mitarbeiter als studentische Tutoren. Weitere Rollen sind die des Wissenschaftlers (etwa Professoren der Zahnmedizin), des Vorgesetzten (zum Beispiel im Verhältnis von freiberuflichem Zahnarzt und seinem angestellten zahnärztlichen Mitarbeiter) oder des Standesvertreters – das heißt eines berufspolitisch engagierten Zahnarztes, der die Angehörigen seines Berufsstands vertritt. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ein und dieselbe Person verschiedene Rollen einnehmen kann – man spricht hierbei auch von einem Rollensatz. Dieser Begriff bezeichnet die Gesamtheit aller Positionen, die eine Person haben beziehungsweise einnehmen kann.
Der Kollege
Damit Zahnärzte ihre spezifischen Rollen gegenüber anderen Zahnärzten adäquat – das heißt ohne merkliche Misstöne oder Reibungsverluste – erfüllen, bedarf es der Einhaltung kollegialer Standards. Von daher liegt es nahe, zunächst den übergeordneten Begriff „Kollege“ in den Blick zu nehmen:
Jeder Zahnarzt ist immer auch der Kollege (lat. collega = Amtsgenosse, Berufsgenosse) eines anderen Zahnarztes. Der Terminus Kollegialität wird im Berufsleben gebraucht, um den – bestimmten Normen folgenden – Umgang mit Angehörigen desselben Berufs beziehungsweise Berufsfelds zu beschreiben. Gerade unter (Zahn-)Ärzten sind die Begriffe „Kollege“ und „Kollegialität“ weit verbreitet. Kollegialität wird vielfach als unentbehrliche Voraussetzung für den professionellen Umgang miteinander beschworen – als sogenanntes Kollegialitätsgebot [Schulenburg, 2008] – und dabei nicht selten auch mit Schlagwörtern wie „Berufsehre“ und „Standesethos“ in Verbindung gebracht.
Und doch dürfte es vielen Zahnärzten und Ärzten schwer fallen, eine konkrete Definition von Kollegialität zu geben [Mumenthaler, 1996].
Zahnärztliche Kollegialität
Was also ist zahnärztliche Kollegialität? Erste Hinweise auf das Verständnis von Kollegialität sind von der zahnärztlichen Musterberufsordnung, die sich in § 8 explizit diesem Themenfeld widmet, zu erwarten: Hier wird allerdings vornehmlich festgelegt, was als nicht kollegial gilt. Mit anderen Worten: Die MBO-Z liefert orientierende Beispiele für unkollegiales Verhalten, etwa „herabsetzende Äußerungen“ über Kollegen und ihr Können (§ 8,1), das Verdrängen eines Kollegen „durch unlautere Handlungen“ (§ 8,2), das unbotmäßige Ausdehnen einer Vertretungs-, einer Notfall- oder Überweisungsbehandlung oder Begutachtung (§ 8,3) und die Ablehnung eines erbetenen kollegialen Beistands (§ 8,4) [Bundeszahnärztekammer, 2010].
Die beschriebenen Passagen der MBO-Z beziehen sich schwerpunktmäßig auf die „horizontale Kollegialität“, sprich auf das Miteinander gleichberechtigter Kollegen. § 18 der MBO-Z gibt darüber hinaus einen gewissen Aufschluss über das gewünschte kollegiale Verhalten niedergelassener Zahnärzte gegenüber angestellten Zahnärzten, sprich gegenüber nachgeordneten Kollegen, und trifft damit Aussagen zur „vertikalen Kollegialität“: Für die Anstellung eines Kollegen bedürfe es eines Zahnarztes in Leitungsfunktion (§ 18,2), und der leitende Zahnarzt schulde dem angestellten Kollegen eine angemessene Vergütung (§ 18,3).
Wie die bisher getroffenen Aussagen zeigen, lässt sich die Bedeutung des Begriffs „Kollegialität“ über die zahnärztliche Musterberufsordnung nur unvollständig erschließen. Deshalb soll der Begriff Kollegialität an dieser Stelle zusätzlich ex positivo definiert werden. Kollegialität beschreibt ein von gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis zwischen Berufskollegen, das sich – zumindest im gedachten Idealfall – in einer friedfertigen, vorurteilsfreien und vertrauensvollen Zusammenarbeit manifestiert. Neben dieser intraprofessionellen, auf das Binnenverhältnis abzielenden Ausprägung von Kollegialität gibt es allerdings noch ein Kollegialitätsverständnis, das auf die Beziehung der Berufsgruppe zur Außenwelt abhebt: Gemeint ist hierbei ein Verhalten, das geeignet ist, die Achtung und das Ansehen der gesamten Kollegenschaft in der Öffentlichkeit zu bewahren, und hierdurch der Berufsgruppe als solcher dienlich ist.
Zahnärzte-Ehrenkodizes
In den vergangenen Jahren sind sogenannte „Zahnärzte-Ehrenkodizes“ entstanden, auf deren Einhaltung sich Zahnärzte in bestimmten Regionen Deutschlands freiwillig verpflichten und die kollegiales Verhalten in den Mittelpunkt stellen.
So heißt es im Ehrenkodex der Hamburger Zahnärzteschaft [Ehrenkodex, 2010]: „Fairness gegenüber meinen Kollegen: Ich beachte die Gebote der Fairness und Kollegialität, obwohl ich mit allen Zahnärzten im Wettbewerb stehe; dies gilt insbesondere im Falle der Vertretung oder im Notdienst oder wenn ein neuer Patient mich aufsucht. Bei einer fachlichen Auseinandersetzung bemühe ich mich um einen sachlichen Ton und vermeide verletzende oder blamierende Kritik […] Zurückhaltung bei Werbung: Ich ergreife keine marktschreierischen, anpreisenden oder andere unangemessenen Werbemaßnahmen für mich und meine Praxis. Im Umgang mit Medien jeglicher Art übe ich Zurückhaltung.“ Ähnliche Ehrenkodizes wurden und werden auch in anderen Zahnärztekammern ausformuliert [Ehrenkodex, 2009].
Funktionen des Kollegialitätsgebots
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass das Kollegialitätsgebot zwei Funktionen erfüllt: Es ist sowohl für das zahnärztliche Miteinander als auch für die Außenwirkung des zahnärztlichen Standes von Bedeutung. Die Verpflichtung zu kollegialem Verhalten dient somit dem reibungslosen intraprofessionellen Umgang, aber eben auch dem Erhalt des Vertrauens in die zahnärztliche Berufsgruppe in der Öffentlichkeit.
Umso kritischer werden Verstöße gegen das Kollegialitätsgebot gesehen [Schulenburg, 2008]. Hierunter fallen die Äußerung unsachlicher Kritik an Kollegen (etwa diffamierende oder rufschädigende Äußerungen – vergleiche § 8,1 MBO-Z), das Verdrängen eines Kollegen aus dessen Behandlungstätigkeit durch unlautere Mittel (§ 8,2 – etwa durch das gezielte Abwerben von Patienten oder durch eine Niederlassung im Einzugsbereich einer Praxis, in der man zuvor mitgearbeitet und einen Patientenstamm aufgebaut hat), das Ausdehnen einer im Rahmen einer Vertretung, einer Notdiensttätigkeit oder Überweisung erfolgten Behandlung über den begrenzten Auftrag hinaus (§ 8,3), die Ablehnung eines von einem Kollegen erbetenen Beistands ohne zwingenden Grund (§ 8,4), unangemessen niedrige finanzielle Entlohnungen beziehungsweise Beteiligungen nachgeordneter Kollegen (§ 18,3), das Verwehren angemessener Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung für angestellte Kollegen, jede Form des Mobbings gegenüber gleichrangigen oder nachgeordneten Kollegen, das Verschweigen oder die Nichtweitergabe therapierelevanter Informationen an den Nach- oder Mitbehandler, (bei Überweisungsfällen) die Durchführung einer von der Überweisung abweichenden Therapie ohne vorherige Rücksprache und Abstimmung, unsachliche beziehungsweise herabsetzende schriftliche Bemerkungen im Rahmen einer offiziellen Gutachtertätigkeit, in der die Behandlungsleistung eines Kollegen zu beurteilen ist.
Hierunter fällt auch die „Formalbeleidigung“: Gemeint ist mit diesem Begriff die Schmähung, sprich eine herabsetzende persönliche Kritik an einem zahnärztlichen Kollegen.
Berufsehre und Etikette
Kollegiales Verhalten resultiert allerdings nicht (vorrangig) aus der Befolgung ethischer Prinzipien, sondern fußt vor allem auf Professionalität und dem Befolgen berufsständischer Regeln. Vor diesem Hintergrund weist Kollegialität deutliche Verbindungslinien zur „Berufsehre“ beziehungsweise zur beruflichen Etikette auf: Gemeint ist hiermit ein Verhaltensregelwerk, das das Sozialverhalten der Angehörigen eines Berufsstands (hier: des Zahnärztestands) festlegt und beschreibt (franz. étiquette = Anstand, Benehmen, Verhalten).
Falsch verstandene Kollegialität
Schließlich gilt es den Ausdruck „falsch verstandene Kollegialität“ zu erläutern. Gemeint ist hiermit, dass „bei jeder Befassung mit den Folgen ärztlicher Behandlung ausnahmslos Objektivität vor Kollegialität“ gehen muss [Spickhoff, 2011]. Konkret: Wenn Interessen von Patienten berührt sind, sollte der kollegiale Umgang – auch in Konfliktsituationen – zuvorderst an den Belangen des betroffenen Patienten orientiert sein und nicht auf dessen Rücken ausgetragen werden. Das heißt, es sollte keine Einigung gesucht werden, die zwar das weitere kollegiale Auskommen gewährleistet, aber den Patienten schädigt. Ein Beispiel hierfür wäre ein Verhalten, bei dem ein Therapiefehler eines Vorbehandlers aus falsch verstandener Kollegialität durch einen zahnärztlichen Gutachter unter den Tisch gekehrt oder bestritten wird. Derartige Regeln betreffen nicht allein den mündlichen Austausch unter Kollegen, sondern auch schriftliche Stellungnahmen im Rahmen der Begutachtung kollegialer Behandlungsleistungen. So gehört es zur Rolle eines Gutachters, dass er überall dort, wo es fachlich angezeigt ist, sachliche Kritik übt – zum Wohl des Patienten, aber letztlich auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstands.
Eng verbunden mit dem Begriff „Rolle“ ist der Terminus „Vorbild“. Vorbild ist eine Person, die als richtungsweisendes Beispiel angesehen wird. Im engeren Sinne ist ein Vorbild eine Person, mit der man sich identifizieren kann und deren Verhalten man nachahmt oder nacheifert. Allerdings gibt es auch fragwürdige oder schlechte Vor- bilder. Ein Beispiel wäre ein freiberuflicher Zahnarzt, der an seinem angestellten Kollegen fortgesetzt unberechtigte Kritik übt, oder ein Professor, der auf ein Malheur eines Studierenden mit unbotmäßiger Härte und kollegialem Unverständnis reagiert – lerntheoretisch spricht man hierbei auch von einem negativen Rollenvorbild, vielfach auch negatives Rollenmodell oder englisch Role model genannt.
Generelle Kollegialität
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es neben dem oben erwähnten Verständnis von Kollegialität unter Personen mit gleicher Ausbildung beziehungsweise Berufstätigkeit noch eine zweite, weiter gefasste Bedeutung von Kollegialität gibt: Im Berufsleben wird der Begriff Kollegialität nicht selten auch für ein Verhalten von Mitarbeitern unterein-ander gebraucht, zum Beispiel unter allen Angehörigen eines Praxisteams. In diesem Fall sind nicht nur Zahnärzte – also Kollegen im strengen Wortsinn –, sondern auch alle weiteren Teammitglieder wie Zahnärztliche Fachangestellte, Verwaltungsangestellte oder Dental Hygienists gemeint. Besagte Wortbedeutung von Kollegialität zielt somit allgemein auf eine reibungsfreie Zusammenarbeit und auf Friedfertigkeit am Arbeitsplatz.
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinMedizinische Fakultät undUniversitätsklinik der RWTH AachenWendlingweg 252074 Aachen